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Filmreihe

 
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Adèle Haenel

La Combattante


Sie mag noch nicht in aller Munde sein und ist doch längst kein Geheimtipp mehr. Seit ihrem Durchbruch in Céline Sciammas Regiedebüt Naissance des pieuvres vor zwölf Jahren zählt Adèle Haenel zu den gefragtesten Jungschauspielerinnen des französischen Kinos. Sechsmal wurde sie für den César nominiert, zweimal hat sie ihn bereits gewonnen – als lebenstüchtige Schwester und stille Heldin in dem Familiendrama Suzanne (2013) und als widerspenstige Apokalyptikerin in der unkonventionellen Survival-Romanze Les combattants (2014). 30 Jahre jung blickt sie heute schon auf eine beachtliche Karriere zurück und beeindruckt mit der schieren Vielseitigkeit ihrer Rollen und einer geradezu vehementen Leinwandpräsenz. Ob als von Schuldgefühlen geplagte Ärztin in La fille inconnue der Brüder Dardenne oder junge Polizistin auf Vergeltungsmission in der turbulenten Krimi-Komödie En liberté! – mit kompromisslosem Temperament, unvergleichlichem Gespür für komisches Timing und einer umwerfenden Mischung aus zupackendem Charme und überwältigender Körperlichkeit und Energie wirft sie sich in ihre Charaktere.

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Die französische Presse feiert sie als «jüngsten Tornado des französischen Films». Das Stadtkino Basel bereitet ihr die Leinwand und empfiehlt wärmstens, sich verführen zu lassen.

 

Vergleiche sind in ihrem Fall hoffnungslos. Sie hat nichts von der ambivalenten Schönheit einer Jeanne Moreau, nichts von der Erotik der jungen Catherine Deneuve. Auch mit Fanny Ardant, Brigitte Bardot und Anna Karina kommt man bei ihr nicht weit. Wenn man es darauf anlegt, kann man in ihren Augen einen Hauch von Romy Schneider erkennen, mit der sie zudem ihre leidenschaftlich sinnlichen Gesichtszüge teilt. Aber dann gibt sich die junge Ausnahmeschauspielerin im Gespräch wie am Dreh plötzlich so bodenständig und diszipliniert, dass man auch diese Idee gleich wieder verwirft. Das gewisse Etwas der Adèle Haenel, man merkt es schnell, lässt sich schwer fassen. Da ist zunächst die schier atemberaubende Natürlichkeit, mit der sie der Welt vor wie hinter der Kamera begegnet. Da ist ihr erfrischender, stets perfekt getimter Humor. Und da ist diese besondere, ihr angeborene Skepsis im Blick, wenn sie mit ihren beharrlich prüfenden, vor Neugier strahlenden grünen Augen wieder einmal mehr sagen muss, als ihre Figuren in Worte zu fassen im Stande sind. Kurzum: Haenels gewisses Etwas ist, dass sie eine wie keine ist, und das will im französischen Kino, in dem es an grossen Frauen weiss Gott nicht mangelt, schon etwas heissen.

 

Umso erstaunlicher ist es, dass die sympathische Pariserin über die heimatlichen Landesgrenzen hinaus vielen bis heute noch immer kein Begriff ist, was zum einen daran liegen mag, dass Haenel sich am liebsten in ihren Rollen verliert, die Figuren lebt, die sie spielt, am Set alles gibt und den Medien dafür entsprechend zurückhaltend gegenübertritt. Trifft man sie doch einmal persönlich zum Gespräch, wundert man sich zunächst, woher diese Zaghaftigkeit kommt. Denn wenn Haenel im wahren Leben wie im Kino eines nicht ist, dann schüchtern. Allein schon angesichts ihrer sportlichen, 1,75 Meter hohen Statur assoziiert man bei ihrem Anblick eine mit beiden Beinen im Hier und Jetzt stehende Frau, die für sich selbst sorgen kann. Eine Kämpferin eben, wie sie sie so wunderbar impulsiv in ihren Filmen verkörpert, egal ob als engagierte Aktivistin in Robin Campillos pointiertem Aids-Drama 120 battements par minute (2017) oder in der Rolle einer aufbegehrenden Arbeiterin im Frankreich der Französischen Revolution (Un peuple et son roi, 2018). Selbst die junge Ärztin, die in Jean-Pierre und Luc Dardennes La fille inconnue (2016) aus vermeintlicher Mitschuld an dem Mord an einer afrikanischen Frau von Gewissensbissen geplagt ist, lässt sich nicht einfach unterkriegen. Und erst recht nicht die scharfsinnige Polizistenwitwe Yvonne, die in En liberté! (2018) nach dem Tod ihres Mannes erfahren muss, dass dessen angebliche Heldentaten auf nichts als dunklen Machenschaften beruhen – sie alle stellen sich gemäss ihres patenten Charakters der jeweiligen Situation, in der sie sich befinden, suchen die Flucht nach vorn, anstatt sich hinter ihren Ängsten, Schuldgefühlen oder Seelenschmerzen zu verstecken.

