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Filmreihe

 
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Léa Seydoux

Von mysteriöser Strahlkraft


Ob im internationalen Blockbuster à la James Bond oder im europäischen Arthouse-Kino – an Léa Seydoux’ strahlender Leinwandpräsenz führt aktuell kein Weg vorbei! Die französische Schauspielerin, die mit Grössen wie Catherine Deneuve und Isabelle Adjani verglichen wird, bringt das gewisse Etwas zum grossen Star mit. Ihr Spiel ist voll von Intelligenz und Witz, sie versprüht Charme und Erotik – und das in Rollen, die unterschiedlicher nicht sein könnten und ihre Freude am Kontrast zeigen: als mysteriöse Gattin eines untreuen Matrosen in Ildikó Enyedis Die Geschichte meiner Frau, als berauschende, blauhaarige Kunststudentin im modernen Klassiker La vie d’Adéle; in herrlich grotesken Parts, etwa als brutale Widerstandskämpferin in Yorgos Lanthimos The Lobster oder als freizügig strenge Gefängniswärterin in Wes Andersons The French Dispatch. Und zuletzt als irritierende, emotional instabile Starreporterin in France, der im Stadtkino als Premiere zu sehen ist. Wir bereiten dem französischen Leinwandstar der Stunde die Bühne!

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«France de Meurs?» Es ist weniger eine Frage als eine Ermahnung, mit der sich Emanuel Macron an die Journalistin in der ersten Reihe wendet. Er bittet um Aufmerksamkeit für das, was er zu sagen hat. Doch die blonde Frau im auffälligen Designer-Hosenanzug denkt gar nicht daran, ihm die Bühne allein zu überlassen. Sie will ihn grillen, ihn blossstellen, ja, «nackt» sehen, wie sie es auf dem Weg zur Pressekonferenz gerade noch mit ihrer Assistentin abgesprochen hat. Immerhin ist France de Meurs Frankreichs populärste Starreporterin, die heute den amtierenden Premierminister kleinmacht und morgen aus Kriegsgebieten berichtet, deren Nachrichtensendung im Fernsehen zur Primetime die höchsten Einschaltquoten erzielt und bei der trotz der enormen beruflichen Belastung auch zu Hause alles mehr oder weniger zu passen scheint. Kurz: France de Meurs ist eine Powerfrau, wie sie im Buche steht, schlagfertig und klug, gewieft und wunderschön zugleich.

 

Kein Wunder also, dass der Regisseur und Autor Bruno Dumont ausgerechnet Léa Seydoux in der Titelrolle seines neuen Films France (2021) besetzt hat. Auch sie hat das gewisse Etwas (Intelligenz, Witz, Charme, Erotik), dazu ein warmes Lächeln mit Zahnlücke, dass längst nicht nur Männer um den kleinen Finger wickelt, sondern auch die Frauen dahinschmelzen lässt. Und überhaupt kommt man im Kino schon eine ganze Weile nicht mehr an der 1985 geborenen Pariserin vorbei, egal ob man nun internationale Blockbuster à la James Bond favorisiert oder das europäische Arthouse-Kino bevorzugt. Oft taucht sie dort auf, wo man sie vielleicht am wenigsten erwartet, etwa in Wes Andersons skurrilen Komödien, einem eher klassisch historischen Drama wie Les adieux à la reine (2012) von Benoît Jacquot oder dem neusten düsteren Body-Horror von David Cronenberg, der uns erst noch bevorsteht. 

 

Nach ihrem Durchbruch in Christophe Honorés La Belle Personne (2008), für den sie in ihrer Heimat etliche Preise erhielt, festigte sie ihren Status als spannende Newcomerin mit ihrem beachtlichen Auftritt als unglücklich verliebte Pflegerin Maria in Jessica Hausners modernem Märchen Lourdes (2009). Doch schon bald darauf wurden auch die Top-Regisseure in Amerika aufmerksam, allen voran Quentin Tarantino und Ridley Scott, für die sie in kleineren Szenen glänzte, wenig später auch Tom Cruise, der sie 2011 für seine Mission Impossible-Franchise besetzte, oder Woody Allen für eine Nebenrolle in Midnight in Paris (2011). Seitdem geht es für die aus einer filmgewichtigen Familie stammende Schauspielerin (ihr Grossvater war Vorsitzender von Pathé; ihr Grossonkel der Vorsitzende der Gaumont Film Company) stets kontinuierlich weiter bergauf. 2021 war sie gleich mit insgesamt vier Filmen bei den Internationalen Filmfestspielen in Cannes vertreten, in diesem Jahr waren es immerhin zwei. Sie ist die «Französin vom Dienst in Hollywood» wie es die Süddeutsche Zeitung einmal formulierte, und es gibt derzeit wohl kaum eine Schauspielerin in Frankreich, die ihr auf der Leinwand auch nur annähernd das Wasser reichen kann. Die Frage ist: warum?   

 

Seydoux‘ Name ist, wie gesagt, längst kein Geheimnis mehr. Die Person dahinter allerdings schon. Es sind die Widersprüche in ihrem Spiel wie in ihrem Auftreten, aus denen sich ein Bild ergibt, das nie ganz zusammenpasst. Und es ist diese ungewöhnliche Mischung aus Unnahbarkeit, Ambivalenz, Gefühl und Freude am Kontrast, die auch ihre Rollen bestimmt: Wenn sich ihre Superjournalistin in France etwa plötzlich in einer elementaren Lebenskrise zwischen Zusammenbrüchen und Comebacks gefangen sieht, weil sie einmal nicht aufgepasst hat. Oder sie fast im gleichen Atemzug für die ungarische Auteurin Ildikó Enyedi in dem atmosphärisch dichten Drama Die Geschichte meiner Frau (2021) die mysteriöse Gattin eines untreuen Matrosen verkörpert, die spontan in die Ehe einwilligt, nachdem der Seemann mit einem Freund in einem italienischen Café gewettet hat, dass er die erste Frau heiraten wird, die den Raum betritt.

