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Filmreihe

 
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Gian Maria Volonté

Und die Linke ballt die Faust!


Er war streitbar, er hatte Haltung, ein Method Actor durch und durch, der sich monatelang auf den nächsten Dreh vorbereitete. Er nahm nur die Rollen an, die ihm zusagten, gab alles und forderte dafür von seinen Regisseuren grosse Autonomie. Das machte ihm nicht nur Freunde. Aber es machte ihn zum grössten italienischen Schauspieler seiner Generation. Gian Maria Volonté glaubte an die politische Vision der Linken und wollte sie in seinen Filmen unbedingt reflektiert sehen. Er war eine schauspielerische Rampensau – privat eher schüchtern. Ein Unglücklicher und Getriebener, der dem italienischen Kino absolute Sternstunden bescherte.

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Berühmt wurde er als schurkischer Gegenspieler Clint Eastwoods in Sergio Leones Dollar-Trilogie, unvergesslich in seinen sozialkritischen Rollen als skrupelloser Chefredakteur in Marco Bellocchios Sbatti il mostro in prima pagina, rebellierender Arbeiter in Elio Petris La classe operaia va in paradiso, als progressiver Ölmagnat in Francesco Rosis Il caso Mattei, aufrechter Journalist in Claude Gorettas La mort de Mario Ricci oder unerschrockener Richter in Gianni Amelios Porte aperte. Das Stadtkino Basel widmet dem unermüdlichen Kämpfer eine Hommage, die seinen Furor, seine Ausdruckskraft und Schaffensvielfalt feiert.

 

«Being an actor is a matter of choice that above all takes place at an existential level: either you express the conservative structures of society and are nothing more that a tool in the hands of power, or you address the progressive components of this society in an attempt to settle a revolutionary relation between art and life.» (Gian Maria Volonté)

 

Links schlägt das Herz und wenn es sein muss, folgt ihm auch die Faust. Gian Maria Volonté hat aus seiner politischen Haltung nie ein Hehl gemacht – sie bildete vielmehr das Fundament seiner Arbeit. Volonté war einer jener italienischen Linken, die es heute nicht mehr gibt, weil es die italienische Linke, ja, eigentlich überhaupt «die Linke» nicht mehr gibt. Jedenfalls nicht mehr in jener von Volonté in seinen Figuren immer wieder repräsentierten Form: aufrecht und aus heutiger Sicht fast schon naiv anmutend, selbstsicher und klar orientiert über den Verlauf der Fronten. Freilich, damals, in einer weder globalisierten noch digitalisierten Welt, waren die Konfliktfelder überschaubarer. Wer sich also mit Volontés Œuvre beschäftigt, der bekommt es auch mit einer historischen Weise der politischen Auseinandersetzung zu tun, mit einem Verständnis der Machtverhältnisse, dem der Begriff «Klassenkampf» kein antiquiertes und nur noch selten gebrauchtes Wort ist, sondern zentrales Argument und tägliche Praxis zugleich. Dabei hat Volonté gerade zu Beginn seiner Karriere eine ganze Reihe von Übeltätern derart überzeugend verkörpert, dass sich viele an ihn in erster Linie als einen Darsteller von «Heavies» erinnern – eine eingeschränkte Wahrnehmung, die dem Werk des Mannes in keiner Weise gerecht wird.

 

