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Filmreihe

 
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Romy Schneider

Porträt eines Gesichts


Als kindliche Kaiserin wurde sie über Nacht zum Star – und kämpfte fortan gegen das süsslich-verklärte Sissi-Image, das in ihren Augen «wie Griessbrei» an ihr klebte. Knapp 20-jährig suchte sich Romy Schneider aus dem biederen Korsett des deutschen Nachkriegskinos zu befreien und floh nach Paris, wo sie ihre zweite Karriere begann und bald zur Galionsfigur des französischen Autorenfilms und zur Ikone des internationalen Kinos der 60er- und 70er-Jahre avancierte. Sie wurde zum Sinnbild der modernen Liebenden und arbeitete mit den grössten Regisseuren ihrer Zeit. Sie drehte mit Luchino Visconti (Ludwig), mit Orson Welles (Le procès), Henri-Georges Clouzot (L’enfer), André Zulawski (L’important c’est d’aimer) und immer wieder mit Claude Sautet (Les choses de la vie, Max et les ferrailleurs, Une histoire simple).

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Als Verzweifelte und Verführerin, Geliebte und Gestrauchelte, Prostituierte und Todgeweihte bewies sie ihre Wandelbarkeit in exzessiven Rollen – und blieb dabei immer unverwechselbar. «Eine Mischung aus tödlichem Charme und tugendhafter Reinheit», attestierte ihr Claude Sautet. «Sie ist gleichzeitig strahlend selbstsicher und voll innerer Zweifel.» Im September wäre sie 80 Jahre alt geworden. Das Stadtkino Basel feiert die «Frau mit den tausend Gesichtern» mit einer Hommage.

 

Als auf der diesjährigen Berlinale Emily Atefs Film 3 Tage in Quiberon seine Weltpremiere feierte, bot das Anlass zu mancher Romy-Schneider-Beschwörung. Marie Bäumer hatte endlich einem Angebot nachgegeben, ihre äusserliche Ähnlichkeit zu der grossen Schauspielerin für einen Film zur Verfügung zu stellen; sie agierte bravourös, verschwand auch stimmlich hinter der Figur, die sie darstellte.
Atefs Film dagegen blieb – innerlich halbgar nicht nur im Verhältnis des männlichen Journalisten zur bekannten Darstellerin – hinter dem zurück, was er hätte werden können: eine schärfer konturierte Aktualisierung der Romy-Schneider-Faszination, eine Wiedergutmachung des deutschen Kinos an einer Schauspielerin, die von der biederen Heimat lange Zeit auf ihre Sissi-Niedlichkeit festgelegt worden war und der entsprechend die Flucht ins Weltkino verübelt wurde, ohne das die Grösse von Romy Schneider nie hätte hervortreten können.
Die Ambitionslosigkeit von 3 Tage in Quiberon zeigt sich nicht zuletzt daran, dass der Film aus dem Jahr 2018, der 1981 spielt, kurz vor dem Ende des kurzen, intensiven Lebens der Romy Schneider, Hans-Jürgen Syberbergs Dokumentarfilm Romy – Porträt eines Gesichts von 1966 nichts Wesentliches hinzufügt. Alles ist schon da in dieser Fernseharbeit, von der sich Schneider den Weg ans deutsche Theater erhoffte und die verteidigt werden musste gegen die PR-Idylle, die ihr damaliger Mann Harry Meyen im Sinn hatte: Syberberg zeigt in einer innovativen dokumentarischen Form Bilder von einer Begegnung während eines Wochenendes in Kitzbühel sowie Bilder aus der Wohnung, dem Paris, in dem Schneider damals lebte, und montiert dazu O-Ton aus den Gesprächen mit ihr als fragmentierten Monolog sowie Musik aus ihrer Plattensammlung.
Zum Vorschein kommt so eine schon damals zerrissene Figur: eine Künstlerin, die berechtigte Ansprüche pflegt und um die Abhängigkeiten vom Heimatfilm-seligen deutschen Kino weiss; ein Mensch, der müde ist von der Fremdbestimmung durch andere und zugleich die Aufmerksamkeit von Syberberg geniesst und für die Kamera posiert.


Die allbekannte Tragik im Leben der Romy Schneider macht die Motivation für einen biografischen Film wie 3 Tage in Quiberon nur verständlich. Die herrische Mutter, der korrupte Stiefvater, die Ehe, Beziehungen mit Männern, die ihr nicht gut tun, der luftige Umgang mit dem Geld, der, gerade in den späten Jahren, ein immenses Arbeitspensum erzwang, der Alkohol, die Medikamente, der Unfalltod des Sohnes, das eigene Sterben mit gerade 43 Jahren – all das lässt es so verführerisch erscheinen, Romy Schneiders Spiel immer zu beziehen auf ihr dramatisch nicht gelingendes Leben.
Dieses Leben wird man nicht los beim Schauen von Romy-Schneider-Filmen, es läuft ungefragt ab im Kopf der Zuschauerin als Rückprojektion ihrer darstellerischen Bandbreiten. Und es ist vielleicht kein Zufall, dass ausgerechnet Schneider die Rolle der Frau spielt, deren Tod als Live-Übertragung in der zarten Science-Fiction von La mort en direct (1980) Sensationsgelüste stillen soll. Aber es lässt sich durchaus ein eigener Begriff von Schneiders Spiel finden, zu dem Syberbergs Arbeit das entscheidende Stichwort liefert: Alles, was Romy Schneider ist als Schauspielerin, verdankt sie ihrem Gesicht.
Ein Gesicht, in dem, selbst in den Sissi-Filmen, immer schon zwei Gesichter zu sehen sind: das des Kindes, der vermeintlichen Unschuld, mit der sie in die Welt des Kinos eingetreten ist, und das der Frau, der Härten, der Desillusionierungen, die das Erwachsenwerden nicht nur im Kino mit sich bringt. Und deshalb verwundert es auch nicht, wenn am Ende von Schneiders Karriere die Figur von Marcello Mastroianni in Fantasma d’amore von 1981 verrückt wird über dem Antlitz der einst geliebten Frau, das ihm immer wieder erscheint in verschiedenen Situationen. Der deutsche Titel lautet übrigens: Die zwei Gesichter einer Frau.

