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Filmreihe

 
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Lordan Zafranović

Gleissendes Kino wider das Vergessen


Lordan Zafranovićs Kino erzählt von den epischen Kontrasten des Mittelmeers, von der flirrenden Nachmittagshitze über den Köpfen der Menschen, deren Lebenswelten so zerklüftet sind wie Dalmatiens wunderschöne Küstenlandschaften. Schon mit seinem Spielfilmdebüt Sonntag 2 bewegt sich der jugoslawische Filmemacher dabei ganz nah am Lebensgefühl der Menschen und ihrem Alltag. Als prägende Figur der Erneuerungsbewegung der Schwarzen Welle erfand Zafranović mit seinem Kultfilm Okkupation in 26 Bildern das Genre des jugoslawischen Partisanenfilms neu: Vor dem Hintergrund der üppigen mediterranen Kulisse kontrastierte er die Lebensfreude einer glücklichen Jugend mit der Ankunft des Bösen durch den Faschismus und dem damit einhergehenden Zerfall der Gesellschaft. Zafranović stellt sich mit seinen Filmen voller Leben und lauernder Katastrophen gegen das Vergessen der eigenen Geschichte.

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Und so führt er in seinem im Exil fertiggestellten apokalyptischen Bildersturm-Epos Der Jahrhundertuntergang (Das Testament des L.Z.) dialektisch von den historischen Schüssen in Marseille bis in die Gegenwart der Neunzigerjahre. Das Stadtkino Basel freut sich sehr, den dalmatinischen Maestro im November persönlich in Basel zu begrüssen! Erstmals in der Schweiz zeigt es die wichtigsten Werke dieses Besessenen des Kinos in einer zehnteiligen Retrospektive.

 

Mit Lordan Zafranović ehrt das Stadtkino Basel einen der ganz Grossen des jugoslawischen Kinos. Doch wer nun die üblichen Balkan-Klischees oder Partisanen-Western erwartet, hat falsch getippt. Zafranović ist ein hochpolitischer Autor. Seine Heimat ist Dalmatien, die traumhaft schöne östliche Adriaküste mit ihren vorgelagerten Inseln. Dalmatien – das ist die Méditerranée der griechisch-lateinischen Kultur mit ihren Helden- und Göttersagen. Das sind venezianische Stadtburgen mit italienischsprachigem Patriziat und slawischem Hinterland. Das ist katholisches Kreuzrittertum im Kampf gegen byzantinisch-osmanische Eroberer. 1918 schloss sich Dalmatien dem neugegründeten Jugoslawien an, heute gehört es zu Kroatien.

 

Lordan Zafranović visualisiert das dalmatinische Lebensgefühl intensiv und virtuos. Er fängt die Menschen in ihrem Alltag ein, beobachtet ihre Gewohnheiten und die Wirkung der mediterranen Mittagshitze auf ihr Gemüt. Er interessiert sich für Situationen, wo gute Zeiten wegbrechen und in Katastrophen münden, schreckt vor dem Blick auf die Wurzeln des Bösen nicht zurück: Gleich griechischen Göttersagen stellen solche Zeiten die Menschen auf die Probe und enthüllen den Kern ihres Wesens. Wegen seiner unbestechlichen, humanen Geisteshaltung musste Zafranović seine Heimat beim Ausbruch der Jugoslawien-Kriege Anfang der 1990er-Jahre verlassen. Seine Filme verschwanden im Bunker – heute geniessen sie Kultstatus.

 

Achtzig Filme und die Mitarbeit an weit über hundert Drehbüchern umfasst das Opus dieses Besessenen des Kinos. Seine Filmkarriere begann das Naturtalent mit 16 Jahren im Kinoklub von Split, wo er nach dem Zweiten Weltkrieg seine Kindheit und Jugend verbrachte. Mit einer 8mm-Kamera experimentierte er mit Bild und Ton, Raum und Zeit. Schon damals entwickelte der Kurzsichtige mithilfe von Mustererkennung und Schärfeneinstellung seine unverwechselbare formale Handschrift.

 

1966 wechselte Zafranović ins professionelle Fach und zog nach Zagreb. Er wurde zum Mitbegründer des legendären selbstverwalteten Film-Autor-Studios (FAS) um den Produzenten Kruno Heidler. Es entstanden die eindrücklichen, formal völlig unterschiedlichen schwarzweissen Kurzfilme Nachmittag (Das Gewehr) und Passanten 2, die beide zur Schwarzen Welle des jugoslawischen Kinos zählen. Diese hochinnovative und zugleich sozialkritische cineastische Strömung der 1960er- und frühen 1970er-Jahre, zu welcher u.a. Dušan Makavejev (W.R. – Misterije organizma, 1971) und Aleksandar Saša Petrović (Skupljači perija, 1967) zählen, wurde von den staatlichen Zensurbehörden scharf kontrolliert, da sie dem politischen System den Spiegel vorhielt.

