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Filmreihe

 
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Ida Lupino

Subtil Radikal – Hollywoods Star und Rebellin


Als Teenager nach Tinseltown: Ida Lupino, in London als Tochter eines Schauspieler:innenpaars geboren, zog es schon mit 14 Jahren nach Hollywood. Eine echte Erfolgsgeschichte sollte folgen! Sie brillierte als Schauspielerin in Filmen wie Raoul Walshs They Drive by Night und High Sierra oder in Nicholas Rays On Dangerous Ground, bei dem sie bereits an der Regie beteiligt gewesen sein soll. Gegen alle Widerstände schaffte sie im männlich dominierten Studiobusiness den Durchbruch zum profilierten Star und etablierte sich schon bald auch als respektierte Produzentin und Regisseurin. Mit Filmen wie Outrage, in dem sie eindringlich das Tabuthema Vergewaltigung thematisierte, oder The Bigamist, der sensiblen Charakterstudie einer Dreiecksbeziehung, bewies sie ihr aussergewöhnliches Talent auch hinter der Kamera. Radikal und subtil zugleich zeugt ihr Filmschaffen von einer beeindruckenden Vielschichtigkeit, das nicht vor brisanten Themen zurückschreckt und mit mutigem Blick eingefahrene Geschlechterverhältnisse auflöst. Viel zu lange galt Ida Lupino als Geheimtipp. Dabei müsste sie als wichtige Stimme des klassischen Hollywood-Kinos längst neben den ganz Grossen stehen. Das Stadtkino Basel zeigt eine umfangreiche Werkschau der visionären Produzentin, Regisseurin und Schauspielerin – einer wahren Pionierin des US-amerikanischen Spielfilms.

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Der Mann und die Frau begegnen sich in einem jener Tourbusse, in denen Fans durch die Villenviertel Hollywoods fahren, mit einem Reiseführer, der erklärt, welcher Star hinter welchem vergitterten Tor residiert. Doch die Frau scheint sich nicht besonders für die Aussicht zu interessieren und zieht gerade dadurch das Interesse des Mannes auf sich. Ob es sie denn nicht wundernehme, wie die bessere Gesellschaft so lebe, fragt er sie. Worauf sie antwortet: «Nein, nicht besonders.» Es ist ausgerechnet die Regisseurin Ida Lupino selbst, die sich hier in ihrem Film The Bigamist von 1953 in der Rolle der Phyllis Martin so selbstbewusst unbeeindruckt zeigt vom verführerischen Glamour der Traumfabrik. Unweigerlich scheint Lupino damit auch ihren eigenen Status als Regisseurin in einer von Männern dominierten Filmindustrie zu kommentieren, in der sie die krasse Ausnahme geblieben ist. Und doch wäre es allzu simpel, zu meinen, Ida Lupino habe keinerlei Interesse an Hollywood gezeigt. Denn Ida Lupino wollte sich den Regeln der Traumfabrik nicht einfach unterwerfen, sondern vielmehr im Dialog mit Hollywoods Filmen einen ganz eigenen Stil mit eigenen Themen und eigenen Erzählweisen entwickeln. So wie die Passagiere im Bus auf dem Mulholland Drive zugleich mitten in Hollywood sind und doch aussen vor bleiben, so war auch Ida Lupino beides: Star und Rebellin. Nach ersten Rollen in ihrem Heimatland England wird sie in Amerika mit Filmen wie Raoul Walshs They Drive by Night (1940) und High Sierra(1941) oder Nicholas Rays On Dangerous Ground (1951) (bei dem sie sogar teilweise Regie übernommen haben soll) zur beliebten Schauspielerin – oft in der Rolle tougher Frauencharaktere. Als Regisseurin mit eigener Produktionsfirma aber macht sie gänzlich eigenwillige Filme, die faszinierend schräg zu denen all der Hollywoodmänner stehen, die sie als Kollegin gleichwohl absolut respektierten.

