schliessen

zurück

Filmreihe

 
Reihenbild

Das rebellische Kino des Jerzy Skolimowski


In den 1960er-Jahren zählte er zu den jungen Wilden des polnischen Kinos und trat zusammen mit Roman Polanski und Andrzej Wajda die polnische Neue Welle los. Voll kreativem Anarchismus, Witz, Absurdität und Düsternis liess er in seinen frühen Filmen wie Besondere Kennzeichen: keine und Walkover sein von ihm selbst verkörpertes Antihelden-Alter-Ego als listigen Überlebenskünstler am Rande der Gesellschaft gegen die herrschenden Systeme der Nachkriegszeit rebellieren – ein polnischer Antoine Doinel. Mit dem «echten», alias Jean-Pierre Léaud, errang er 1967 – von der Zensur in den Westen vertrieben – für Le Départ auf der Berlinale internationale Anerkennung und schuf mit Deep End (1970), einer Coming-of-Age-Story aus dem Swinging London, einen Klassiker der Midnight-Movies.

mehr

Nach langer Pause, in der er überwiegend als Schauspieler, Autor und Maler im Exil aktiv war, gelang ihm im neuen Jahrtausend, zurück in der Heimat, mit Vier Nächte mit Anna (2008), Essential Killing mit Vincent Gallo (2010) und 11 Minutes (2015) ein spätes wie fulminantes Comeback. Im Mai diesen Jahres feierte Jerzy Skolimowski seinen 80. Geburtstag. Zeit, ihn wiederzuentdecken! Das Stadtkino Basel widmet dem extravaganten Rocker-Gentleman eine Hommage.

 

Man muss es konstatieren: Jerzy Skolimowski bleibt trotz Goldenem Löwen der Internationalen Filmfestspiele von Venedig für sein Lebenswerk im Jahr 2016 ein Geheimtipp unter den Rebellen des Films. Seit 1960 ist der polyglotte Pole, ein künstlerisches Multitalent, im Kino aktiv; da schrieb der auch als Boxer, Lyriker, Drehbuchautor, Schauspieler und Maler tätige spätere Ausnahmeregisseur als gerade 22-Jähriger gemeinsam mit Jerzy Andrzejewski das Drehbuch zu Andrzej Wajdas Hommage an das Nachkriegswarschau Die unschuldigen Zauberer (Niewinni czarodzieje) und drehte seinen ersten eigenen Kurzfilm, Erotik (Erotyk), der gleich zwei seiner späteren Stil- bzw. Erzählmittel vorgibt: den ostentativen Blick in den Spiegel, wo Begegnung stattfindet (gebrochen und rätselhaft), sowie die leidenschaftliche Annäherung eines Mannes an eine Frau, die Angst hat, was aber eigentlich nicht sein müsste (behauptet zumindest der Mann).

 

55 Jahre später ist Hüne Skolimowski immer noch nicht müde, im Gegenteil: 11 Minutes (Venedig 2015) gilt als vorläufig letzter Speed-Faustschlag, eine minutiös montierte perspektivische Handlungscollage, an der Oberfläche konventioneller als die meisten seiner ungewöhnlichen Filme wirkend: ein katastrophisch-existenzialistischer Trip, der sich zeitlich auf 11 Minuten des 11.7.2014 konzentriert, in denen sich diverse Schicksale verschränken. Auch hier ist Warschau, die zentralste der vielen Wahlheimaten Skolimowskis, Hintergrundkulisse, doch hat sich die melancholische Souterrain-Musikclub- und Hinterhofstubenwelt der Nachkriegszeit nun in eine Ost-Metropole mit Glasfenster-Hotels und Business-Türmen verwandelt, an denen ein Flugzeug immer wieder gefährlich nahe vorbeischrammt (was ein Ereignis in den von hier offenbar gar nicht so weit entfernten USA aufruft). In 11 Minutes kulminiert das Geschehen in einer grandiosen Kettenreaktionsexplosion, die – und auch das ist symptomatisch für das Gesamtœuvre dieses sanften Film-Maniacs – für die hierher Getriebenen und ihre Emotionen das Ende bedeutet.

 

