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SPOOKTOBER

Ghosts


Aaah – sie sind hier! Zunächst harmlos… doch nicht lange. In unserem Spooktober-Programm «Ghosts» erscheinen geisterhafte Kreaturen auf der Leinwand: Ein Bett beginnt zu rütteln (The Exorcist), komische Geräusche sind zu hören (Paranormal Activity) und Nancy Thompson überkommen heftige Albträume von einem Mann, der einen Handschuh aus Messern trägt (A Nightmare on Elm Street). Die Geister begegnen uns auf den langen Fluren eines viktorianisch anmutenden Hauses (The Others), in den Wahnvorstellungen eines Jungen (The Sixth Sense) und der Chicagoer Wohnsiedlung Cabrini-Green (Candyman) – aber auch im Kinosaal selbst! Ob Kameraüberwachung (Paranormal Activity) oder Psycholog:innen (The Sixth Sense) helfen können, wird sich zeigen. Ein Gruselspass mit erstaunlichen Gestalten, beeindruckenden Filmtricks und aufwändigen Kostümen – von Stummfilmklassiker bis hin zu koreanischem Horror ist alles dabei! Ausserdem treffen sich alle Creatures of the Night beim Kult- Horror-Camp-Musical The Rocky Horror Picture Show.

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Die Zelluloid-Geister, die wir rufen