 

Diese enorme Vitalität und Konfliktbereitschaft, mit der Haenel immer wieder aufs Neue die Leinwand erobert, wurde der bislang zweifachen César-Gewinnerin bereits in die Wiege gelegt. Schon als Kind kaum zu bremsen, spielt sie heute noch Rugby und Fussball, reitet und boxt und trägt obendrein den grünen Gürtel im Judo. Dass man mit ihr auch Pferde stehlen kann, hat sie in Les combattants (2014) von Thomas Cailley bewiesen, in dem ihre selbstbewusste Madeleine einen jungen Mann dazu verleitet, an einem Überlebenstrainingscamp der Armee teilzunehmen. Und auch sonst sind ihre Figuren bisweilen gerne etwas derb angelegt, ohne dabei auch nur einen Funken an Intelligenz, Wärme oder Schlagfertigkeit einzubüssen. Die porzellanhaften Kindfrauen, so viel ist sicher, sind ihre Sache nicht. Wirft man einen Blick auf ihre für eine gerade mal dreissigjährige Darstellerin beachtliche Filmografie, sucht man vergebens nach Mauerblümchen und Prinzessinnen. Auch Diven und Femmes fatales mögen andere sein. Anstatt Männern auf der Nase herumzutanzen, tanzt Haenel lieber aus der Reihe, und zwar gewaltig.

 

Weshalb sie es auch nicht bei der Kumpelhaftigkeit belässt, die sie ihrerseits mit bezwingender Leichtigkeit ausstrahlt. Sie mag wild sein und unkonventionell, eine Frau ist sie allemal. Und mehr noch: eine Liebende. Wie sehr sogar, das beweist sie in einer ihrer jüngsten Rollen in Portrait de la jeune fille en feu (2019) der französischen Regisseurin Céline Sciamma. Haenel spielt darin eine zunächst unnahbare Dame, von der eine junge Malerin auf einem abgelegenen französischen Landsitz im 18. Jahrhundert zu Heiratszwecken ein Gemälde anfertigen soll. Doch in den wenigen Tagen der Zweisamkeit entsteht über das Porträt hinaus viel mehr, als sich in ein paar Pinselstriche fassen lässt. Sciamma zeichnet das Bild zweier Verliebter, die sich in ihrer zurückhaltenden, sinnlichen Intimität nach Kräften verzehren. Und sie filmt Haenel nicht etwa als Luder, wie es Bertrand Bonello einst in L’Apollonide (2011) tat, mit dem er dem damaligen Shooting Star prompt zu dessen zweiten César-Nominierung verhalf. Nein, Sciamma zeigt sie wie bereits in ihrem famosen Debüt Naissance des pieuvres (2007) als Verkörperung einer Sehnsucht und als Provokation. Haenels famose Darstellung der vermeintlich überreifen Floriane, die als Mitglied eines Synchronschwimmteams der zarten Marie den Kopf verdreht, wurde einst ihr Sprungbrett zum Erfolg, zumindest in Frankreich. Und wenn man weiss, dass Haenel und Sciamma in den Jahren nach ihrem gefeierten Coming-of-Age-Drama ein Paar wurden, der nimmt diese bedingungslose Offenheit und Vertrautheit zwischen der jungen Schauspielerin und der Kamera heute im Nachhinein noch einmal ganz anders wahr.

 

Wie wenig Haenel ob als Kämpferin oder Verführerin tatsächlich braucht, um auf der Leinwand maximale Wirkung zu erzielen, lässt sich allein daran festmachen, mit welcher Abneigung sie im Film wie im Leben allzu aufdringliches Make-up trägt. Wozu auch? Ihr genügt ein sanftes Lächeln hier, ein griesgrämiger Blick dort und in Ausnahmefällen auch ein eigenwilliges Deutsch mit betörendem französischen Akzent, um Männer wie Frauen unverzüglich um den Finger zu wickeln. Dabei ging es ihr in Die Blumen von gestern (2016) im Grunde in erster Linie darum, die eigenen familiären Wurzeln zu erkunden. Denn obwohl ihr Vater ursprünglich aus Graz stammt, wurde bei ihr zu Hause kaum Deutsch gesprochen. Also setzte sich Haenel mit allem Ehrgeiz daran, für den Film die Sprache zu lernen, ohne zu ahnen, dass sie mit ihrer Figur der quirligen Praktikantin Zazie, die dem Holocaust-Forscher Totila Blumen (Lars Eidinger) zuarbeiten soll, gleich auch die Herzen des deutschen Publikums erobert.

 

Aber so ist das mit Adèle Haenel. Einmal gesehen, einmal wahrgenommen, kommt man nur noch schwer gegen die entwaffnende Intensität ihrer Ausstrahlung an. «Voilà!», könnte man sagen, wie Haenel selbst, die den Ausdruck in Gesprächen immer wieder ans Ende ihrer Sätze stellt. Nur würde sie in dem Fall sicher ihre Bescheidenheit bremsen, denn auch das ist die diplomierte Ökonomin: genügsam, umsichtig und unendlich dankbar für das, was sie seit ihrer ersten Rolle in Christophe Ruggias Geschwisterdrama Les diables (2002) erreicht hat. Vermutlich hat sie deshalb bei der Dankesrede für ihren ersten César, den sie 2014 für ihre Nebenrolle in Katell Quillévérés Suzanne entgegennehmen durfte, nicht länger damit warten können, schliesslich auch öffentlich ihre Liebe zu Sciamma zu gestehen, ohne die sie vielleicht nie zu dem Star aufgestiegen wäre, der sie heute ist. Dass ihre Strahlkraft noch immer nicht weit genug über die französischen Grenzen hinausreicht, um in Hollywood Aufmerksamkeit zu erregen, stört sie selbst jedoch am allerwenigsten. Viel wichtiger sei es ihr, mit dem, was sie macht, etwas zu erreichen, das über die Steigerung des eigenen Bekanntheitsgrades hinausreicht. Kein Wunder also, dass ihre Landleute sie lieben und feiern wie eine der ganz grossen Damen des französischen Films. Sie ist eine von ihnen. Voilà! Nur eben eine wie keine.

 

Pamela Jahn

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