schliessen

zurück

Filmreihe

 
Reihenbild

Kino als Jukebox

Soundtracks Vol. 2


«I put a spell on you, because you’re mine!», röhrt Screamin’ Jay Hawkins’ rauchige Stimme aus dem Kassettenrecorder, und tatsächlich, der Song aus Jim Jarmuschs Stranger than Paradise lässt uns nicht mehr los. Es sind Popsongs wie dieser, die es dank einem Film in die Charts schaffen oder umgekehrt einem Film zu Ruhm verhelfen. Soundtracks, die zum Ausdruck eines Lebensgefühls einer bestimmten Zeit werden wie Simon and Garfunkels «The Sound of Silence» aus The Graduate. Oder Filme wie der jamaikanische Jimmy-Cliff-Kultklassiker The Harder They Come, welcher dem Reggae seinen Weg zum internationalen Publikum bereitete und es bis heute weltweit mittanzen lässt. 

mehr

Wenn sich Film und Musik wahrhaftig begegnen, dann singen wir mit Jackie Brown zu Bobby Womacks souligem «Across 110th Street», ahmen zu «Stayin Alive» John Travoltas betörend-schwitzige Saturday Night Fever-Disco-Moves nach oder werden emotional wie Paul, sobald Peggy Lees wehmütige Ballade «Is That All There Is?» aus einer Jukebox in der albtraumhaften Komödie After Hours klingt. Das Stadtkino Basel legt im November Filme auf, die uns mit ihren unsterblichen Soundtracks nicht so schnell wieder aus dem Kopf gehen werden. «I put a spell on you» – ich habe dich verzaubert.

 

Alles begann mit High Noon. Für den kargen Schwarzweiss-Western von Fred Zinnemann schuf Dimitri Tiomkin nicht nur einen angemessen luziden Soundtrack; es war der erste Film, der ein Lied als Teil des Scores einsetzte und damit einer besonderen Form der Filmmusik den Weg ebnete. Der Song war nun nicht mehr nur Introduktion oder Leitmotiv, sondern gleichsam das zweite Herz der Film-Erzählung: Der Song verschwindet nicht in der Handlung oder die Handlung im Song, vielmehr bleibt beides eigentümlich autonom; der Song und die Handlung reiben sich aneinander und treiben sich voran. Zwar gibt es in vielen Western Lieder (bei Ford sind es die «Sons of the Pioneers», bei Hawks singen Männer gern im Gefängnis), aber erst bei High Noon ist es der Song, der den Film «gebiert» und nicht umgekehrt. Song und Handlung befinden sich in einer anderen Tonlage, sie sind einander zugleich innigst verbunden und bleiben sich fremd. Viele Jahre später, in Mike Nichols’ The Graduate geschieht etwas Ähnliches. Wir sehen eine moderne Liebesgeschichte, für Hollywood-Verhältnisse wohl sehr modern, und hören dazu den innigen Widerpart, Simon & Garfunkels «Mrs. Robinson», der, vielleicht, nicht das zentrale Paar, sondern die verlierende Dritte in den Arm nimmt und dabei eine ansonsten fehlende religiöse Komponente enthält: «And here’s to you, Mrs. Robinson/Jesus loves you more than you will know/Whoa, whoa, whoa/God bless you, please, Mrs. Robinson/Heaven holds a place for those who pray.» Ob es Trost ist oder Sarkasmus?

 

Die Pointe des Songs, der einen Film verändert, liegt natürlich in der Verbindung mit dem Bild, das dann entsprechend die reine Erzählzeit verlässt. Der Song (man ist versucht zu sagen: wie im richtigen Leben) hält gewissermassen die Zeit an, dehnt den Moment einer Empfindung in einen surrealen Hall, sagt «Verweile doch» zum Augenblick. Es ist, in aller Regel, ein Augenblick der Befreiung – idealerweise erotisch aufgeladen: die Fluchtszene in The Graduate, «Lass deinen Drachen steigen» von den Puhdys (beinahe überdeutlich in Die Legende von Paul und Paula von Heiner Carow), John Travolta in Saturday Night Fever, der mit «Stayin Alive» von den Bee Gees den Disco-Tanz in sein reales Leben überführt, «California Dreaming» von den Mamas and the Papas, der in Wong Kar-wais Chungking Express zu einer weltvergessenen Tanzeinlage führt. Aus einer Jukebox kommt in Martin Scorseses dunkler Komödie After Hours Peggy Lees «Is That All There Is?». Auf der einen Seite ist auch dies ein Song, der alltägliche Wirklichkeit transzendiert und einen Moment der Befreiung aufhebt: «Is that all there is, is that all there is/If that’s all there is my friends, then let’s keep dancing/Let’s break out the booze and have a ball/If that’s all there is». Aber die Strophen zwischen diesem Refrain handeln von wehmütigen Erinnerungen, von Verzweiflung auch («If that’s the way she feels about it why doesn’t she just end it all?») und von Trotz. Der Song, der den Film verändert, trägt immer diese beiden Elemente in sich, das Glück der Befreiung und den Schmerz der Wirklichkeit. So erinnern wir uns an die Fahrradszene zu «Raindrops keep falling on my head» in Butch Cassidy and the Sundance Kid oder sogar an Steppenwolfs «Born to be wild» in Easy Rider. Das Glück ist nur eine Pause auf dem Weg zum Scheitern. So wie auch ein Drogenflash wie in Trainspotting nur in Zusammenhang mit dem unweigerlichen Absturz gesehen werden kann: Mit Iggy Pop («Lust for Life») und Lou Reed («Perfect Day») begleiten das zwei Songschreiber, die beide Seiten gut kennen.