Seit jeher tauchen Geister im Kino auf, wo sie aus materiellen Gründen schon selbstverständlich zu Hause sind: Denn wenn Bild zu Bild gefügt und im Dunkeln durch eine optische Illusion Stilles phantasmagorisch zum Leben erweckt wird, ist das Jenseits selten weit. A match made in heaven, könnte man sagen, oder in limbo, in purgatory, oder wo immer sich die geisterhaften Seelen befinden.
Zu Beginn der Kinogeschichte tauchten Geister (im westlichen Kino) überraschend oft in komödiantischen Shorts auf. Dank filmischem Trick unterhielten erste kurze Filme ihre Zuschauer: innen wie gruslige Jahrmarktsattraktion mit fantastisch-humorvollen Pointen um geisterhafte Erscheinungen. Diese Tradition hat sich bis in die 1990er-Jahre hinübergerettet – etwa in die überaus unterhaltsame Comicverfilmung Casper (1995). In ihr reist die junge Kat mit ihrem alleinerziehenden Vater durchs Land, weil dieser unkonventionelle Therapien für steckengebliebene Seelen anbietet, um diese endlich ins Jenseits entlassen zu können. In einer herrschaftlichen Villa in New England treffen sie auf die liebenswerte Erscheinung Casper, der in Kat sofort eine Seelenverwandte entdeckt. «I wanna keep you», flüstert er ihr sehnsüchtig zu.
Bei allem bunten Klamauk kommt so selbst im familientauglichen Casper jene Melancholie auf, die durch Geistergeschichten oft weht: Wenn Casper an Halloween zumindest einige wenige Tanzschritte Arm in Arm mit Kat machen darf, sich dabei einen letzten Wunsch erfüllt, bleibt kein Herz unberührt.
Auch nicht, wenn Patrick Swayzes Sam in einer legendären Szene in Ghost (1990) mit seiner Molly im Nachthemd an einer Töpferscheibe sitzt, um mit einfühlsamen Griffen und zu den schmusigen Klängen von Unchained Melody vom Kreativen zum Erotischen überzugehen. Auf Trab gehalten von seinem Leben als Yuppie- Bänker verpasst es Sam, seiner Verlobten zu sagen, dass er sie liebt, bevor ihn ein bewaffneter Überfall jäh aus dem Leben reisst. Wenn er als Geist durch die Grossstadt wandelt, ist das Melodrama um Wiedergutmachung losgetreten. Einige dieser Plotpoints teilt Jerry Zuckers Ghost mit The Sixth Sense (1999), obwohl in Letzterem nicht von Anfang an klar ist, wer hier im Jenseits offene Rechnungen haben könnte – bis das Rätsel in den letzten Minuten mit einem legendären Twist endlich aufgelöst wird.
Mit dieser anfänglichen Ungewissheit lässt Regisseur M. Night Shyamalan eine ganze literarische Tradition aufleben: Durch unzuverlässiges Erzählen liess schon Henry James in seiner 1898 erschienenen Novelle The Turn of the Screw offen, ob einer jungen Gouvernante auf einem englischen Landsitz tatsächlich Geister begegnen oder sie nicht eher einen psychischen Zusammenbruch erleidet. James’ Erzählung lässt sich heute auch aus feministischer Warte lesen, funktioniert als elegante Metapher für Verdrängtes und ist ein Prototyp der westlichen Geistergeschichten des 20. Jahrhunderts. Und inspirierte etwa den stimmungsvollen Slow-Burner The Others (2001): Grace übernimmt in Abwesenheit ihres Mannes, der in den Zweiten Weltkrieg gezogen ist, stoisch das Heim und ist mit zunehmendem Stress auch mit immer seltsameren Vorkommnissen im düsteren Anwesen konfrontiert.
Auch Jayro Bustamantes La Llorona (2019) schöpft aus einer langen kulturellen Tradition: Er verwebt eine uralte südamerikanische Folklore um einen weinenden Frauengeist kunstvoll mit den Erinnerungen an jenen Genozid, der im Guatemala der 1980er-Jahre an indigenen Mayabäuer:innen begangen wurde. Gespenster füllen in diesen Geschichten Leerstellen, drücken Bedrängnis und uralte Rachegelüste aus. Auch im südkoreanischen Geisterfilm A Tale of Two Sisters (2003): Basierend auf einem Volksmärchen wird in ihm ein Vater zum unbeholfenen Beiwohner eines Familiendramas mit übernatürlichem Anstrich, das sich zwischen seiner neuen Frau und den beiden Töchtern aus erster Ehe entzündet.
Mit Vorliebe liessen schon alte Spukgeschichten (ausgerechnet) rationale Menschen, Wissenschaftler:innen, Ärzt:innen oder Detektiv: innen, erstaunt das Jenseitige entdecken. Das geschah 1992 in Candyman nochmals, wenn die Soziologin Helen für ihre Recherche in eine prekäre Wohnsiedlung reist, um einem urbanen Mythos nachzugehen. In Nia DaCostas gelungenem Remake von 2021 ist die Siedlung in Chicago zwar längst gentrifiziert, aber der mörderische Candyman lässt als gespenstische Hinterlassenschaft den prekären Zustand, den die Bewohner:innen einst zu dulden hatten, nochmals gegenwärtig werden.
Um Gentrifizierung – und ganz und gar moderne Gespenster – geht es auch in Poltergeist (1982). Die junge Familie Freeling bezieht im (nur scheinbar) seelenleeren Vorort ihr brandneues Häuschen. Und lebt den amerikanischen Traum, bis sich die Geister jener melden, die das Land einst bewohnten, bevor man es sich mit modernen Siedlungsfantasien und Bauprojekten unter den Nagel riss.
Als astreine Horrorfilme machen Candyman und Poltergeist mit Jump-Scares und spassigblutigen Effekten ihren Schrecken explizit, werden zur nervenkitzelnden Geisterbahnfahrt. Der metaphorische Gehalt, der in Geistergeschichten so oft wohnt und von Missständen erzählt, bleibt trotzdem bestehen.
In Poltergeist meldet sich das Jenseitige ausgerechnet über das statische Rauschen des Fernsehens. Neue Medien, die wie von Geisterhand gelenkt sind, kommen in modernen Geistergeschichten immer wieder vor. Wie sehr Geist und Technik in ihnen zusammengehören, zeigt auch Paranormal Activity, der 2007 als Riesenerfolg ein Horror- Franchise lostrat. Mit geringen Mitteln produziert (und grossem Budget vermarktet), erzählt Oren Pelis äusserst geschickt inszenierter Pseudo-Found-Footage-Film von einem Paar, das mit digitaler Dauerüberwachung heimischen Spuk registriert. Mit diesen technologischen Mitteln versuchen sie, das Jenseitige zu «channeln», während auch die Risse im Liebesleben auf den Digicam-Bildern immer deutlicher aufscheinen.
Wann immer uns Geister via moderner Medien besuchen, müssen wir uns fragen, ob nicht wir die gespenstigen Besucher:innen einer Parallelwelt sind, zu der wir nur halb gehören, wenn wir im dunklen Kinosaal – scheinbar entmaterialisiert – die Geschichten auf der Leinwand beobachten. Diese Frage stellt A Ghost Story (2017), ein unkonventioneller Indie-Film, der sich als melancholische Geschichte einer zu früh beendeten Beziehung, aber auch als fantasievolle Allegorie aufs Kino lesen lässt. «C» lässt nach einem tödlichen Autounfall seine Frau «M» zurück. Im stereotypen Bettlaken-Gewand beobachtet er unbemerkt das Geschehen, das sich in langen, malerischen Einstellungen auch vor unseren Augen entfaltet. Der Geist und wir: In David Lowerys Indie-Drama werden wir eins.
Geisterfilme handeln vom Tod und dem Danach und werfen jene existenziellen Fragen auf, die uns Lebendigen notgedrungen gestellt sind. In dem Sinne: Happy Haunting im Kinosaal!

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