 

Zafranović eröffnete sich zunächst die Möglichkeit, an der Prager Filmschule FAMU bei Oscar-Preisträger Elmar Klos zu studieren. In seinem ersten Langspielfilm für die grosse Leinwand, Sonntag 2, lässt er 1968/69 sechs Menschen im Stil der Nouvelle Vague durch einen nur scheinbar langweiligen Sonntag in seiner Heimatstadt Split treiben. Beim Liebemachen, Zigarettenkaufen und Mittagessen begegnen sie allerlei skurrilen ZeitgenossInnen, bis sie schliesslich einen Bus kapern und in einer wilden Verfolgungsjagd durch die Stadt rasen. In der hochpolitisierten Zeit nach der Niederschlagung des Prager Frühlings geriet damit auch Zafranović in ernsthafte Schwierigkeiten mit der Zensur. In Prag mit Bestnoten ausgezeichnet, etikettierte die kroatische Zensurbehörde Sonntag 2 als «schwarzen Film» und belegte ihn mit einem Aufführungsverbot.

 

Nun griff Zafranović zur Farbe. In Walzer (Mein erster Tanz), einer ebenso gekonnten wie lausbübischen Hommage an den legendären Spliter Tanzmeister Juti, stülpte er die innere Gedankenwelt seiner ProtagonistInnen mit Mitteln der Groteske nach aussen. Im Laufe eines Balles wachsen den TänzerInnen Blumen, Narben oder gar ein Kotelett aus dem Gesicht. Im selben Jahr drehte er mit Ave Maria (Mein erstes Besäufnis) ein erstes Mal auf der Insel Šolta, in seinem Geburtsort Maslinica. Die Sonne und die Kirchglocken strukturieren das harte Leben der Fischer und HirtInnen. Ein kleiner Hirtenjunge löscht in der förmlich spürbaren flirrenden Hitze seinen Durst mit Wein. Seine Ziege überlebt den trunkenen Furor des kleinen Bacchus nicht. Prompt sah die Zensurbehörde im roten, toten Tier einen Angriff auf die Kommunistische Partei und verbot auch diesen Film.

 

In Kroatien mit einem faktischen Berufsverbot belegt, versuchte Zafranović sein Glück in der jugoslawischen Hauptstadt Belgrad. Das Treffen mit dem Dramaturgen und Schriftsteller Filip David erwies sich als schicksalhaft. David führte ihn in den legendären Literatenkreis um den international gefeierten Schriftsteller Danilo Kiš ein, der damals zwischen Belgrad und Frankreich pendelte. Dazu gehörte auch Mirko Kovač, dessen Werke längst Klassiker der serbischen und kroatischen Literatur sind. In ihm fand Zafranović seinen kongenialen Drehbuchpartner. In den Belgrader Kaffeehäusern diskutierte der Künstlerzirkel Sartres Existentialismus ebenso wie das Scheitern der Jugendbewegung und die Frage, wie dem sich bereits in den 1970er-Jahren ausbreitenden Nationalismus in der jugoslawischen Föderation ein Riegel geschoben werden könnte. Zafranović, Kovač und David suchten einen geeigneten Stoff, um die jugoslawische Öffentlichkeit mit filmischen Mitteln zu warnen. Bis Ende der 1980er-Jahre arbeiteten sie eng zusammen und schufen das zentrale Meisterwerk des Regisseurs, die «Kriegstrilogie» mit Okkupation in 26 Bildern (1978), Der Fall Italiens (1981) und Abendglocken (1986).

 

Aus verschiedenen Perspektiven und formal sehr unterschiedlich beleuchten die drei Werke die zersetzende Wirkung der deutsch-italienischen Okkupation 1941-1945 auf die Gesellschaft sowie die Verantwortung der kommunistischen RevolutionärInnen in Widerstand und Neuanfang. Die Bilder, die Zafranović für Okkupation in 26 Bildern fand, um die Warnung vor der Wiederkehr des Nationalismus ins Visuelle zu übersetzen, lassen niemanden kalt. Vor der betörend schönen Kulisse Dubrovniks verfolgt das Publikum das Schicksal dreier verwöhnter jugendlicher Freunde kroatischer, jüdischer und italienischer Abstammung. Als ihr Alltag und die Dubrovniker Gesellschaft durch das faschistische deutsch-italienische Besatzungsregime zerrissen wird, müssen die drei Stellung beziehen. Das auf den Erinnerungen eines Dubrovniker Anwalts sowie Archivdokumenten beruhende Epos zeigt exemplarisch die zerstörerische Dynamik von mit Nationalismus und Rassismus gepaartem Imperialismus, welcher Hass und Gewalt schürt sowie Gesellschaft und Familien spaltet. In Der Fall Italiens dreht Zafranović erneut auf Šolta. Partisanenkommandant Davorin (Daniel Olbrychski) muss sich entscheiden, ob der Zweck alle Mittel heiligt, ob das höhere Ziel über dem privaten Glück steht. Als Grundlage des Drehbuchs dienen auch hier Archivmaterial sowie die Kriegserinnerungen der LaiendarstellerInnen. Im Mittelpunkt von Abendglocken steht dagegen ein Revolutionär (Rade Šerbedžija), der sich der Anstiftung zum Brudermord schuldig macht. Die in Ćilipi bei Dubrovnik gedrehte Verfilmung von Kovačs Erfolgsroman Vrata od utrobe (1978) ist zugleich die Chronik eines jungen Mannes, der aus der ländlichen Idylle der Herzegovina in die grosse Stadt zieht.

