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Filmreihe

 
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Once Upon a Time in Hollywood


Als Liebesbrief an die Traumfabrik bezeichnet Quentin Tarantino sein neustes Werk und huldigt in Once Upon a Time in Hollywood nostalgisch und auch ein bisschen zynisch zugleich der amerikanischen Filmindustrie in ihrer Umbruchphase Ende der 60er-Jahre. Damit reiht er sich in eine alte Tradition. Denn schon immer war Hollywood sich selbst beliebtes Filmsujet und hat mit manchem Meisterwerk einen mal bitter ironischen, mal gnadenlos abrechnenden, mal bissig fröhlichen, meist aber dennoch liebevollen Blick hinter die eigenen Kulissen geworfen. Ob als Persiflage oder Hommage, Melodram oder Satire – quer durch die Jahrzehnte nahmen Regiegrössen von King Vidor und Preston Sturges über Billy Wilder und George Cukor bis zu Robert Altman und den Coen Brothers die Mechanismen des Filmgeschäfts aufs Korn und erzählten frank und frei vom Aufstieg und Fall gefeierter Stars, von egomanischen Produzenten, Drehbuchautoren mit Schreibblockaden und windigen PR-Agenten – nicht immer zum Wohlgefallen ihrer Brötchengeber ...

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Das Stadtkino Basel aber feiert die Nabelschau und lädt mit 15 Sternstunden der cineastischen Selbstdekonstruktion ins Spiegellabyrinth Hollywood.

 

Traumfabrik – so wird Hollywood bekanntlich auch genannt, wobei in dem Titel immer auch Verachtung mitschwingt: Denn was in der Fabrik gefertigt wird, steht unter dem Verdacht, blosse Massenware zu sein, auswechselbar und nur für den möglichst unreflektierten Konsum gemacht. Das erklärt auch, warum man insbesondere im deutschsprachigen Europa den eigenen hohen Filmgeschmack gerne damit unter Beweis stellt, dass man über das angeblich naive Hollywoodkino die Nase rümpft. Tatsächlich aber sind es eben jene industriellen Produktionsbedingungen, die es dem klassischen Hollywood der Dreissiger- bis Sechzigerjahre ermöglichen, dass sich dieses nicht nur zu einer Traumfabrik, sondern zu einem regelrechten Labor des Denkens entwickelt, in welchem mit und über Filme reflektiert wird wie sonst nirgends. Dabei schärft gerade das verpönte und für Hollywood so typische Genrekino mit seinen seriell wiederkehrenden Versatzstücken unser Bewusstsein für filmische Formen und Strukturen: Ob Western, Romantic Comedy, Film noir oder Musical – ein Genrefilm steht jeweils nicht nur alleine da, sondern tritt immer auch in Dialog mit all den anderen Vertretern des Genres und gewinnt damit an Komplexität. «Genialität des Systems» hat André Bazin das genannt: Hollywood schafft mit seiner arbeitsteiligen Industrie eine Vielschichtigkeit, die der Einzelne gar nicht zustande brächte.

 

Wenn man bedenkt, dass in den Dreissigerjahren 65 Prozent der gesamten amerikanischen Bevölkerung mindestens einmal pro Woche ins Kino gehen, wird einem klar, was für ein sagenhaftes filmisches Wissen sich auch beim Publikum sammeln muss. Das alte Klischee vom angeblich naiven amerikanischen Massenpublikum, das jeden Hollywoodfilm für bare Münze nimmt, kann so also gar nicht stimmen. Wer jede Woche dieselben Stars in immer wieder anderen Rollen sieht, entwickelt unweigerlich einen doppelten Blick, mit dem neben der jeweiligen Figur immer zugleich auch der sie spielende Star beobachtet wird. Und sosehr man auch bei dem jetzt gerade auf der Leinwand sich abspielenden Film noir oder Western mitfiebert, so vergleicht man diesen zugleich mit all den unzähligen anderen Western und Film noirs, die man bereits kennt. Statt von einem angeblich lückenlosen Illusionismus, in den das Publikum naiv versinken soll, lebt das Hollywoodkino also mindestens so sehr von einer andauernden Metareflexion, in der jeder Film nicht nur seine jeweilige Geschichte erzählt, sondern zugleich auch über das Kino an sich nachdenkt. Hollywoods Filme spielen also immer bereits implizit mit dieser Selbstreflexion. Umso faszinierender wird es, wenn die Filme Hollywood auch explizit zum Thema machen.