Die innere – wahlweise auch von aussen lancierte – Unrast, die sich mal als ans Absurde grenzende Besessenheit, mal als zähes, ultimatives Ausharren äussert, ist ein weiteres Markenzeichen des im Mai 1938 in der Filmstadt Lodz geborenen Jerzy Skolimowski (später wird er hier studieren). Auch die für die Werkschau im Stadtkino Basel ausgesuchten Arbeiten sind von veritablen Getriebenen dominiert, bewusst männlichen Figuren; die Frauen bleiben im Hintergrund, sind dabei aber meist treibende Kraft einer irgendwie leicht gehemmten, aber doch machtvollen Virilität. Das gilt bereits für die ersten beiden Langfilme, Besondere Kennzeichen: keine (Rysopis) (1964) und Walkover (Walkower) (1965), die heute als Klassiker der polnischen Filmgeschichte gelten, gewollt sperrige Aushängeschilder des New Cinema der Volksrepublik Polen. Dabei sind sie aber viel mehr: autobiografisch inspirierte «Zeugnisse des Aufbruchs, der Rebellion und der Leichtigkeit des Seins» nämlich, die zusammen mit den zwei weiteren Puzzlesteinen der frühen Tetralogie, Barriere (Bariera) (1966) und Hände hoch! (Ręce do góry) (1967), «eine popkulturelle Klammer» bilden, so Filmhistorikerin Margarete Wach, «die auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs Osten und Westen verbindet – ein Phänomen, das angeblich nie existierte». Scheinbar fragmentarisch und ungehobelt, aber doch so stilvoll wie zurückgenommen etabliert Skolimowski, ein enger Freund des Jazzpianisten und Komponisten Krzysztof Komeda, bereits eine fast postmoderne Ästhetik in existenzialistischem Schwarzweiss: durchdrungen vom Freejazz-Geist einer Generation, die rauswill aus der Kriegswelt und beim Boxen, Jammen oder Lieben irgendwie auch dem Kommunismus und seinem schlechten Image trotzt. Sein Alter Ego, Antiheld Andrzej Leszczyc, lässt er in Besondere Kennzeichen: keine nach ausführlichem Zaudern freiwillig zu Musterung und Wehrdienst antreten, während er im Fortsetzungsfilm Walkover, von einer Nouvelle-Vague-Polski-Schönheit vor die Wahl «Boxring oder Industriefabrik» gestellt, letztlich zum körperbetonten Individualsport tendiert. Skolimowski steigt dabei selbst in den Ring. Er bleibt (auch als Regisseur) ein Einzelkämpfer, der in den unterschiedlichsten Milieus reüssieren wird. Seine Waffen sind die hintergründige Verschwiegenheit seiner Figuren ebenso wie ihre messerscharfen Dialoge – erstmals unter Beweis gestellt 1962, für den wohl bekanntesten polnischen Film der Ära, Roman Polanskis Das Messer im Wasser (1962).

 

Als 1967 die staatliche Zensur angesichts zu viel halluzinatorischer Selbstbefragung und Realitätsentfremdung einschritt und Hände hoch! verbot, hatte Skolimowski längst geografisch seinen Radius verlegt. Er reiste aus und pflegte seinen Autofetischismus erstmals nicht im poststalinistischen Umfeld, sondern liess Jean-Pierre Léaud (mithilfe einer nun französesken Göre und eines in irrer Verkleidung herumlaufenden «indischen Maharadschas») sein eigentliches Objekt der Begierde – einen schicken Porsche 911 – umschwirren und holte mit Le départ den Goldenen Bären ins Produktionsland Belgien. Unvergessen bleibt dabei das in den Auspuff des geliebten Automobils gesteckte Würstchen. Überhaupt bietet es sich an, die schon in Walkover dreisten Regieeinfälle (Menschen sehen in zufällig vor ihrer Nase vorbeigetragene Spiegel) mit den Verstellungskünstler-Scherzen in Le départ parallel zu sehen (das Sich-auf-die-Schienen-Legen vor die Strassenbahn, die dann in vollem Tempo rechtzeitig abbiegt).

 

Es sind ver- und entrückte, einsame und passionierte «Helden in Bewegung», die Skolimowski interessieren. Wie nebenbei verhilft er dabei dem Erotischen im Kino zu verzauberten Einstellungen. Ob Bikini-Modenschau oder Kofferraum-Rendezvous in Le départ oder die meisterlich skurrilen Schwimmbadszenen im vielleicht berühmtesten seiner Werke, Deep End (1970), diesem «Meilenstein des erotischen Arthouse-Films» (KochMedien) – im physio-psychischen Kino des Jerzy Skolimowski knistert es ordentlich ... oft unvorhergesehen absurd, oft dunkel-mysteriös.

 

Dies lässt sich nirgendwo so schön betrachten wie im ebenfalls prämierten Psychothriller mit Aboriginie-Tötungsmagie The Shout (Cannes 1978), wo ein irrer Alan Bates einem zu harmlosen John Hurt die Frau ausspannt, welche sich vor den Augen des Gemahls neben den fremden Lover kniet und ihm: die Hand leckt. Obsessiv ist allerdings auch jener fast manisch wiederholte Blick auf das Foto von Anna, den Jeremy Irons in Moonlighting (1982) als illegaler polnischer Arbeiter in London wirft, von wo aus er gemeinsam mit dem Regisseur die Entwicklungen im Polen der Solidarnosc-Ära verfolgt, gleichsam durch die Brille des Emigranten. Mehr als obsessiv sind schliesslich seine Helden im Comeback-Doppelschlag nach knapp 20-jähriger Regieunterbrechung: Einer verbringt da Vier Nächte mit Anna (Cztery noce z Anny) (2008), nachdem er sich wie ein Verbrecher einschleicht, dann aber nichts anderes tut, als diese zu beobachten und zu hüten, während der andere, Vincent Gallo als Taliban, quasi zwangsweise zum Tier wird, eine Frau überfällt und ihr: die Milch aus der Brust saugt (Essential Killing, 2010). Skolimowskis Kino ist Extravaganz als Kunst der Rebellion, verstörend und betörend zugleich. Er selbst ein Rocker-Gentleman in eigenbrödlerischer Verweigerungspose. Anziehend eben.

 

Barbara Wurm

weniger