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Filmreihe

 
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Mira Nair

Feuerfunken des Lebens


Aufregend, üppig und farbenfroh, aber auch gesellschaftskritisch mit einem genauen Blick für soziale Missstände: Mira Nairs Filmschaffen ist Arthouse-Kino voller Energie und Leidenschaft. Mit ihrem Spielfilm-Erstling Salaam Bombay (1988), einem faszinierenden Abenteuer, das an der Seite von Strassenkindern quer durch die hitzigen Slums von Mumbai führt, eroberte Nair auf Anhieb die Filmfestspiele in Cannes – und ist dank Publikumslieblingen wie Kama Sutra – The Art of Love (1996) oder Monsoon Wedding (2001), ihrer Hommage an das Bollywood Kino – weltbekannt geworden. Mira Nair steht für ein vielseitiges, kraftvolles indisches Kino mit einzigartiger Stimme. 

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Wie das Leben der Regisseurin, das sich von Indien, den USA bis Uganda zwischen drei Kontinenten aufspannt, ist auch Nairs Kino kosmopolitisch, stets mitreissend und hat Tiefgang. Es lässt uns in betörenden Bildern und mit malerischer Musik in fremde Welten eintauchen und oder erzählt von den Unwägbarkeiten der indischen Diaspora, wo im Zusammenprall der Kulturen der Funke für mitreissende Geschichten entspringt. Das Stadtkino Basel schickt sie mit acht herausragenden Filmen aus dem Werk von Mira auf eine farbenfrohe Bilderreise: der perfekte, cineastische Vorgeschmack auf den Sommer.

 

 

Mira Nair hat es oft erklärt: ‹Nair› reime sich auf ‹fire›  – es heisse also ‹Nire›  und nicht ‹Ne-er›. Feuer, im Sinne von Leidenschaft, das passt bestens zum Schaffen der 1957 im indischen Bundesstaat Odisha geborenen Filmemacherin. Aus mittelständischem Haus stammend, interessierte sie sich früh für Kunst, besonders für Theater und Schauspiel. Nach einem Soziologie-Studium in Delhi erhielt sie ein Stipendium für Harvard. Allmählich aber wandte sie sich dem Film zu. Ihre ersten Arbeiten waren Dokumentarfilme über indisches Alltagsleben, etwa India Cabaret (1984) über Strip-Tänzerinnen in Bombay. Dabei habe sie, wie sie sagt, den präzisen Blick und das ökonomische Arbeiten gelernt.

 

Dieser Blick prägte ihren ersten Spielfilm Salaam Bombay! (1988), der am Festival in Cannes gezeigt wurde und einhellige Begeisterung auslöste. An einem einzigen Tag habe sie, so Mira Nair, die aus Kostengründen allein in Cannes war, den Film weltweit verkauft, ohne Handy und E-mail. Kein Wunder: Das mitreissende und leidenschaftliche Porträt von Strassenkindern in Bombay (heute: Mumbai) ist getragen von der offensichtlichen Zuneigung der Regisseurin zu ihren ProtagonistInnen, viele davon Laien. Neben den dunklen Seiten des Lebens auf der Strasse (Drogen, Prostitution, Armut, Gewalt), die ungeschönt gezeigt werden, vermittelt Salaam Bombay! auch ein buntes, wild bewegtes Bild der Metropole und ihrer Menschen. Zudem etablierte der Film mit einem Schlag das indische Kino auf der globalen Filmlandkarte, das damals – abgesehen von einigen wenigen Regisseuren wie Satyajit Ray oder Mrinal Sen – international noch kaum bekannt gewesen war.

 

Auch heute noch erlebt man Nairs frühe Filme als sinnlichen Rausch der Farben und der Musik, allen voran Kama Sutra – A Tale of Love (1996). Das vor allem wegen seiner sexuellen Freizügigkeit berühmte ‹Handbuch› zur Lebens- und Liebesgestaltung gibt dem Film zwar den Titel, aber in Nairs Erzählung aus dem 16. Jahrhundert geht es um Klassengegensätze, Feudalismus, um männliche Macht und um weibliche Solidarität. Aus den einstigen Freundinnen Tara und Maya werden erbitterte Gegnerinnen, als erstere den Prinzen (und späteren König) Raj heiratet. Dieser ist aber bald weniger an ihr interessiert als an Maya, die er in den erotischen Statuen ihres Geliebten, des Bildhauers Jai, erkennt und die er zu seiner Konkubine macht.

 

Das Feuer lodert auch im Publikumstriumph Monsoon Wedding (2001), den Nair selbst als ‹Hommage an Bollywood› bezeichnet, und mit dem sie bei den Filmfestspielen in Venedig den Goldenen Löwen gewann. Die Mitglieder einer wohlhabenden Punjabi-Grossfamilie zieht es aus aller Herren Lander nach Delhi, um die arrangierte Hochzeit der jungen Arditi mit dem ‹Indian-American› Hermant zu feiern. Ein Fest, wie es selbst im Leben einer so umfangreichen Familie (es gibt nicht weniger als 68 Personen in dem Film) nicht alle Tage stattfindet. Neben den ausufernden Mahlzeiten, Gesprächen, Gesang und Tanz ist aber nicht alles so rosig, wie es zunächst aussieht. So manches lang gehütete Geheimnis wird gelüftet, nicht unbedingt zur Freude der Beteiligten. Dennoch überwiegt ein mitreißender, schwungvoller Grundton, und Mira Nair baut eine wunderbare Liebesgeschichte ein, die eine soziale Ebene ‹tiefer› stattfindet – zwischen der Hausangestellten Alice und dem Hochzeits-Koordinator P.K. Dubey. Episch ging es für Mira Nair weiter. Scheinbar mühelos wechselte sie nach Hollywood und realisierte das Kostümdrama Vanity Fair (2004) nach Thackerays berühmtem Roman.

