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Ethan Hawke

To Interpret Life


Er war der schüchterne Internatsschüler, der in Peter Weirs Dead Poets Society den Aufstand übte, der unergründliche Slacker an der Seite von Winona Ryder in Reality Bites und der sensible Tagträumer, der mit Julie Delpy in Richard Linklaters Before Sunrise eine Nacht durch Wien streifte – der Beginn einer zauberhaften Trilogie ...  Als Inbegriff der Grunge-Generation wurde er in den 90er-Jahren zum Star – und wandte Hollywood weitgehend den Rücken. Im Verlauf seiner mittlerweile 30-jährigen Karriere erfand sich Ethan Hawke immer wieder neu und reifte zu einem der vielseitigsten Künstler seiner Generation.

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Als Film- und Theaterschauspieler blieb er Independent-Produktionen treu und erkundet – ob als Scheidungsvater in Linklaters gefeiertem Langzeitexperiment Boyhood oder strauchelnder Meistertrompeter Chet Baker – die Abgründe seiner meist gebrochenen Figuren. Er bewies sich als Roman- und Drehbuchautor und legt aktuell mit dem unkonventionellen Musiker-Biopic Blaze seine hochgelobte vierte Regiearbeit vor, während er für seine Rolle als gepeinigter Priester in Paul Schraders First Reformed auf höchste Auszeichnungen hoffen darf. Das Stadtkino Basel widmet dem unprätentiösen Alleskönner eine Hommage.

 

Eigentlich dürfte es einen wie ihn gar nicht geben. So einen Alleskönner, der auf der Leinwand hart und zugleich empfindsam sein kann, der mal ganz euphorisch spielt und dann wieder am Boden zerstört agiert, der zerrissen oder getrieben, gelassen oder ehrgeizig daherkommen und jede noch so extreme oder widersprüchliche Gemütslage seiner Figuren derart verinnerlichen kann, dass man ihm von vornherein alles abnimmt: den emotional verdrehten Romantiker (Reality Bites) ebenso wie den modernen Schmerzensmann (aus Richard Linklaters Before-Trilogie), den desillusionierten Cop (Training Day) wie den gequälten Geistlichen (First Reformed), bis hin zu dem gepeinigten Meistertrompeter Chet Baker (Born to Be Blue), den er neben zahlreichen anderen Rollen im Laufe seiner bisher über dreissigjährigen Schauspielerkarriere verkörpert hat. Ein nicht unbedeutender Grund seines beharrlich wachsenden Erfolgs mag sein, dass Hawke stets mit wachen Augen durchs Leben geht, bewusst nach Herausforderungen sucht und sich unerschrocken im eigenen Spiel übt, ohne dabei jemals sein Gefühl fürs Menschliche einzubüssen. Sowohl vor als auch hinter der Kamera hat er auf diese Weise seit seinen frühen Anfängen eine bemerkenswerte kreative Entwicklung durchlebt, die einen Sonderfall im US-amerikanischen Kino darstellt. Denn bei allem Talent und Ehrgeiz verwundert es, wie ein derart umsichtiger, ehrlicher und feinfühliger Mann wie er sich tatsächlich bis heute in einem so undankbaren Geschäft wie dem Filmbusiness an der Spitze zu halten vermag.

 

Doch Ethan Hawke ist genau dort – ganz oben. Und er ist noch mehr: Neben dem Rollenspiel profiliert sich der heute 47-jährige Texaner zudem seit Jahren als kluger Autor, Drehbuchschreiber und Regisseur, der sich durch die verschiedensten Genres schlägt und vor nichts halt macht, schon gar nicht vor sich selbst. Bereits 1996 veröffentlichte er sein literarisches Debüt «The Hottest State», einen autobiografisch angelehnten Roman um einen jungen Schauspieler in New York, der hoffnungslos seiner ersten grossen Liebe verfällt und angesichts der sich anbahnenden Tragödie die Nähe zu seinen geschiedenen Eltern sucht. Zehn Jahre später diente ihm das Buch als Vorlage für seine zweite Regiearbeit, in der Hawke nicht zuletzt auch das entfremdete Verhältnis zum eigenen Vater nach der Scheidung seiner Eltern anging, indem er die Rolle im Film selbst übernahm. Aber auch das ist bei Hawke keine einfache Laune des Egos, sondern Teil einer ausgeklügelten Überlebensstrategie: Er arbeitet sich an sich ab und erfindet sich auf diese Weise regelmässig neu, um ganz er selbst zu bleiben. Denn nur wer mit sich im Reinen ist, weiss er, kann dauerhaft Qualitätsarbeit leisten.

 

Wie lange Hawke bereits dabei ist, wird einem immer wieder bewusst, sobald man einen Blick an den Anfang seiner Filmografie wirft. Kaum vierzehn Jahre war er alt, als ihn Joe Dante 1985 an der Seite von River Phoenix für sein Sci-Fi-Abenteuer Explorer engagierte. Doch der Misserfolg des Films bei Kritik und Publikum ging nicht spurlos an dem nachdenklichen Jungen aus Austin vorbei. Erst mit neunzehn traute er sich wieder vor die Kamera, diesmal unter der Regie von Peter Weir, der ihn für einen Part in seinem bewegenden Internatsdrama Dead Poets Society verpflichtete. Die Rolle des nach aussen schüchternen, aber in seiner Seele brennenden Schülers Todd Anderson sollte Hawke nicht nur international bekannt, sondern auch für eine ganze Reihe anderer namhafter Regisseure interessant machen, mit denen er im Laufe seiner Karriere zum Teil enge Freundschaften schloss und bis heute regelmässig neue Projekte verwirklicht. Gemeinsam mit Andrew Niccol beispielsweise entdeckte er Ende der 90er-Jahre in Gattaca (1997) seine Leidenschaft für futuristische Welten und Ideenkonstellationen neu, während Antoine Fuqua ihm mit Training Day (2001) seine erste Oscarnominierung als bester Nebendarsteller einbrachte. Die Kombination «tough Cop vs. soft Cop», an der sich das aktionsreiche Polizistendrama abarbeitet, bot Hawke die perfekte Gelegenheit, sich gegenüber Denzel Washingtons Ein-Mann-Kampfmaschine als der am Ende Überlegene dieses ungleichen Duos zu behaupten. Und es ist vor allem die innere Wut und Wendigkeit seines unerschütterlich an Recht und Ordnung glaubenden LAPD Officers, die einem bis heute am Stärksten in Erinnerung bleibt.