 

Okkupation in 26 Bildern lief 1979 in der Séléction in Cannes und wurde zum erfolgreichsten jugoslawischen Film des Jahres, ebenso in der Tschechoslowakei. Die Weigerung des Regisseurs, eine unbarmherzige, zentrale Szene eines Massakers in einem Autobus zu kürzen, kostete ihn eine Oscar-Nominierung. «Jeder ist selbst für seinen Lebensweg verantwortlich», so lautet Zafranovićs wiederkehrende Botschaft. Hätte er sich der Forderung der Produzenten gebeugt, wäre die innere Konstruktion des Filmes zerstört worden und die von den Autoren beabsichtigte Wirkung des Filmes verloren gegangen. Wegen der Darstellung italienischer Kriegsverbrechen in der östlichen Adria löste Der Fall Italiens an der Biennale von Venedig 1981 eine heftige Polemik unter italienischen FilmkritikerInnen aus. 1982 erhielt er den Grand Prix von Valencia. Abendglocken gewann am jugoslawischen Filmfestival von Pula 1986 die Goldene Arena für die beste Regie, wurde jedoch von der Zensur als antikommunistisch eingestuft und bisher kaum im Ausland gezeigt.

 

In den ersten freien Wahlen in Kroatien 1990 wurde mit Franjo Tuđman ein Politiker Präsident, welcher die Kriegsverbrechen des faschistischen kroatischen Ustaša-Staates NHD 1941–1945 relativierte und dessen Symbole wieder salonfähig machte. Bald nach Kriegsausbruch 1991 liess er Zafranović, der sich seit Mitte der 1980er-Jahre intensiv mit dem Ustaša-Konzentrationslager Jasenovac beschäftigte (Krv i pepeo Jasenovca, 1985) und der 1986 den Kriegsverbrecherprozess gegen Andrija Artuković, den von den USA ausgelieferten ehemaligen Innenminister des Ustaša-Staates, gefilmt hatte, zum Landesverräter erklären. Der streitbare Regisseur, der sich in diesen Jahren auch aktiv in der Politik engagiert hatte, floh, im Gepäck den Rohschnitt seines neuen Films. Während er 1992 im Pariser und Prager Exil den Horror des Kroatien- und des Bosnien-Krieges am Fernsehen verfolgte, montierte er den Film zu einer kraftvollen, schonungslosen und formal völlig eigenständigen Abhandlung über Kroatiens faschistische Vergangenheit. Der Jahrhundertuntergang (Das Testament des L.Z.) (1993) ist ein Meisterwerk der europäischen Kinematografie über die Tragödien des 20. Jahrhunderts. Zugleich ist es eine Anklage gegen die geschichtsrevisionistische Politik des kroatischen Präsidenten Tuđman und seiner AnhängerInnen. Eine breite öffentliche Diskussion des Films ist im offiziellen Kroatien bis heute nicht möglich. Zafranović, im gesamten ehemaligen jugoslawischen Raum eine prominente Figur, eine Art öffentliches Gewissen, der klar ausspricht, was viele aus Angst nicht wagen, bleibt in seiner kroatischen Heimat eine Persona non grata. Wie Jasna Nanut vom kroatischen Regisseuren-Verband anlässlich seines 55. Berufsjubiläums 2019 schreibt, ist jedoch auch dort die Wiederentdeckung dieses Grossen der kroatischen und jugoslawischen Kinematografie unausweichlich.

Prof. Dr. Nataša Mišković
 

Diese Retrospektive ist Teil eines vom Fonds zur Förderung von Lehre und Forschung der Freiwilligen Akademischen Gesellschaft FAG geförderten Projekts, das auch eine Lehrveranstaltung an der Universität Basel umfasst. Wir bedanken uns herzlich bei unserer Co-Kuratorin Nataša Mišković, die diese Reihe überhaupt erst möglich gemacht hat.

 

Wir danken Lordan Zafranović, dem Kroatischen Staatsarchiv und dem Tschechischen Fernsehen für die Bereitstellung von Filmkopien und Filmstills sowie der FAG Basel und der Universität Basel für die freundliche Unterstützung dieser Reihe.

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