 

Die Diaspora ist – neben dem sinnlichen Rausch ihrer größten Erfolge – das zweite zentrale Thema in Mira Nairs Werk. Sie selbst hat auf drei Kontinenten gelebt, ist in Indien aufgewachsen, war lange Zeit und ist immer wieder in den USA und lebt nun seit 27 Jahren in Uganda. Während das in ihrem Leben scheinbar mühelos funktioniert, mischen sich die Kulturen in ihren Filmen nicht so reibungsfrei.

In Mississippi Masala (1990) geht es um eine indische Familie, die – wie viele andere – vom ugandischen Diktator Idi Amin in den siebziger Jahren aus ihrer Heimat vertrieben wird. Viele dieser Menschen hatten seit Generationen in Uganda gelebt und kannten Indien gar nicht. Vater, Mutter und die kleine Mina siedeln sich im US-Bundesstaat Mississippi an. Jahre später lernt Mina, inzwischen ein Teenager, den Afro-Amerikaner Demetrius (Denzel Washington in einer frühen Rolle) kennen und lieben. Die Folgen sind gravierend, denn Rassismus ist auch ein Phänomen, das sich in indischen und afro-amerikanischen Familien manifestiert, und die Beziehung zwischen Mina und Demetrius droht daran zu zerbrechen. In ihrem nächsten Film The Perez Family (1995) schildert sie, erneut ausgehend von historischen Begebenheiten, die grosse Migrationswelle von KubanerInnen nach Florida im Jahr 1980 und damit den Aufeinanderprall unterschiedlicher kultureller und sozialer Vorstellungen.

 

Das Thema Diaspora beherrscht auch zwei Filme, die Mira Nair als gereifte, souveräne Erzählerin von schwierigen Stoffen zeigen. In The Namesake (2006), nach dem Roman von Jhumpa Lahiri, bricht erneut – diesmal freiwillig – ein indische Familie in die USA auf. Im Mittelpunkt steht aber nicht so sehr das junge Ehepaar, sondern dessen in New Jersey geborener Sohn, der auf Grund der literarischen Leidenschaft seines Vaters den Namen Gogol erhält. Sein Leben zwischen den Kulturen beschreibt Nair meisterhaft, als eine Zerissenheit zwischen den strengen Konventionen der indischen Familie und den lockeren Sitten seiner amerikanischen FreundInnen.

 

In The Reluctant Fundamentalist (2012) spitzte Nair das Thema Diaspora nochmal zu: Diesmal macht sich ein junger Pakistani voll Enthusiasmus auf nach New York. Dank seines Talents und seines Fleisses steigt er in der Finanzwelt rasch auf – bis der Anschlag vom 11. September 2001 sein Leben völlig durcheinanderwirbelt. Plötzlich ist er in den USA nicht mehr das junge Finanzgenie, sondern ein weiterer ‹verdächtiger› Muslim. Er kehrt zurück nach Lahore, wo er an der Universität unterrichtet und seiner Enttäuschung über den Westen öffentlich Ausdruck verleiht. Das macht ihn erst recht suspekt, und als einer seiner amerikanischen Uni-Kollegen entführt wird, gerät er endgültig zwischen die Fronten. The Reluctant Fundamentalist ist nicht nur ein Politthriller, sondern auch eine fundierte Reflexion über die schwierige Position muslimischer Intellektueller.

 

Wie vielseitig und kosmopolitisch Mira Nair (immer noch) ist und mit welcher Liebe für ihre Figuren sie ihre Filme macht, beweist ihr bislang letzter Film Queen of Katwe (2016), den sie in einem Armenviertel von Ugandas Hauptstadt Kampala gedreht hat und mit ihm den aktuellen ‹Schachboom› vorweggenommen hat. Die jugendliche Könnerin ist bei ihr eine Analphabetin aus den Slums, die sich auf unglaubliche Weise zum Schachgenie entwickelt.

 

In gewisser Weise schließt sich hier (vorläufig) der Kreis zwischen Mira Nairs erstem und ihrem jüngsten Film: Zwischen den Straßenkindern in Mumbai und den Slumkindern in Kampala liegen fast 30 Jahre und die grossartige Karriere einer mutigen, empathischen und hingebungsvollen Künstlerin. Dass sie in beiden Städten soziale bzw. kulturelle Einrichtungen gegründet hat, die armen Kindern eine Chance bieten, sei hier auch erwähnt. Mira Nair spricht nicht viel darüber – es ist für sie eine Herzensangelegenheit.

 

Andreas Ungerböck

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