 

Was beide Figuren mit Seydoux vereint, ist eine innere Zerrissenheit, die auch die Schauspielerin seit Kindheitstagen in sich trägt. Trotz ihres nach aussen hin stets selbstbewusst und sympathisch wirkenden Gemüts, brodelt immer wieder eine innere Unruhe unter ihrer zartblassen Haut, macht sich Unbehagen hinter den azurblauen Augen breit. Trifft man sie zum Gespräch, beteuert sie wiederholt, privat sehr schüchtern zu sein, und gibt doch gleichzeitig zu, auch etwas von einer «Exhibitionistin» zu haben. Oft spricht sie in kurzen Sätzen, um ja nicht zu viel über sich zu verraten, und ist trotzdem offen, wenn sie über die ewige Suche nach der Wahrheit sowie die ständige Angst vor dem Versagen reflektiert, mit der sie bis heute zu kämpfen hat. Kurz darauf strahlt sie plötzlich wieder, wenn sie über ihre Arbeit redet, bevor sie sich fast träumerisch in dem nächsten Gedanken verliert.   

 

Eine Sache, die Seydoux immer wieder nachdenklich stimmt, ist ihre Zusammenarbeit mit dem Regisseur Abdellatif Kechiche. Während sie mit dessen Film La vie d’Adèle (2013) den grössten Erfolg ihrer jungen Karriere feierte und dafür sogar ausnahmsweise gemeinsam mit Kechiche und ihrer Co-Darstellerin Adèle Exarchopoulos die Goldene Palme verliehen bekam, trat die Schauspielerin kurz darauf mit schweren Vorwürfen gegenüber dem Regisseur an die Öffentlichkeit. Seydoux verurteilte die fragwürdigen Arbeitsmethoden am Set, mit bis zu 200 wiederholten Takes und einer expliziten Sexszene, an der sie insgesamt zehn Tage lang filmten. Entstanden ist ein kontrovers diskutierter, hochgelobter moderner Klassiker, der eine mitreissende Liebesgeschichte erzählt und bis heute eine berauschende emotionale Wirkung entfaltet.  

 

Bereits in den Jahren unmittelbar vor ihrer Zusammenarbeit mit Kechiche zeigte sie, zu welcher darstellerischen Leistung sie fähig ist, wenn sie stattdessen mit Regisseurinnen zusammenarbeitet. Sowohl in dem intensiven Beziehungsdrama Grand Central (2013) der Französin Rebecca Zlotowski als auch in Ursula Meiers L'enfant d'en haut (2012) spielt sie so eindringlich und authentisch, dass es einem manchmal die Sprache verschlägt. Da kann ihre Figur übrigens noch so fies und unliebenswert erscheinen, wie die junge Louise in Meiers Film: Die ist tagelang mit Männern rund um das Hotel in dem Alpen-Wintersportgebiet unterwegs, in dem sie sich allein mit ihrem kleinen Bruder schwerlich über Wasser hält, während der mit dem Verkauf geklauter Skier das Geld für ihre kleine Zweierfamilie besorgt. Es ist Seydouxs Fähigkeit, in ihren Rollen stets völlig aufzugehen, die sie zu einer der ganz Grossen in ihrem Metier macht.

 

Die Zeitung Le Monde hat sie sogar einmal mit Catherine Deneuve und Isabelle Adjani verglichen. Aber vielleicht ist es das Schicksal einer jeden talentierten französischen Schauspielerin, in der Heimat stets ein bisschen im Schatten der gestandenen Diven des französischen Kinos zu stehen. Und vielleicht schert Léa Seydoux auch deshalb immer wieder so gerne aus, spielt herrlich groteske Parts wie die robuste Widerstandskämpferin in Yorgos Lanthimos' bizarrer Menschheitsutopie The Lobster (2015) oder tritt in Wes Andersons The French Dispatch (2021) als dominante, aber kunstinteressierte Gefängniswärterin auf. Lange Pausen zwischen den Projekten versucht sie zu vermeiden, um den immer wiederkehrenden Selbstzweifeln erst gar keine Chance zu geben, und da kommen ihr die permanenten Angebote von allen Seiten nur recht: «Wenn ich in Frankreich einen Film mache, weiss ich, dass ich beurteilt werde. Es ist eine kleine Welt. Aber Englisch ist internationaler, universeller. Deshalb überschreite ich gerne Grenzen.» Und dieser letzte Satz ist bei ihr durchaus im eigentlichen wie im metaphorischen Sinn zu verstehen. Nur zu, möchte man ihr daraufhin am liebsten entgegnen. Denn egal wen, was oder wo Léa Seydoux spielt, wir haben noch längst nicht genug von ihr auf der Leinwand gesehen. 

 

Pamela Jahn ist Autorin und Filmjournalistin. Sie schreibt u.a. für das «ray Filmmagazin», für «Sight & Sound», «FAQ» und das «Electric Sheep Magazine». Sie lebt in London und ist dort auch als Filmkuratorin tätig.

 

 

Die Reihe entstand in Zusammenarbeit mit dem Filmbuff Daniel Gautschi. Vielen Dank! Ausserdem danken wir der Alliançe Française de Bâle für die freundliche Unterstützung dieser Reihe.

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