Gian Maria Volonté wurde am 9. April 1933 in Mailand geboren. 1957 schloss er eine Ausbildung zum Schauspieler an der Accademia d’Arte Drammatica in Rom ab. Danach arbeitete am Theater und fürs Fernsehen, bevor er 1960 in Duilio Colettis Sotto dieci bandiere seine erste kleine Rolle in einem Film übernahm. Einige Jahre vergingen mit kurzen Auftritten und Nebenrollen, bis Volonté als Ramón Rojo in Sergio Leones Italowestern-Initialzündung Per un pugno di dollari (1964) international Beachtung fand. Mit der Figur des El Indio in Per qualche dollaro in più (1965), dem zweiten Kapitel von Leones «Dollar-Trilogie», legt er dann allerdings noch ein paar Schippen drauf; Volonté schafft hier den Italowestern-Typus des zynisch entfesselten Bad Guy in einer Dichte und in einem Facettenreichtum, die bis heute ihresgleichen suchen: einen charismatischen Irren, ein bösartiges Kind, einen infantilen Sadisten, einen Mann ohne jede Moral, der doch von seinem schlechten Gewissen gepeinigt wird und der keine Ruhe mehr findet, mag er noch so viel kiffen. Volontés El Indio ist ein grausamer (Alp-)Träumer, ein heimtückischer Despot, und dabei doch armselig und schutzbedürftig und todtraurig – und mit einem Schlafzimmerblick aus grünen Augen unter dichten Wimpern gesegnet, der Leones Machofantasie wortlos unterminiert. (Vergleichbar subversiv funktioniert eine kurze Szene in Jean-Pierre Melvilles Le cercle rouge (1970), in der Vogel (Volonté) seinem Räuberkumpan Corey (Alain Delon) vom Fenster aus nachblickt – und dabei eine rote Rose in den Fingern dreht, die jener kurz zuvor in einem Nachtclub erhielt ... ja, man fragte sich ohnehin, was wohl zwischen den beiden läuft.)
Die Figur des Kriminellen – Bandit, Gangster, Mafioso – ist als Variante des Outlaw, des ausserhalb des Gesetzes Stehenden, immer auch als eine Figur zu begreifen, die sich in Opposition zur gesellschaftlichen Ordnung befindet; und zwar unabhängig davon, ob sie selbst mit dieser Positionierung nun eine politische Agenda verfolgt oder nicht. Oftmals ist eine Zerrissenheit der Figur die Folge, die sich als charakterliche Undurchsichtigkeit spiegelt. Beispiel: Volontés El Chuncho in Damiano Damianis Quién sabe? (1967), ein skrupelloser Räuber, der an der mexikanischen Revolution verdient und zunächst lediglich auf seinen eigenen Vorteil bedacht scheint; der sich im Zuge der militanten Auseinandersetzungen jedoch als lernfähig erweist und am Ende sogar als verantwortlich agierendes Subjekt der eigenen Geschichte durchgeht.
Dass Gewalt ein zum Erreichen revolutionärer Ziele notwendiges Mittel ist, steht für Volontés Figuren weder hier noch überhaupt zur Debatte. Der Prozess der Veränderung einer ungerechten Gesellschaft hin zu einer gerechten ist ein schmerzhafter und beginnt mit dem Durchschauen der Machtverhältnisse. Opfer werden gefordert und müssen gebracht werden. Das weiss der Inspektor, der in Elio Petris wie halluziniertem Indagine su un cittadino al di sopra di ogni sospetto (1970) seine Geliebte umbringt, um anhand der Ermittlungen – die um ihn, den wahren Schuldigen, den vorhersehbar grossen Bogen machen – die Korruption des Polizeiapparates blosszustellen. Das weiss auch Leutnant Ottolenghi in Francesco Rosis bitterem Erster-Weltkrieg-Drama Uomini contro (1970), der sein Gewissen mit in den Krieg gebracht hat, wo es nichts zu suchen hat. Bis nach Rom will er und die Verantwortlichen für diesen hoffnungslosen Stellungskrieg in den Alpen mit dem Gewehr zur rechenschaft ziehen; bevor er, als Kollateralschaden, zwischen den Linien fällt. Und erst recht weiss es natürlich Bartolomeo Vanzetti, den Volonté 1971 in Sacco e Vanzetti, Giuliano Montaldos Rekonstruktion des berüchtigten US-amerikanischen Justizmordes an den beiden gleichnamigen Immigranten/Anarchisten, mit so grosser Würde und Entschlossenheit darstellt.

 

Was an Volontés Filmografie auffällt: Strahlende Proletarierhelden, die die unterdrückten Massen einem rotglühenden Sonnenaufgang entgegenführen, finden sich darin nicht. Kontroverse Figuren hingegen, die für schwierige Konflikte ambivalente Lösungen anbieten, gibt es reichlich. Volonté hat keine Berührungsängste mit dem (Klassen-)Feind, er verleiht ihm – wie zum Beispiel als Chefredakteur einer rechtskonservativen Zeitung in Marco Bellocchios Sbatti il mostro in prima pagina (1972) – vielmehr mit gleichem Engagement Gestalt. Weil es der aufklärerischen Sache dient, anhand einer Figur und ihrer Geschichte die Fehler im System zu zeigen, ja, das ganze System als den eigentlichen Fehler zu entlarven. Also spielt er einen Richter, der dem faschistischen (Un-)Rechtssystem auf den Zahn fühlt (Porte aperte, Gianni Amelio, 1990). Er spielt den Unternehmer Enrico Mattei, der sich in der Nachkriegszeit mit grossen US-Konzernen anlegt und dafür mit dem Leben bezahlt (Il caso Mattei, Francesco Rosi, 1972). Und er spielt einen engagierten Journalisten, der in einem kleinen Schweizer Ort über der Scheinheiligkeit und Fremdenfeindlichkeit seiner Bewohner alle idealistischen Illusionen verliert (La mort de Mario Ricci, Claude Goretta, 1983).

 

Mit Elio Petri und Francesco Rosi arbeitete Volonté im Laufe seiner Karriere mehrfach zusammen. Und es sind die Figur des Fabrikarbeiters Lulù Massa in Petris La classe operaia va in paradiso (1971) sowie die des Schriftstellers Carlo Levi in Rosis Cristo si è fermato a Eboli (1979), die an den jeweiligen Enden eines bemerkenswert breiten schauspielerischen Spektrums stehen: lautstark hysterisch der eine in einem schier atemlosen Arbeiter-Agitationsstück, still und beobachtend der andere in einer gemächlichen Studie des bäuerlich geprägten Südens. Der mit dem hingebungsvollen Overacting einer entfesselten Rampensau gegebene Lulù Massa und der mit minimalistischen Mitteln maximal ausdrucksstark gespielte Carlo Levi – zwei Figuren, deren jeweilige Existenz doch zur Gänze um die Frage kreist, wie aus den Objekten der Unterdrückung Subjekte einer revolutionären Bewegung werden sollen. Kurz: Bestimmt das Sein das Bewusstsein oder das Bewusstsein das Sein?

 

Gian Maria Volonté, der ein Leben lang versuchte, in seiner Arbeit die Implikationen dieser Frage in ihrer ganzen Komplexität darzustellen, und der für dieses Bemühen mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde, starb am 6. Dezember 1994 im Alter von 61 Jahren während der Dreharbeiten von Theodoros Angelopoulos' To vlemma tou Odyssea an einem Herzinfarkt. Und die Linke ballt die Faust.

 

Alexandra Seitz

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