schliessen

zurück

Filmreihe

 
Reihenbild

Zhang Yimou

Leben!


Er ist der erfolgreichste Vertreter der sogenannten «Fünften Generation» des chinesischen Kinos, die – aufgewachsen während der Kulturrevolution – in den 80er-Jahren den Blick auf das vergessene Filmland China öffnete. Sein Markenzeichen: eine berauschende Farbdramaturgie. Seine Themen: so vielfältig wie seine stilistische Herangehensweise. Von bildgewaltigen Historiendramen (Ju Dou, Raise the Red Lantern), die die Schönheit und Barbarei der patriarchalischen Gesellschaft im feudalen China des frühen 20. Jahrhunderts beschwören, über neorealistisch anmutende Gegenwartsfilme wie The Story of Qiu Ju oder Not One Less bis zu opulenten Wuxia-Epen wie Hero oder Shadow – Zhang Yimou hat sich in den 35 Jahren seiner Karriere immer wieder neu erfunden. Seine intimsten Werke aber gelten der Zeit der Kulturrevolution.

mehr

Voll subtiler Gesellschaftskritik und tiefstem Humanismus erzählen To Live, The Road Home oder Coming Home von den «Zehn chaotischen Jahren», die ihn persönlich geprägt haben. Um Leben und Überleben – meist unter widrigen Bedingungen – dreht sich nahezu jede Etappe seines Werks. Stets im Zentrum starke Frauenfiguren, die Schauspielerinnen wie Gong Li und Zhang Ziyi zu Weltruhm verhalfen. Das Stadtkino Basel widmet dem Meister des modernen chinesischen Kinos eine Hommage und freut sich, Shadow als Schweizer Premiere präsentieren zu können.

 

Es gibt wohl keinen Regisseur, der die vielfältigen Entwicklungen der letzten 35 Jahre im Filmwesen der Volksrepublik China so gut verkörpert wie der 1950 geborene Zhang Yimou. Sein Œuvre umfasst sowohl ethnografisches Arthouse-Kino als auch kommerzielle Mainstreamproduktionen, Filme, die in ruralen Gebieten oder in den boomenden Grossstädten spielen, Filme, die in der konkreten Gegenwart, in den Zwanzigerjahren, während des Zweiten Weltkriegs oder der Kulturrevolution angesiedelt sind. Und allen Veränderungen im Filmwesen hat sich Zhang nicht nur angepasst, zum Teil hat er sie sogar selbst mit initiiert, doch vor allem ist es ihm gelungen, seiner eigenen Handschrift und seinem künstlerischen Credo dabei treu zu bleiben.

 

1978 nahm die Filmschule in Peking zum ersten Mal wieder Studenten auf, nachdem sie während der zehn Jahre andauernden und für die Filmkunst verheerenden Kulturrevolution brachlag. Zhang Yimou, der aufgrund seines Alters eigentlich nicht mehr hätte aufgenommen werden dürfen, bekam durch eine Einsprache und seine schon beträchtlichen Erfahrung als Fotograf dennoch einen Platz in der Kameraklasse. Wie andere Studenten war auch er während der Kulturrevolution aufs Land verschickt worden, nicht zuletzt, weil sein Vater im chinesischen Bürgerkrieg als Offizier unter Chiang Kai-shek gegen die Kommunisten gekämpft hatte und auch andere Familienmitglieder mit dem Feind nach Taiwan übersiedelt waren.
1982 verliess so eine neue Generation die Filmschule, die nach der eigenen chinesischen Zählweise als «fünfte» bezeichnet wird und die sich nicht nur für Inhalte, sondern auch für Form und Ästhetik interessierte – und sehr wenig dafür, was die kommunistische Führung sich unter idealer Filmkunst vorstellte. Zusammen mit seinem Schulkameraden Chen Kaige, der ebenfalls während der Kulturrevolution aufs Land verschickt wurde und für den er anfänglich als Kameramann arbeitete, widmete sich Zhang ab Mitte der 80er-Jahre zunächst dem vom chinesischen Kino vergessenen oder dann propagandistisch verklärten Landleben. So beispielsweise in Ju Dou (1990) und Raise the Red Lantern (1991), beides Literaturverfilmungen, die in den 20er-Jahren angesiedelt sind und das Schicksal von Frauen ins Zentrum stellen, die mit den verkrusteten und menschenunwürdigen Strukturen des feudalen und patriarchalen Chinas zu kämpfen haben – beide Filme hatten, obwohl von der staatlichen Zensurstelle abgenommen, in China zunächst ein Aufführungsverbot und sind erst ein paar Jahre später in die Kinos gekommen. Ju Dou, der erste chinesische Film überhaupt, der als Bester fremdsprachiger Film ins Rennen für die Oscar-Verleihung ging, wurde auf Technicolor-Material gedreht, ein Verfahren, das damals zwar längst obsolet war, den Farben aber zu einer ungemeinen Intensität verhilft. Und das war dem Regisseur schon in dieser frühen Schaffensphase wichtig, denn chromatische Variationen stehen bei ihm ganz im Zeichen emotionaler Wertigkeit.