 

Aber es bleibt als Forderung und Utopie, wenn auch nicht immer in dieser Eindeutigkeit wie in The Harder They Come aus Jamaika als persönliche, aber auch politische Kampfansage («’Cause as sure as the sun will shine /I’m gonna get my share now of what’s mine /And then the harder they come /The harder they’ll fall, one and all») in vielen Songs, die einen Film verändern. Natürlich auch in Quentin Tarantinos Jackie Brown, in dem «Across 110th Street» eine genaue Ortsbeschreibung liefert, die Grenze zwischen Weiss und Schwarz, Reich und Arm beschreibt und in dem die weiteren Songs wie Stationen einer Selbstbefreiung montiert sind. Im Song begegnen sich der erotische Moment, die spirituelle Erlösung und die politische Ermächtigung – wenngleich natürlich in sehr verschiedenen Mischungen. Aber jedes Mal geschieht etwas mit der Handlung; sie nimmt nicht nur eine andere Richtung, sie erhält vielmehr eine andere Dimension.

 

Im Allgemeinen wird Musik im Film zu den paradigmatischen Elementen gezählt, das heisst, es wird damit Wirkung verstärkt, Spannung erzeugt und emotionale Beteiligung, Identifikation oder Distanz, Beschleunigung oder Retardierung. Man würde, mit anderen Worten, die Story eines Films durchaus auch verstehen ohne die Musik, wäre aber vielleicht viel weniger emotional involviert. Songs können Kommentar, Einspruch, Vor-Ahnung, Interpretation und vieles mehr sein. Es gibt nicht wenige Filme, in denen das genaue Hinhorchen auf Songs bereits Handlungselemente erklärt. Doch in etlichen Fällen wird die Musik auch syntagmatisch verwendet, nicht nur im klassischen Musical-Format, wo einerseits Musik Teil des Plots ist, insofern von Musik und MusikerInnen und ihren Karrieren handelt, sondern auch dort, wo Musik und Tanz beginnen. Das heisst, sie setzt (mittels eines emblematischen Songs) dort ein, wo Dialog und Handlung nicht mehr weiterwissen oder -dürfen, oder wo eine musikalische Aufführung integraler Bestandteil des Spannungsaufbaus ist. Die transzendierende Wirkung des emblematischen Songs und die Selbstbefreiung in der Handlung fallen in Filmen wie A Star is Born ineinander. Aber auch hier geht es um den scheinbar einfachen Umstand: Nach dem Song ist die (Film-)Welt eine andere als vorher. Oder, anders gesagt: Mit dem Song wird der Film anders verstanden, als er es ohne ihn würde. Oder noch einmal anders gesagt: Der Song, der den Film verändert, wird ebenso durch den Film verändert.

 

Natürlich gibt es RegisseurInnen, die den emblematischen Song von vornherein als Stilmittel einsetzen, wie Jim Jarmusch, Martin Scorsese, Quentin Tarantino oder Wong Kar-wai, andere, wie etwa Sally Potter, verwenden den Musik-Film-Dialog als Ausgangspunkt für ihre Arbeit, und wieder andere versuchen mit Musikstücken Statements abzugeben und Schmuggelware in den Film zu bringen (wäre Otto Premingers Anatomy of a Murder so stilprägend geworden ohne das Zusammenspiel von Duke Ellington und James Stewart? Wäre überhaupt ein modernes amerikanisches Kino ohne die Begegnung mit dem Jazz denkbar?). Aber der entscheidende Augenblick für den emblematischen Song im Film, für das cineastische Momentum, da ein Song den Film (und der Film den Song) verändert, ist weder aus einer simplen Entsprechung zu berechnen noch beliebig zu wiederholen. Es handelt sich um einen Glücksfall (ein bisschen Genialität von beiden Seiten kann allerdings nicht schaden), bei dem sich zwei Ausdrucksweisen der populären Kultur gegenseitig zu höchster Affekthaftigkeit steigern. Diesen Glücksfällen stehen unzählige Beispiele gegenüber, in denen Songs Filme ganz und gar nicht verändern, nur stimmungsvolles Beiwerk oder schlicht Vermarktungskalkül sind. Genau darin liegt der Reiz: Filme und Songs sind keineswegs von Natur aus füreinander bestimmt. Es muss etwas passieren, dass sie sich glücklich begegnen. Auf der Leinwand und draussen im wirklichen Leben.

Georg Seesslen
 

weniger