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Filmreihe

 
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Valeria Bruni Tedeschi

Übersprudelnde Melancholie


Mal verschüchtert oder verschroben, mal überbordend, getrieben und exzessiv – Valeria Bruni Tedeschi verkörpert ihre Leinwandheldinnen stets mit einem genauen Gespür für die wahrhaftigen Gefühle, fernab jeglicher Klischees. Ihren Facettenreichtum offenbart sie im Wechselspiel mit den Emotionen: Da kann auf der Suche nach Liebe schon einmal die melancholische Introvertiertheit in stürmisches Begehren umschlagen. Die charismatische italienisch-französische Schauspielerin spielte sich Anfang der 90er-Jahre mit dem jungen französischen Kino in die Herzen des Publikums, brillierte im Rollenfach der jungen Romantikerin und gehetzten Sehnsüchtigen unter der Regie von Noémie Lvovsky oder Mimmo Calopresti, in Claude Chabrols Au coeur du mensonge oder François Ozons 5×2. Längst ist Tedeschi, die einer wohlhabenden Turiner Industriellen- und Künstler:innen- Familie entstammt, selbst im Regiefach angekommen, reflektiert in ihren Filmen selbstironisch und überaus unterhaltsam das Dasein einer Kunstschaffenden, widmet ihr Regiedebüt Il est plus facile pour un chameau... einer neurotischen Tochter aus gutem Hause, lässt in Actrices eine gefeierte Schauspielerin und in Les estivants eine Filmemacherin in veritable Schaffenskrisen stürzen. Das Stadtkino Basel widmet sich ausführlich dem reichen Schaffen der temperamentvollen Valeria Bruni Tedeschi.

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Ihr aristokratisches Gebaren lässt keinen Zweifel aufkommen, dass Beatrice die Hausherrin der Villa Biondi ist. Mit standesgemässer Strenge gebietet sie über die Gartenarbeiten und mahnt die Angestellten, sich züchtig zu benehmen. Die Dame im luftigen Sommerkleid liest Baudelaire und strahlt Grandezza aus. Sie besitzt Überzeugungskraft – wie jede gute Hochstaplerin.

 

Denn Beatrice ist in Paolo Virzis therapeutischer Komödie La pazza gioia (2016) weder die Leiterin noch eine Ärztin der Klinik, sondern eine der Patientinnen im Gewahrsam der offenen Psychiatrie. Ihre Darstellerin warnt uns vor, bis endgültig ihre wahre Identität enthüllt wird: Sie gibt ihrem Spiel einen verräterisch manischen Zug. Aber da ist längst schon ein heimlicher Pakt zwischen ihr und dem Publikum geschlossen. Bei Valeria Bruni Tedeschi ist mit allem zu rechnen.

 

Sie legt ihre Figuren als Schmelztiegel widersprüchlichster Regungen an. Mal stürmen sie dem Leben entgegen und ziehen sich im nächsten Moment verschüchtert zurück. Die Liebe ist für sie eine Zerreissprobe zwischen unbändiger Sehnsucht und dem Wunsch, unsichtbar zu sein. Eine Geste kann schon durch die nächste revidiert werden; oft hängt es an einem seidenen Faden, ob sie in Tränen oder ein nervöses Lachen ausbricht. Präzis folgt ihr Körperspiel diesem Mit- und Gegeneinander von Scheu und Überschwang. Oft senkt sie verlegen ihren Blick und wirkt Sekunden später schon wieder angriffslustig. In ihrem Lächeln schwingt immer ein Hauch von Entschuldigung mit. Eine solche Leinwandexistenz kann aufreibend sein; Bruni Tedeschis Stimme ist heiser und brüchig.