 

Es ist also nicht allein die an sich schon beeindruckende Tatsache, dass Ida Lupino (neben Dorothy Arzner) bis zum Ende des Studiosystems die einzige Frau war, die im klassischen Hollywood erfolgreich Regie führte, wofür wir sie immer wieder feiern sollten, sondern auch und vor allem für die Radikalität ihrer Filme, die damals und bis heute im amerikanischen Kino grosse Ausnahmen geblieben sind.

 

Jedoch ist Lupinos Radikalität eine stille, die sich nicht penetrant auftrumpfend zeigt, sondern darin, mit wie viel Gespür für Komplexität und Ambivalenz Lupino ihre Geschichten erzählt und inszeniert. Das zeigt sich exemplarisch auch an jenem bereits erwähnten Film The Bigamist, dessen Titel eine reisserische Skandalgeschichte erwarten lässt und der dann stattdessen eine sensible Studie ausfaltet über drei Menschen, die sich in ihrer ganz unterschiedlichen Bedürftigkeit gegenseitig weh tun und doch zusammengehören. Im Zentrum steht eine Figur, die sich in ihrer ungleichen Ehe vernachlässigt, für selbstverständlich genommen und der eigenen Träume beraubt sieht. Es ist das bestens bekannte Material, aus dem Hollywood seine Melodramen um leidende Hausfrauen macht – nur dass es bei Lupino eben nicht eine Frau, sondern ein Mann ist, der sich in dieser Situation befindet. Aber Lupino geht es um sehr viel mehr als nur um eine simple Umkehrung der Geschlechterklischees. Erstaunlich an ihrem Film ist nicht nur, dass Rollenbilder, die Hollywood sonst so gerne bedient, verschoben, sondern dass sie aufgelöst werden. Am Ende von The Bigamist wird nicht in Schuldige und Unschuldige, in Gute und Böse unterteilt, sondern stattdessen ein Verständnis für alle Figuren, für den Ehemann ebenso wie für die beiden getäuschten Ehefrauen, und für deren je eigenen Verletzungen erzeugt. Was im Film als Delikt der Bigamie vors Gericht kommt, nutzt der Film nicht aus, um die eine gegen die andere Figur auszuspielen, sondern er hält alles in der Schwebe.

 

Lupinos Film erweist sich damit als radikal feministisch in ebenjenem Sinne, wie es etwa die Philosophin Judith Butler ausführt, wenn sie insistiert, dass es im Feminismus nicht darum gehen könne, die Geschlechterverhältnisse bloss umzudrehen und Frauen an Positionen zu stellen, die zuvor die Männer innehatten, was die starren Gegensätze bloss erneut bestätigen würde. Das feministische Projekt ist ihr zufolge vielmehr, Gegensätze nicht nur umzudrehen, sondern diese Gegensätze selbst und ihre binäre Logik aufzulösen, hin zu einer Diversität, einer queeren, einer non-binären, einer Transgender-Vielfalt, die nicht mehr nach simplem Entweder-oder funktioniert. Und auch wenn sich Ida Lupino vielleicht gar nicht selber explizit eine Feministin genannt hätte, so ist es doch exakt dieser Widerstand gegen binäre Vereinfachung, den es in ihrem Kino immer wieder neu zu entdecken gibt.

 

