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Filmreihe

 
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Queer Cinema

16. Mai – 18. Juni


Let’s celebrate queer stories! Mit filmhistorischen Meilensteinen, Kurzfilmprogramm, Must-See-Kultfilmen und Kinopremieren. Das Programm spürt der bewegten Geschichte des Queer Cinema nach, dem Kampf um Freiheit, Sichtbarkeit und Gleichstellung. Von den Anfängen der westlichen Lesben- und Schwulenbewegung in den 1970er-Jahren bis zur sexuellen Befreiung der LGBTQIA+-Community der Gegenwart. Trash-Spektakel (Pink Flamingos) treffen auf bildgewaltige Historienfilme (Edward II, Foudre). Heiter-sensible (My Own Private Idaho) auf schillernde (The Adventures of Priscilla, Queen of the Desert) Roadmovies. Harlems pulsierende Drag-Ball-Szene der 1980er-Jahre (Paris is Burning) auf queere Gegenwarten in Berlin (Drifter). Mit Gesprächen nach exklusiven Filmpremieren, Get-together mit Konzert, einer Drag-Show und Karaoke während Bildrausch Filmfest Basel.

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Am Anfang waren es vereinzelte Stimmen, verteilt über Kontinente und Jahrzehnte: Leontine Sagans Mädchen in Uniform (1931), Kenneth Angers Fireworks (1947), Jean Genets Un chant dʼamour (1950), Shirley Clarkes Portrait of Jason (1967) und natürlich Rosa von Praunheims Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt (1970). In den Siebzigern wurden die Stimmen zahlreicher, verdichteten sich zu dem, was als «Queer Cinema» in die Filmgeschichte eingehen sollte. Als Geburtshelferin fungierte die «gay liberation », die Schwulen- und Lesbenbewegung, die in den USA und Westeuropa gegen die juristische, soziale und kulturelle Diskriminierung von Homosexualität antrat. Kein Wunder also, dass dieses Minderheitenkino von Anfang an eine gesellschaftspolitische Dimension hatte, denn es entstand in einer Zeit, in der Homosexualität fast überall auf der Welt strafbar war. Gerade deswegen wollten queere Filmemacher: innen nun vor allem eigene Bilder schaffen: Bilder von Schwulen und Lesben für Schwule und Lesben über Schwule und Lesben – kurz: «films by, for and about». Dahinter stand die jahrzehntelange Erfahrung, dass der Mainstream zwar immer schon homosexuelle Figuren zeigte – fast immer unter Rückgriff auf dämliche oder monströse Klischees –, dass es aber so gut wie keine Filme über Homosexualität gab. Demgegenüber thematisierte das Queer Cinema von Anfang an spezifisch schwule und lesbische Lebenslogiken und Erfahrungshorizonte – Sachverhalte, die heterosexuellen Regisseur:innen und Zuschauer:innen weder zwangsläufig bekannt noch ohne Weiteres zugänglich sind. In den 1980er-Jahren schlug sich das vor allem in zwei Tendenzen nieder: Die einen wählten die Strategie der Affirmation und erzählten nach dem Motto «gay is good» Geschichten, in denen es vor allem darum ging, Homosexualität überhaupt sichtbar zu machen und als etwas Gutes darzustellen. Künstlerische Ambitionen standen dabei weniger im Vordergrund. Wichtiger war, dass Filme wie Desert Hearts (1985) oder Parting Glances (1986) immer auch einen therapeutischen Aspekt hatten, der dem Queer Cinema bis heute innewohnt: Queere Menschen sollten endlich Zugang zu positiven Bildern über sich selbst erhalten. Andere, wie Rosa von Praunheim, John Waters, der frühe Pedro Almodóvar oder Derek Jarman mit Caravaggio (1986), setzten auf Konfrontation, gingen nicht zimperlich – und als Folge der Aidskrise oft zornig – vor. Sie scherten sich weder um politische Korrektheit noch um Allgemeinverständnis, sondern machten sich über bourgeoise Lebensentwürfe lustig oder riefen ihr Publikum zum Widerstand gegen homophobe Missstände auf. Zu Beginn der 1990er-Jahre machte sich das «New Queer Cinema» bemerkbar. In My Own Private Idaho (1991), Paris Is Burning (USA 1991) und Poison (1991), in den Arbeiten von Sadie Benning und Monika Treut, später auch in The Watermelon Woman (1996) ging es nun verstärkt um Teilminderheiten der gay community: Afroamerikaner: innen, Jüdinnen und Juden, Stricher, Drag Queens und Drag