 

Raise the Red Lantern verdeutlicht noch besser als Ju Dou die Essenz des Filmstils von Zhang Yimou: Der Regisseur erzählt seine Geschichten vor allem in Bildern, in eigenwilligen Stilisierungen und Kompositionen. Die eben erwähnte Starre des feudalen Systems wird in diesem Film auch in einer Abfolge zentralperspektivischer und vor allem symmetrischer Einstellungen visualisiert, welche die Figuren fast zu Marionetten macht, in einer kalkulierten Ästhetik, die ebenso betörend schön wie auch psychologisch einengend ist.
Auch The Story of Qiu Ju (1992), der erneut eine beharrliche Frau als Hauptfigur hat, spielt auf dem Land, jedoch in der kommunistischen Gegenwart. Zwar fehlt auch hier nicht die perfekte visuelle Orchestrierung, Zhang kehrt jedoch zu einem zurückhaltenderen, fast neorealistischen filmischen Ausdruck zurück. Für Verblüffung sorgte diesbezüglich auch, dass die sonst so schillernd-strahlend inszenierte Hauptdarstellerin Gong Li hier als Bäuerin ihres Glamours fast gänzlich beraubt wurde. Der Film erhielt in Venedig den Goldenen Löwen und Gong den Preis für die beste Darstellerin. Als Schauspielerin, Muse und Lebensgefährtin war sie untrennbar mit den ersten sechs Filmen Zhangs verbunden: «Wann immer ich eine neue Idee hatte, fragte ich mich: Kann sie das spielen? Ist die Rolle gut für sie? Werden wir streiten?», erklärte Zhang offenherzig in einem Interview.

 

Die Trennung von Gong Li 1995, mit der er erst viel später noch zweimal zusammenarbeiten würde (2006 in Curse of the Golden Flower, 2014 in Coming Home), war mit ein Grund, weshalb Zhang sich neuen Themen widmete. Statt Schicksalsschläge überlebensgrosser Frauenfiguren stand nun eher der Alltag der kleinen Leute im Mittelpunkt. So griff Zhang für Not One Less (1999), der die prekäre Unterrichtssituation in abgelegenen Landschulen thematisiert, ausschliesslich auf Laiendarsteller zurück. Es war auch Zhangs erster Film mit voller Unterstützung staatlicher Kulturstellen. Obwohl darin auch durch den Wirtschaftsboom entstandene Ungleichheiten moniert werden, verdächtigte man Zhang vor allem im Westen deshalb einer gewissen Regimehörigkeit. Der Regisseur wehrte sich indes in einem öffentlichen Statement dagegen, dass seine Filme besonders im Westen stets in einem politischen Licht gesehen, in staatstreu oder -feindlich eingeteilt werden.

Nach der etwas sentimentalen, doch gesellschaftskritischen Komödie Happy Times (2000), die die städtische Konsumgesellschaft aufs Korn nimmt, vollzog Zhang eine erneute und für die ganze Filmbranche Chinas signifikante Kehrtwende, indem er mit der Big-Budget-Produktion Hero (2002) versuchte, der immer mächtiger werdenden Hollywoodkonkurrenz die Stirn zu bieten. Mit enormem Budget, zugkräftigen Hongkong-Stars und einer gezielten Marketingkampagne ging der Plan auf: Der Schwertkampffilm wurde mit 177 Millionen Dollar Einnahmen der bis dato erfolgreichste chinesische Film aller Zeiten. Viele Produktionen sind diesem Beispiel gefolgt, und heute kommt es regelmässig vor, dass grosse einheimische Filme Hollywood am Boxoffice überflügeln.
Dennoch ist Hero Beweis dafür, wie schwierig es bei Zhang wäre, Kunst gegen Kommerz auszuspielen. Denn trotz seiner pekuniären Ambitionen schuldet der Film seinen Erfolg vor allem dem Markenzeichen des Regisseurs: einer berauschenden Bildsprache. Erneut erregt die opulente Verwendung von Farbe, die den Film in fünf distinkte Abschnitte einteilt, bis heute bei Zuschauern und Kritikern Aufsehen. Für die Kameraarbeit verpflichtete Zhang Yimou bewusst Wong Kar-wais Farbspezialisten Christopher Doyle.

 

Auch in den letzten fünfzehn Jahren gelang es Zhang Yimou immer wieder, sowohl im Arthouse-Bereich  – mit Werken wie Coming Home, der mit autobiografischen Zügen schildert, wie eine Familie durch die Kulturrevolution zerrissen wird – als auch mit kommerzieller ausgerichteten Produktionen das heimische sowie auch ein weltweites Publikum zu erreichen. Dass nicht nur im Filmwesen, sondern auch bei den Machthabern Chinas Zhang Yimou mittlerweile als Aushängeschild gilt, beweist nicht zuletzt die Tatsache, dass er 2008 mit der Inszenierung der Eröffnungs- und Schlussfeier der Olympiade in Peking sowie kürzlich auch mit den Abschlussfeierlichkeiten zum 70-jährigen Bestehen der Volksrepublik beauftragt wurde. Ruhm und Anerkennung schützen dennoch nicht vor dem Würgegriff der Zensur, wie das Schicksal des seit neun Monaten fertiggestellten One Second zeigt. Der Film, der laut den wenigen informierten Quellen als einer der persönlichsten im Œuvre von Zhang bezeichnet wird, behandelt erneut die Kulturrevolution, die für die heutige Regierung nach wie vor ein heikles Thema ist. Er wurde im letzten Moment beim Wettbewerb der diesjährigen Berlinale aus nicht näher definierten «technischen Gründen» zurückgezogen und liegt trotz späterer Anpassungen immer noch auf Eis. Dennoch müssen wir uns keine Sorgen machen, dass der mittlerweile fast siebzigjährige Zhang Yimou auch diesen Rückschlag überwinden und uns mit weiteren Perlen seiner poetischen und gleichfalls tiefgründigen Bilderwelt auch in Zukunft erfreuen wird.

Till Brockmann

weniger