Outrage (1950), einer der ersten amerikanischen Filme, der überhaupt offen das Thema der Vergewaltigung thematisiert, erschüttert noch heute dadurch, wie uneingeschränkt ernst er die Traumatisierung nimmt. Und er verblüfft, weil er daran festhält, seine Protagonistin trotz ihrer Verletzung nicht einfach als unrettbar zerstört fallen zu lassen. Wo das amerikanische Kino (oft auch bis in die Gegenwart) Opfer sexueller Gewalt lieber nur als Nebenfigur und warnendes Beispiel auftreten und alsbald aus dem Film verschwinden lässt, besteht Lupino darauf, dass dieser Person ihr Platz in der Mitte der Gesellschaft zusteht, egal wie unangenehm das der Umgebung sein mag. Statt einmal mehr marginalisiert, als mundtot gemachte Minderheit abgewertet, bekommen in Lupinos Filmen die Frauen Raum – und dies buchstäblich, was sich auch in der virtuosen Gestaltung des Filmbildes zeigt. Statt schmerzhafte Widersprüche und Ambivalenzen zu kaschieren oder zu verwischen, geht es Lupino darum, diese in ihrer Komplexität anzuerkennen. Die ein uneheliches Kind erwartende Sally in Not Wanted wünscht sich eine Familie und merkt zugleich, dass die im puritanische Amerika geltenden Klischees vom häuslichen Glück für sie nicht mehr stimmen. Und der Mann, den sie kennenlernt, möchte Beschützer sein und ist aufgrund seiner Kriegsverletzung selber Schutzbedürftiger. Wie diese beiden sind bei Lupino die Personen niemals nur etwas, erfüllen nie nur eine Funktion, sondern vieles. Sie wollen in ihrer Zerrissenheit anerkannt werden, so wie die Tänzerin Carol in Never Fear, die durch ihre Polio-Erkrankung gezwungen wird, ihre Vorstellungen von Weiblichkeit neu zu denken (womit Ida Lupino, die selber an der Krankheit litt, durchaus auch eigene Ängste verarbeitete).

 

Nichts und niemand ist einfach einzuordnen: weder die erfolgsversessene Mutter in Hard, Fast, And Beautiful, die ihre Tochter liebt und dabei doch fast zerstört, noch die Tochter, die ihre Autonomie gegenüber der Mutter beweist und sich am Schluss doch den von einem Mann aufgezwungenen Regeln beugt. Wir können sie nicht einfach nur lieben oder nur hassen, denn sie passen nicht in die Schubladen von Schurken und Heldinnen, in die man sonst die Figuren sortiert.

 

Selbst in Lupinos nicht nur optisch, sondern auch strukturell schwarzweissestem Film, ihrem Film noir The Hitch-Hiker um einen Gangster, der zwei Männer als Geiseln nimmt, sind die Verhältnisse nicht so eindeutig, wie es zunächst scheinen mag. In dieser rein mit Männern besetzten Dreiecksgeschichte, die hier von einer Frau inszeniert wird, spüren wir in der Gewalt und den Erniedrigungen, die der Bösewicht seinen beiden Opfern zufügt, zugleich auch ein unausgesprochenes, uneingestandenes Begehren. Es wird in mehrfacher Hinsicht und auf subtile Weise heiss zwischen den drei in einen Wagen gesperrten Männern.

 

Leider ist zu vermuten, dass es nicht allein die notorisch sexistische Filmgeschichtsschreibung war, die dafür gesorgt hat, dass die Regisseurin Ida Lupino bis heute mehr als Geheimtipp denn als jene Klassikerin gehandelt wird, die sie doch eigentlich ist. Und ihre diversen Fernseharbeiten, Kurzkrimis und Episoden zu frühen Serienklassikern wie Alfred Hitchcock Presents oder The Twilight Zone, in denen sie die eigene Filmsprache virtuos weiterentwickelt hat, sind auch für Spezialisten immer noch zu entdeckendes Neuland. Vermutlich hat wohl gerade die Vielschichtigkeit ihrer Arbeiten und deren subtile Radikalität dazu geführt, dass sie uns neben den lautstark die eigene Experimentierfreude heraus posaunenden Kollegen wie Billy Wilder oder Orson Welles nicht aufgefallen ist. Aber das ist nicht ihr, sondern unser Fehler, die wir nicht genau hingeschaut haben. Wer hingegen einmal den Blick geschärft hat, für den Mut ihrer Filme zur Differenz, sieht danach auch das klassische Hollywoodkino, zu dem sie gehörte und doch auf Distanz ging, nie mehr wie zuvor.

 

Johannes Binotto

 

Wir danken Johannes Binotto herzlich, der diese Reihe für das Stadtkino Basel kuratiert hat.

 

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