 

Ein Film etwa wie George Cukors Opus magnum A Star Is Born von 1954 über den Aufstieg einer Sängerin im Filmgeschäft und den damit einhergehenden Niedergang ihres alkoholkranken Mentors und Ehepartners ist deswegen so herzzerreissend, weil er bewusst mit dem Wissen des Publikums spielt, das in dieser fiktiven Story zugleich auch die sehr reale Leidensgeschichte seines Stars Judy Garland erzählt sieht. Kein anderer Film zeigt so glamourös und schonungslos zugleich, mit welcher Grausamkeit Hollywood seine Stars aufbaut und schliesslich vernichtet. Dass dieses filmische Meisterwerk wiederum aus marktökonomischen Gründen von den Verleihern unwiderbringlich verstümmelt wurde (wovon sich auch der Regisseur George Cukor zeitlebens nicht mehr erholen sollte), das macht diesen Film nur noch faszinierender und komplexer als abgründiges Selbstporträt der Filmindustrie. Wenn wir diesen Film heute nur mit den auch nach der Restauration zurückgebliebenen Narben betrachten können, dann erzählen doch auch diese Narben viel über die Gewalt Hollywoods.

 

Überhaupt fällt auf, mit welcher Bissigkeit sich Hollywood oft selbst betrachtet. So bereits in King Vidors Stummfilmsatire Show People von 1928, die sich über die Selbstverliebtheit der Stars lustig macht und dabei ganz unverhohlen auf reale Berühmtheiten wie Gloria Swanson zielt. Letztere wiederum wird bekanntlich 22 Jahre später in Billy Wilders Sunset Boulevard sich selber als in Vergessenheit geratenes und in den Wahnsinn abgleitendes Hollywoodrelikt spielen. Dass mit Erich von Stroheim einer in die Rolle ihres Butlers und früheren Regisseurs schlüpft, den die Mächtigen von Hollywood auch in der Realität vom Regiestar zum Chargenschauspieler degradiert haben, macht Wilders Film noch schillernder. Und vollends ironisch wird es, wenn man bedenkt, dass sich Swanson und von Stroheim mit ebendiesem Film über vergessene Stars wieder ins Bewusstsein des Publikums gespielt haben. Die Fiktion entlarvt die Realität, und diese schreibt die Fiktion fort. Kein Wunder, kann einem schwindlig werden dabei.

 

Die Paradoxie der selbstreflexiven Hollywoodfilme besteht also darin, dass mit jedem Versuch, die eigene Praxis aufzudecken, diese im selben Zug auch wieder zelebriert wird. Jede noch so harte Selbstanklage ist zugleich nur eine weitere Bestätigung von Hollywoods besonderer Verführungskunst. In Vincente Minnellis The Bad and the Beautiful berichten ein Regisseur, eine Schauspielerin und ein Drehbuchautor, wie sie alle vom rücksichtslosen Produzenten Jonathan Shields grausam hintergangen und betrogen wurden, und doch kommen sie von ihm nicht los und hören seinen Filmprojekten auch dann noch gebannt zu, als sie längst fliehen müssten. Und wenn in Singin’ in the Rain Gene Kelly seiner Geliebten Debbie Reynolds erklärt, wie im Filmstudio mit Beleuchtung und Windmaschine romantische Stimmung fingiert wird, dann führt diese scheinbare Entzauberung bei ihr wie auch bei uns im Publikum nur dazu, dass uns dieser offensichtlich künstliche Moment nur noch stärker und wahrhaftiger ergreift. Jede Entlarvung entpuppt sich also nur wieder als neue, noch überzeugendere Maskerade. Im selbstreflexiven Hollywood werden Echtheit und Täuschung, Konstruktion und Dekonstruktion ununterscheidbar. Und dort, wo wir einen Ausgang vermuten, geraten wir in Wahrheit nur noch tiefer in die Täuschung hinein: Am Ende von Singin’ in the Rain werden die Hauptfiguren vor einem Plakat stehen, das ebenjenen Film ankündigt, den wir gerade gesehen haben. So ähneln all diese Selbstporträts Hollywoods einem endlosen Spiegellabyrinth, in dem man sich fasziniert verliert.