 

Wer in Hawkes Schauspiel jedoch nach einem auf Anerkennung ausgerichteten Show-off-Prinzip sucht, hat weit gefehlt. Viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind seine Charaktere, als dass sie sich mit der Vorschlaghammermethode der ganzen Welt zur Schau stellen wollten. Und nicht selten sind es gerade ihre endlosen Mühen, sich ihrem Gegenüber mitteilen beziehungsweise mit anderen kommunizieren zu können, die sie überhaupt erst zu spannenden Figuren machen. Das fing bereits bei Troy Dyer, dem weltverlorenen Musiker aus Reality Bites (1994) an, der erst hilflos zusieht, wie seine beste Freundin (Winona Ryder) in die Arme eines Schnösels rennt, anstatt sich gleich seiner unsterblichen Liebe zu ihr zu bekennen. Sein wahres Handwerk in Sachen gefühlsverzerrter Lebenskünstler lernte Hawke jedoch kurze Zeit später von dem Mann, mit dem er bis heute insgesamt sieben Filme realisierte: Richard Linklater. Aus einem ersten Flirt in Before Sunrise (1995), in dem die Französin Céline (Julie Delpy) und der Amerikaner Jesse (Hawke) sich zu einer durchschwatzten Nacht in Wien trafen, sollte folglich eine ganze Trilogie werden, in der der Regisseur in präzisen Momentaufnahmen dem Entstehen und Sich-Winden einer Liebe nachspürt. Zwischendurch drehten sie zudem immer wieder gemeinsam an dem 2014 fertiggestellten Boyhood, Linklaters einzigartige filmische Langzeitstudie einer amerikanischen Mittelschichtskindheit, in der Hawke erneut als geknickter Scheidungsvater in Erscheinung tritt, der sich im Zuge des Heranwachsens seines Sohnes diesmal jedoch vom legeren Freigeist zum pragmatisch verantwortungsbewussten Elternteil wandelt.

 

Das gespaltene Verhältnis zur eigenen Vergangenheit ist allerdings nicht die einzige Kraft, die Hawke antreibt, sich immer wieder aufs Neue ins Abenteuer zu stürzen. Vielmehr treibt ihn sein innerer Hunger nach subtilen, schwer durchschaubaren und in ihrer Persönlichkeit gebrochenen Figuren regelmässig in physische wie psychische Ausnahmesituationen, sei es im Rahmen eines Horrorszenarios à la Sinister (2012), verpackt als klaustrophobisches Kammerspiel wie im Fall von Linklaters mutigem Drei-Personen-Thriller Tape (2001), inszeniert von Sidney Lumet als emotionale Tour de Force in Before the Devil Knows You’re Dead (2007), oder wie unlängst in Paul Schraders First Reformed (2017), in dem Hawkes schwerkranker Ex-Militär Pastor Toller die Last der ganzen Welt auf seinen schmalen Schultern trägt. Doch egal, wohin oder wie weit ihn seine Regisseure auch um den Verstand bringen wollen, stets kämpft Hawke mit und für seine eigenwilligen, mehr oder weniger verwundbaren Figuren, denen er sich jeweils behutsam annähert, anstatt sie demonstrativ auszustellen.

 

Will man darüber spekulieren, woher diese erhöhte Sensibilität gegenüber der Welt rührt, kommt man bei Hawke schnell zur Musik, die ihm bereits als Kind zur Passion und zum Lebenselixier wurde. Man muss sich nur ansehen, mit welcher feinen Beobachtungsgabe er in seiner jüngsten Regiearbeit Blaze (2018) das Leben der verkannten Songwriter-Legende Blaze Foley nachzeichnet, um zu ahnen, dass hier nicht nur das Wissen um Foleys Einfluss auf die texanische Outlaw-Musikbewegung Pate stand, sondern vor allem ein Gefühl für die Texte, Melodien und Gedanken, die den aussergewöhnlichen Musiker durch die extremen Höhen und Tiefen seines Lebens begleiteten. Seymour: An Introduction (2014) steht dem darüber hinaus als erhellende, meditative Auseinandersetzung mit der Kunst gegenüber, in der Hawke das Publikum mit Ehrfurcht und Andacht durch das Leben des endlos faszinierenden Pianisten und Lebensphilosophen Seymour Bernstein führt.

 

«Solange du tust, was dich glücklich macht, und daran arbeitest, wirst du wachsen und verstehen, wer du bist», lautet eine der vielen Weisheiten, die Bernstein seinen Schülern im Film mit auf den Weg gibt. Und auch für Ethan Hawke ist dieser Prozess längst nicht abgeschlossen. Ruhiger zwar und ausgeglichener vielleicht auch, ist selbst er nach über drei Jahrzehnten im Geschäft nicht vor Lampenfieber und Selbstzweifeln gefeit. Den Ausnahmeschauspieler und Alleskönner lässt diese Einsicht allein umso sympathischer und greifbarer erscheinen.

 

Pamela Jahn

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