Kings. Ausserdem wurde mit dem Motto «gay is good» gebrochen, sodass queere Figuren jetzt auch vielschichtig, widersprüchlich, streitbar, unsympathisch, straffällig oder moralisch verwerflich sein durften. Mitte der 1990er-Jahre kamen vermehrt Filme heraus, die das Affirmative der Achtzigerjahre beibehielten, auf Politisches aber weitgehend verzichteten und auch kein künstlerisches Neuland betreten wollten. Es entstanden romantische Komödien, Beziehungsdramen, Comingof- age-Geschichten, Road Movies und Sex- komödien – Filme, die sich selbstbewusst und lustvoll die Muster des Mainstreamkinos aneigneten: The Adventures of Priscilla, Queen of the Desert (1994), Beautiful Thing (1996), Fucking Åmål (1999). Die Kritik – auch aus dem queeren Umfeld – belächelte sie nicht selten als «feel good movies» mit einer Neigung zu inhaltlicher, ästhetischer und politischer Harmlosigkeit. Darin war jedoch nicht nur eine Ablehnung dem populären Kino gegenüber enthalten, sondern auch die – normative – Auffassung, das Queer Cinema habe politisch und/oder ästhetisch wertvoll zu sein. Das war einerseits mehr frommer Wunsch als Realität, denn natürlich gab und gibt es auch im Queer Cinema mittelmässige und missglückte Filme. Andererseits lag darin insofern eine gewisse Ironie, als es ja gerade das Normative war, das die gay liberation aufbrechen wollte, indem sie der heterosexistischen Dominanz den Kampf ansagte. Sprach man in den 1970er- und 1980er- Jahren hauptsächlich von «gay» und «lesbian», später vermehrt von «queer», setzt sich seit den 2000er-Jahren das Kürzel «LGBTQIA+» durch, das sämtliche Geschlechter, Geschlechtsidentitäten und sexuellen Orientierungen umfasst, die nicht der zweigeschlechtlichen Gesellschaftsordnung und der damit verbundenen Heteronormativität entsprechen (wollen). Diese Erweiterung widerspiegelt sich auch im jüngeren Queer Cinema: Sowohl im Dokumentar- als auch im Spielfilm kommen nun besonders transgender und intersexuelle Figuren und Themen hinzu, etwa in XXY (2007), Laurence Anyways (2012), Una mujer fantástica (2017), Girl (2018) oder Petite fille (2020). Auch sind vermehrt transgender und nonbinäre Schauspieler:innen zu sehen, wird die Forderung nach Abschaffung genderspezifischer Preiskategorien wie «Beste Schauspielerin» und «Bester Schauspieler» immer lauter und – wie das Beispiel Berlinale zeigt – erfolgreicher gestellt. Formal bewegt sich das jüngere Queer Cinema (ähnlich wie das jüngere feministische Kino) zwischen Mainstream und Arthouse, ausserdem hat es längst auch in das sogenannte «Quality TV» Eingang gefunden. Die Geschichte des Queer Cinema darf heute als Erfolgsstory gewertet werden, denn sie ist eine Geschichte der Befreiung und Selbstermächtigung. Über zwei Dinge sollte sie jedoch nicht hinwegtäuschen: Zum einen entstehen queere Filme vor allem in Ländern, die dem Modell der westlichen Demokratie nahestehen. Wo nicht-heterosexuelles Leben mit deutlich prekäreren Voraussetzungen konfrontiert ist – weil nicht akzeptiert oder nach wie vor strafrechtlich verfolgt –, entstehen dagegen kaum queere Filme. Die wenigen Beispiele aus Ostund Südosteuropa, Lateinamerika, Asien und Afrika bilden die Ausnahmen, die diese Regel bestätigen – darunter Bixa Travesty (2018) und Rafiki (2018) sowie jüngst Joyland (2022). Zum anderen zeigt sich auch im jüngeren Queer Cinema, was für das Kino an sich gilt: Das Filmgeschäft funktioniert nach wie vor unter den Bedingungen einer männlichen und weissen Dominanz. Entsprechend sind die schwulen Filme mit Abstand die zahlreichsten, während alle anderen, für die das Kürzel LGBTQIA+ auch steht, nach wie vor die Minderheit in der Minderheit bilden. Dennoch, die Filmreihe des Stadtkinos bietet die perfekte Gelegenheit für alle, an dieser Erfolgsstory teilzuhaben: sei es, um Meilensteine aus der Geschichte des Queer Cinema (wieder) zu entdecken, sei es, um in die Vielfalt des aktuellen Filmschaffens einzutauchen.

 

Philipp Brunner ist Dozent für Filmwissenschaft an der Universität Zürich.

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