 

Ein so offensichtlich vertrackter Film wie Barton Fink der Coen-Brüder, in dem ein angehender Drehbuchautor irgendwann nicht mehr weiss, ob er sich nicht selbst in eine Fiktion hineingeschrieben hat, führt demnach nur jene Verunsicherung weiter aus, mit der bereits ein scheinbar so federleichter Film wie Singin’ in the Rain spielt. Und David Lynchs verstörender Mulholland Drive spielt nicht nur bereits im Titel offensichtlich auf Sunset Boulevard an, sondern setzt auch sonst bis zum Extrem fort, was die früheren Filme über Hollywood immer schon getan haben: Lynchs traurige Geschichte von Aufstieg und Absturz einer jungen Schauspielerin lässt im Verlauf des Films sämtliche Erzähl- und Realitätsebenen verwirrend ineinander übergehen, bis wir nicht mehr entscheiden können, wo wir uns befinden. Doch so ungewöhnlich dieser filmische Strudel uns auch erscheint, er ist zugleich nur die unheimliche Extremform von jenem verwirrenden Spiel mit den Ebenen, das wir bereits in A Star Is Born spüren.

 

Wie sehr jedoch das Labyrinthische dieser endlosen Selbsthinterfragung, das bei Lynch und den Coens unheimlich und angsteinflössend wirkt, auch Quelle eines absurden Witzes ist, zeigte schon 1941 der ebenso radikale wie irre Hellzapoppin’. Als «Film über einen Film über ein Broadwaystück» ist auch hier die Vermischung der Ebenen erklärtes Programm. Da rufen Figuren aus dem Film heraus dem Kinooperateur zu, er möge doch bitte den Film zurückspulen, weil ihnen das eben Geschehene nicht gefällt, oder sie wenden sich ans Publikum und verlangen, dass ein gewisser Stinky Miller sofort das Kino verlässt und nach Hause geht. Filmtechnische Verfahren wie Rückprojektion, Synchronisierung oder Stopptrick werden vorgeführt, indem sie schief laufen: Der Operateur hat die falsche Rolle eingelegt, und schon wechselt im Filmbild der Hintergrund vom Musical- zum Westernsetting. Kein Wunder, waren die französischen Surrealisten von diesem durchgedrehten Film begeistert und bestätigten damit, dass aus Hollywood eben nicht nur beste Unterhaltung, sondern damit zugleich auch Avantgarde-Kunst kommt.

 

«Hollywood is not a place but a state of mind», so lautet ein alter Slogan. Hollywood erweist sich als Geisteszustand, jedoch als einer, der sich andauernd selbst aus dem Gleichgewicht bringt und damit lebendig hält. Das mag denn auch erklären, warum sich Quentin Tarantino in seinem Once Upon a Time in Hollywood nicht damit begnügen mochte, nur ein präzises Stimmungsbild vom Hollywood der späten Sechzigerjahre zu zeichnen, sondern dieses zugleich benutzt, um die historischen Fakten abzuändern und die Zeitgeschichte umzuschreiben. Wo sonst als hier ist das möglich, in Hollywood, das weniger ein geografischer Ort ist als vielmehr ein «brisanter Denkraum», wie es bei Elisabeth Bronfen heisst – eine Fabrik, in der mit dem filmischen Denken experimentiert wird, bis alle mentalen Sicherungen durchbrennen.

Johannes Binotto

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