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Clint Eastwood

Der einsame Wolf


Als Schauspieler wurde Clint Eastwood in der Rolle des einsamen Westernhelden zu einer Ikone. Als Regisseur kultivierte er den klassischen Stil bis zur Perfektion: «Gute Geschichten gut erzählen», lautet seine Mission, auf der er sich immer wieder auf die Seite der Rebellen schlägt und sich trotzdem als vielseitiger erweist, als viele denken. Spätestens mit seinem revisionistischen Western Unforgiven (1992) brach er mit dem eindimensionalen Kerle-Klischee seiner Cowboy-und-Cop-Ära, die ihn in den 60er- und 70er-Jahren mit Sergio Leones Dollar-Trilogie und als knallharter Dirty Harry zum Star gemacht hatte. Mit Bird (1988) setzte er seiner Liebe zum Jazz im Allgemeinen und Charlie Parker im Besonderen ein Denkmal und bewies sich in The Bridges of Madison County (1995) als unverhohlener Romantiker. In seinem Rachedrama Mystic River (2003) thematisierte er die Frage von Schuld und Sühne mit der Wucht einer griechischen Tragödie und zeichnete mit seinem Oscar-prämierten Boxer-Melodram Million Dollar Baby das Spektrum einer puren reinen Liebe.

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Im kommenden Jahr wird das mild gewordene Raubein 90 Jahre alt. Das Stadtkino Basel widmet dem grossen Schauspieler, Regisseur, Produzenten und Komponisten schon jetzt eine Hommage und legt dabei einen Schwerpunkt auf seine zarten Seiten.

 

Mit über 70 Filmen als Schauspieler und über 40 als Regisseur gilt der vierfache Oscar-Preisträger Clint Eastwood heute als einer der grössten lebenden Cineasten. Dennoch ist er in Hollywood ein Aussenseiter geblieben – natürlich, weil er als Republikaner, der Barack Obama kritisierte und Donald Trump zur Wahl empfahl, hier einer politischen Minderheit angehört. Aber auch, weil ihm das Establishment mit seinem verschwenderischen Lifestyle ein Gräuel ist.

 

Eastwood, dessen Familie in der Great Depression verarmte und der sich selber als Holzfäller und Heizer verdingte, ehe er als Schauspieler den Durchbruch schaffte, kam von unten. Und das hat nicht nur sein protestantisches Arbeitsethos («von nichts kommt nichts») geprägt, sondern auch sein Kino. Als Schauspieler verkörperte er mit Vorliebe bodenständige Kerle – Männer der Tat, die sich gegen Männer der Worte auflehnen.

 

Eastwood prägte zwei Archetypen des amerikanischen Kinos: den einsamen Western-Wolf, der in einem Kaff aufkreuzt und für Ordnung sorgt, ehe er wieder dem Horizont entgegenreitet – der Rebell ausserhalb des Systems, und den hartgesottenen Cop wie Dirty Harry, der selber Gesetze übertritt, um Gutes zu tun – der Rebell innerhalb des Systems.

 

Zum Film kam der 1930 in San Francisco Geborene durch Zufall. Er wurde im Koreakrieg eingezogen und lernte im Militär David Janssen kennen, den späteren Star der Serie The Fugitive. Dieser ermutigte den athletischen Kameraden, es ebenfalls in der Traumfabrik zu versuchen. Eastwood schaffte schliesslich den Durchbruch als Cowboy in der Westernserie Rawhide. Darin fiel er Sergio Leone auf, der bei seinem Western Per un pugno di dollari (1964) mit Budgetproblemen kämpfte. Da er sich A-List-Stars wie Henry Fonda und James Coburn nicht leisten konnte, verpflichtete er als günstigen Ersatz Clint Eastwood.

 

Als maulfauler Revolverheld mit Zigarillo im Mundwinkel und zusammengekniffenen Augen, der schneller zieht als sein Schatten, avancierte Eastwood zu einer Ikone der Popkultur. Er galt fortan als Inbegriff der Coolness und als Aushängeschild des Spaghetti-Western, den er und Leone initiierten. In der Blütezeit der cineastischen Moderne, als Godard und Antonioni die Bildsprache weiterentwickelten, entstaubten sie das Genre des Western, indem sie Form und Attitüde über Plot und Dialoge triumphieren liessen.

 

Im Meisterwerk Il buono, il brutto, il cattivo (1966) führt Leone Eastwood ein wie eine mythische Kultfigur, indem er ihn zunächst nur von hinten zeigt, dann auf seine Schuhe fokussiert, ehe er, quasi von unten staunend, dessen wettergegerbte Visage einfängt – ein cineastischer Manierismus, dem Quentin Tarantino in seinem neuen Film Once Upon a Time ... in Hollywood die Reverenz erweist, wenn er Leonardo DiCaprio auf ähnliche Weise als Westernstar vorstellt.

 

Spätestens nach dem Erfolg von Dirty Harry (1971), in dem Clint als Cop einem Serienmörder den Garaus macht, war das Image von Eastwood als machohaftem Revolverheld zementiert und, weil es halt so gut zum Klischee des bösen Republikaners passt, kaum mehr aufzuweichen. Dass der libertäre Eastwood gesellschaftspolitisch weit links steht (er tritt seit je für das Recht auf Abtreibung ein) und schon in den siebziger Jahren schwarze Techniker engagierte, als dies bei Demokraten noch verpönt war, änderte wenig daran.