 

In den Rollen, mit denen die französisch- italienische Schauspielerin Anfang der 90er- Jahre bekannt wurde, hat sie nahezu alle Verrücktheiten der Liebe durchlebt. Sie brilliert im Rollenfach der jungen Romantikerin, die sich partout nicht damit abfinden will, (nicht mehr) geliebt zu werden. Dabei ist deren eigene Sehnsucht fahrig und wankelmütig. Eine drohende Enttäuschung wenden die Figuren vorsorglich durch die nächste erotische Begegnung ab. Sie können das Begehren nicht einschätzen, nicht mit ihm kalkulieren. «Man sagt, ich sei schlecht im Bett», eröffnet Nathalie einem Liebhaber in Oublie-moi (1994) (was dann aber doch unwiderstehlich wirkt). Die Bereitschaft, sich zu entblössen, scheint in Bruni Tedeschis Spiel stets einer insgeheimen Schamhaftigkeit abgetrotzt. An den Gefühlen scheinen ihre Leinwandheldinnen nur mehr deren affektiven Anteil zu begreifen; ihre Ausbrüche sind womöglich nur Generalproben.

 

Mit einem Mal hatte das junge französische Kino, die Nouvelle nouvelle Vague, eine temperamentvolle, charismatische Protagonistin gefunden. Diese Schauspielerin mochte sich nicht rarmachen – 1995 stand sie für sechs Filme vor der Kamera – und changierte agil zwischen Haupt- und Nebenrollen. Bei Patrice Chéreau, der sie in seinem Theater in Nanterre ausbildete und ihr die erste tragende Kinorolle gab, hat sie gelernt, sich nahtlos in ein Ensemble zu fügen.

 

Ihr eisernes, ehrgeiziges Arbeitsethos ist auch ihrer Herkunft geschuldet. Sie stammt aus einer reichen und schöngeistigen Turiner Familie. Die Mutter ist Pianistin, der Vater komponiert Zwölftonmusik, ihre Schwester ist Carla Bruni, die als Fotomodell, zeitweilige Präsidentengattin und Chansonsängerin gleich mehrere erfolgreiche Karrieren gemacht hat. «Meine Eltern haben mir ein Bewusstsein dafür vermittelt, dass Arbeit etwas Kontinuierliches ist,» erklärte sie mir einmal in einem Interview, «dass mein Metier eine tagtägliche Anstrengung bedeutet.»

 

Sie wählt eher Projekte aus als Rollen, voller Neugier darauf, warum und wie Filmemacher:innen eine Geschichte erzählen wollen. Aber ihr Temperament lässt sich nicht völlig von einem Regiekonzept vereinnahmen. Denn ihre Auseinandersetzung mit den Rollen ist leidenschaftlich, ein reger Tauschhandel zwischen der Figur und der eigenen Erlebnisfähigkeit. Sie verschwindet nicht einfach hinter den Charakteren, sondern agiert mit einer Dringlichkeit, die nicht nur den Figuren entstammt, sondern stets auch die der Schauspielerin ist. «Im tiefsten Inneren bin natürlich ich es, die von einer Figur berührt wird», sagt sie. «Aber die Dosis, in der ich das spürbar werden lasse, bestimmt der Regisseur.»

 

Das schliesst die Vielseitigkeit nicht aus. Valeria Bruni Tedeschi hat mit höchst unterschiedlichen Regisseuren gearbeitet, mit Bertrand Blier, Claude Chabrol, Philippe Garrel, Alain Tanner oder auch Steven Spielberg. François Ozon hat immer wieder von ihrer Wandlungsfähigkeit profitiert; in ihrem gemeinsamen Meisterwerk 5×2 (2004) rekapitulieren sie die Verfallsgeschichte einer Ehe in umgekehrter Reihenfolge, von der Scheidung bis zur ersten Begegnung, eine filmische Autopsie, die zwischen Empfindsamkeit und raffinierter Konstruktion schillert. Bruni Tedeschis engste Vertraute ist Noémie Lvovsky, die auch als Co-Autorin und Darstellerin in ihren Filmen mitwirkt. Wie breit das Ausdrucksspektrum der Schauspielerin ist, ist schon ganz früh in ihrer Zusammenarbeit mit Mimmo Calopresti zu spüren. In La seconda volta(1995) liefert sie als inhaftierte Terroristin, die bei einem Freigang zufällig dem Opfer eines ihrer Attentate begegnet, eine behutsame Studie stiller Sühne. Drei Jahre später spielt sie für ihn in La parola amore esiste (1998) eine Schlüsselrolle. Sie verkörpert eine neurotische Müssiggängerin, die schwankt zwischen Hochmut und Verzweiflung, mal hyperaktiv ist und mal wie gelähmt. Als Erkundung einer extrovertierten Innerlichkeit ist der Film fast eine Zwischenbilanz ihres Rollentyps der ungeschützt durch die Wechselfälle des Lebens hetzenden Frau, die endlich erwachsen werden will.