 

Den Umschlag vom Kind zur Frau in jeder mimischen Bewegung von Romy Schneider markiert Géza von Radványis Film Mädchen in Uniform (1958) schillernd präzise: Schneiders Elevin, deren amouröses Begehren sich mangels Alternativen in einem von einer strengen Direktorin (Therese Giehse) geführten Mädcheninternat auf die verständige Lehrerin (Lilli Palmer) kapriziert, verhandelt die ganze Zeit den Druck, den Pubertät, das Erwachen von Sexualität bedeutet.
Zugleich ist es interessant zu sehen, wie die Register drei generationell verschiedener Schauspielerinnen wie Schneider, Palmer und Giehse interagieren – Schneiders Weichheit, die sich nach der erfolgreichen Premiere der «Romeo und Julia»-Aufführung, die einen Kuss im Spiel überhaupt erst gestattet, Bahn bricht in einen Überschwang, mit dem sie ihre Rolle im Anschluss vor den Mitschülerinnen gleich noch mal, bloss konsequenter aufführt; Palmers hintergründig-wohlmeinende Maskenhaftigkeit und Giehses ungemeine Souveränität, die sie die ranzig-repressive Rolle der verkniffenen Matrone eigentlich komplett komödiantisch auslegen lässt.
Mädchen in Uniform ist ein sehr deutscher Stoff, in dem das Korsett fest sitzt, aus dem das Begehren den Ausbruch sucht. Nimmt man sich, nur zehn Jahre später, Jacques Derays Film La piscine, und da allein die Figur, die Jane Birkin mit Anfang 20 spielt (die Tochter des Freundes, der das Paar Delon-Schneider im Ferienhaus besucht), dann ist es beredt, wie «Unschuld» hier upgedated wird – es waren andere Zeiten und Mädchen in Uniform ein historischer Stoff, aber man kann in diesem Sprung sehen, was Schneider an beengenden Geschichten hinter sich gelassen hat mit ihrem Weggang aus Deutschland.
Die wechselnden Outfits, mal elegante Kleider, mal strenge Hosen, der Bikini aus der Anfangsszene – Schneiders ganzes Kostümbild kündet beiläufig vom Freiheitsgewinn, von der Entfernung von jenen Uniformen (sic), in die sie der deutsche Film stecken wollte. La piscine ist eine Männerfantasie, zweifellos, das tödlich endende Balgen von zwei Liebhabern (Alain Delon und Maurice Ronet) um die eine Frau, das durch die Motorengeräusche eines schicken Sportwagens artikuliert wird. Vor allem ist es aber ein Film, der sich als Ballett von Blicken und Gesten erzählt – und damit ein sehr genaues Gespür dafür beweist, was Schneider schauspielerisch vermag.
Schon Orson Welles' Adaption von Kafkas «Der Prozess» gab 1962 einen anderen Blick frei auf die Schauspielerin, weil Schneiders Ausdruck hier dekontextualisiert wird – hinein in das schwarzweisse Environment der amerikanischen Aneignung eines europäischen Stoffes. Das mädchenhafte Gickern, das zuvor immer auf Niedlichkeit hinauslief, verwandelt sich in überschwängliche Komik, wenn Schneider ausgerechnet einen verkniffenen Zwangscharakterdarsteller wie Anthony «Psycho» Perkins anlasziviert und mit ihm über Aktenspeicherberge rutscht. Der harte deutsche Akzent ist noch hörbar, der sich in den französischen Filmen später ausgeschlichen hat. Die entscheidende Übermalung der deutschen Historienschmonzetten ist dann aber Luchino Viscontis epochal morbider «Ludwig II.»-Film von 1973, in dem Schneider noch einmal die Kaiserin Elisabeth spielt – diesmal aber flamboyanter, ambivalenter.


Von allen Regisseuren, mit denen Schneider gearbeitet hat, war aber Claude Sautet wohl derjenige, der sie am besten verstand. Der sie nie hätte so ausbeuten können, wie Andrzej Zulawski das in L’important c’est d’aimer (1975) gemacht hat, ohne sich etwas zu vergeben von den Möglichkeiten ihres Ausdrucks. Der auf die Porosität ihres Spiels mit der Zurückhaltung reagieren konnte, mit der er seine Figuren beobachtete. Der ihr mit Une histoire simple (1978) zu einem Höhepunkt in der reichen Filmografie verhalf – einem Film aus der Mitte des Lebens, in dem Schneiders Figur sich für einmal von ihren existentiellen Zweifeln emanzipiert.
Der grösste der so uneitel leisen Sautet-Filme mit Romy Schneider ist aber gleich der erste: Les choses de la vie (1970), eine der schönsten, tragischsten Geschichten über die Liebe, die auf den melodramatischen Wogen von Philippe Sardes Soundtrack rekonstruiert wird. Es ist bei Sautet, als ob der Film sich selbst an Stelle von Michel Piccoli verliebt in Romy Schneiders Hélène bei der ersten Begegnung. Und wenn sie am Anfang an der Schreibmaschine sitzt und ihn in ihrem Rücken fragt: «Was machst du?», dann antwortet eigentlich der Film, glücklich in Stellvertretung des Publikums: «Dich anschauen.»

 

Matthias Dell

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