 

Dabei bräuchte man nur seine Filme zu schauen, um zu sehen, wie vielseitig und differenziert er ist. Im tieftraurigen Spätwestern Unforgiven (1992) emanzipierte er sich von seinem Image als Westernheld und räumte ein, dass man mit Waffengewalt keinen Beitrag zu einer besseren Welt leistet. Das Drama Gran Torino (2008) wiederum ist ein Mea Culpa für seinen Dirty Harry, in dem der von Eastwood verkörperte Antiheld am Ende geläutert von der Waffe lässt.

 

Gerade auch wegen der Intertextualität, die sein Œuvre als Regisseur durchzieht, hat die im Autorenkino tonangebende Cinéphilie parisienne Eastwood als Auteur erkannt und verehrt ihn seither kultisch. Nirgends laufen seine Filme erfolgreicher als in Frankreich.

 

Eastwood betrat die Bühne als Regisseur, als die Grossmeister des klassischen Hollywood wie John Ford, Howard Hawks oder Raoul Walsh abdankten. Er ist ihr einziger namhafter Erbe, weil er dem klassischen Stil treu blieb. «Eine gute Geschichte gut zu erzählen», lautet sein Ziel. Gut zu erzählen heisst für ihn, geradlinig und schnörkellos zu sein, wobei er seine Drehbücher nie selber schreibt.

 

Eastwood orientiert sich in seinem Kino stets am Menschen, fängt nur ein, was dieser sehen kann. Nie filmt er durch Schlüssellöcher oder in Köpfe. Und wie die grossen Western-Regisseure aus Kalifornien (Ford, Walsh, Anthony Mann) hat er einen Sinn für die Totale und vermag seine Helden in die Landschaft einzubetten. Oft kann er Konstellationen zwischen den Figuren, etwa im Finale von A Perfect World (1993), in einer Einstellung verdeutlichen, wofür andere Regisseure vier oder fünf brauchen.

 

Die dramaturgische Geradlinigkeit entspricht auch seiner Arbeitsweise. «Analysis leads to paralysis», lernte er von seinem Mentor Don Siegel. Entsprechend dreht er meistens jede Szene nur einmal. Eastwood ist bekannt dafür, Budgets und Drehpläne einzuhalten. Als Angelina Jolie mit ihm Changeling (2008) realisierte, stand ihr damaliger Ehemann Brad Pitt für David Finchers The Curious Case of Benjamin Button vor der Kamera. Jolie war jeden Abend um 19 Uhr zu Hause, Pitt erst um 23 Uhr.

 

Eastwood feierte seine grössten Erfolge als Regisseur in den uramerikanischen Genres Kriegsfilm, Western, ländliches Melodram und Boxerfilm. Inhaltlich kreisen sie um die Werte der res publica, wie sie die Gründerväter der USA festlegten: individuelle Freiheit, Toleranz, Streben nach Glück. Viel Platz nimmt in seinem grandiosen Spätwerk die Trauer ein: In Mystic River (2003) trauert Sean Penn um seine Tochter, in Changeling Angelina Jolie um ihren Sohn und in Million Dollar Baby (2004) Eastwood als Boxtrainer um seine Ziehtochter Hilary Swank.

 

Einer der feinfühligsten Filme seiner Karriere ist das verkannte Drama Hereafter (2010), in dem Eastwood die Schicksale von drei Menschen verwebt, die eine Nahtoderfahrung gemacht haben – so wie er selber auch. Eastwood war im Koreakrieg mit einem Flugzeug ins Meer abgestürzt und überlebte, indem er fünf Kilometer weit an die Küste schwamm. Eine prägende Note verleiht dem Film der sanfte Soundtrack, den Eastwood selber komponierte. Er trat in den fünfziger Jahren selber als Pianist auf und veröffentlichte insgesamt drei Alben. Sagen wir es höflich: Als Cineast ist er aufregender. Seit seiner Zeit als gescheiterter Pianist hat Eastwood ein Faible für Musiker, die abstürzen wie der von ihm verkörperte versoffene Countrysänger in Honkytonk Man (1982) oder der drogenabhängige Charlie Parker in Bird (1988).

 

Ohnehin ist das musische Raubein Eastwood dann am besten, wenn es die zarten Saiten seiner Figuren zum Klingen bringt wie im Liebesmelodram The Bridges of Madison County (1995). Darin hat er als Fotograf eine Affäre mit einer von Meryl Streep gespielten Hausfrau, die von ihrer Familie vernachlässigt wird. Am Ende, als sich ihre Wege in strömendem Regen an einer Ampel trennen, zeigt er seiner hinter ihm fahrenden Affäre, die neben ihrem Mann sitzt, mit dem rot blinkenden Rücklicht an, dass er sie liebt, ehe er abbiegt. Eine typische Eastwood-Szene, in der die Bilder sprechen und einen zu Tränen rühren: wenig Aufwand, grosse Wirkung.

 

Christian Jungen

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