 

Bruni Tedeschi besitzt die einzigartige Gabe, ihrem Publikum das Gefühl zu geben, es habe in den letzten Jahrzehnten stets auch an ihrer persönlichen Entwicklung teilgenommen. Ihre Neugier, selbst hinter der Kamera eine Geschichte zu erzählen, ist da nur konsequent. Als 2003 ihr Regiedebüt Il est plus facile pour un chameau... in die Kinos kommt, schürt es den Verdacht, der Part der wacker neurotischen Frau sei auch ihre Lebensrolle. Dass das Drehbuch voller Szenen steckt, die aus ihren früheren Filmen vertraut sind, darf man als sicheres Zeichen dafür nehmen, wie wohl und heimisch sie sich in diesen Figuren gefühlt hat.

 

Der Film gibt sich listig den Anschein eines Selbstporträts, lädt ständig dazu ein, die Lebenskrise der Protagonistin, einer von Schuldgefühlen geplagten Tochter aus sehr reichem Hause, zu überblenden mit Bruni Tedeschis eigener Biografie – der Flucht ihrer Eltern vor den Roten Brigaden nach Frankreich, der vermuteten Rivalität zu ihrer ebenso berühmten Schwester Carla. Das hätte gründlich schief gehen können. Aber die zu befürchtende, kokette oder schwer verdauliche Nabelschau bleibt aus. Denn sie versteht es auch als Regisseurin, den unangemessenen Reaktionen ihrer Figuren Würde zu verleihen: In einer Szene schminkt ihre Heldin sich, bevor sie zur Beichte geht.

 

Die Raserei der Gefühle bleibt in ihrem Regiedebüt überraschend gezähmt; es ist ein flanierender Film, der neugierige und ungeläufige Blicke auf ihre Leinwandpartner und den Schauplatz Paris wirft. In ihrer zweiten Regiearbeit Actrices (2007) mogelt sich die gefeierte Theaterschauspielerin Marcelline durch eine Sinnkrise. Die chaotischen Proben zu einer Inszenierung von Turgenjews Ein Monat auf dem Lande geraten dabei zu einer tragikomischen Reflexion über Egozentrik und Gemeinschaft. «Mit dem Stück verbindet mich eine eigene Geschichte», erklärte sie mir im Interview. «Ich bin der Figur der Natalja nicht gerecht geworden, als ich sie einmal bei Patrice Chéreau spielte. Jetzt hatte ich das Bedürfnis, mich mit ihr zu versöhnen.» In ihrer jüngsten Regiearbeit Les estivants (2018), wo sie eine Filmemacherin in der Schaffenskrise (was sonst?) spielt, führt sie dieses Projekt einer filmischen Autofiktion mit robuster Selbstironie fort. Auch wenn Valeria Bruni Tedeschi selbst Regie führt, ist mit allem zu rechnen. Aber von den Emotionen, die sie darstellt, wird sie noch immer im Innersten berührt.

 

Gerhard Midding

 

Wir danken der Alliance Française de Bâle und dem Istituto Italiano di Cultura für die freundliche Unterstützung dieser Reihe.

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