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Filmreihe

 
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Sidney Poitier

Hollywoodstar und Bürgerrechtler


Der Rechtschaffene und Würdevolle, Vorreiter seiner Zeit, Vorbild und Versöhner. Erster Schwarzer Hauptdarsteller, der einen Oscar erhielt. Eine Hollywoodkarriere, die voller Erwartungen anderer steckt – und in der doch er alles bestimmt. Sidney Poitier (1927–2022) wurde zum Star im «Weissen» Hollywood, in einer Liga mit Tony Curtis und Paul Newman, und schloss sich früh der Bürgerrechtsbewegung im Kampf gegen Rassismus an. Liess sich auf der Leinwand nicht alles gefallen und schlug auch mal zurück: eine Ohrfeige für den Weissen Grossgrundbesitzer im Thriller In the Heat of the Night ist Filmgeschichte und Symbol des Schwarzen Widerstandes. Er revolutionierte das Western- Genre mit Schwarzen Cowboys in seinem Regiedebüt Buck and the Preacher und spielte im Heist-Klassiker Sneakers an der Seite von Robert Redford. Für Grössen wie Spike Lee ist er Kindheitserinnerung und Wegbereiter. Wer die USA verstehen will, der muss Sidney Poitier zuschauen.

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Er sagte nicht mit weitaufgerissenen Augen «Yes, Master», während er Drinks servierte. Er fing nicht unvermittelt an zu tanzen oder zu singen, er stolperte auch nicht unversehens über den Teppich und liess das Tablett fallen. Er spielte überhaupt nie den Dienstboten, und als einmal einer, den er hätte «Master» nennen sollen, ihm eine Ohrfeige verpasste, schlug er zurück. Ein Schwarzer Diener mit den Drinks stand daneben, aber auch der liess das Tablett nicht fallen, sondern suchte schnellstens das Weite. Es war eine Ohrfeige, die In the Heat of the Night (1967) Filmgeschichte schrieb und jahrzehntelang nachhallte. Morgan Freeman erinnert sich an sie wie auch Spike Lee und viele andere. Sidney Poitier machte alles anders, als es für Schwarze Darsteller seiner Generation – er ist Jahrgang 1927 – auf der Bühne und im Film vorgesehen war. So wurde er nicht nur ein Star, sondern auch ein Vorbild. Alle, die ihm folgten, Denzel Washington wie Samuel L. Jackson, sind sich seiner Vorreiterrolle in der Kinobranche bewusst. Diese lernte mit ihm zu akzeptieren, dass es Geschichten mit Schwarzen in den Hauptrollen gibt, die die Leute sehen wollen. Alle Leute, einschliesslich vieler Weisser. Als die Schauspielerei für ihn keine grossen Herausforderungen mehr bereithielt, drehte Sidney Poitier auch als Regisseur Filme wie noch kein Schwarzer vor ihm: einen Western mit Schwarzen Cowboys, unter ihnen sein Freund Harry Belafonte (Buck and the Preacher, 1972) und Komödien wie Let’s Do It Again mit Bill Cosby (1975). Diese Entwicklung seiner ganz eigenen Karriere verlief parallel zur und zeitgleich mit der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Eine Oscar-Nominierung für seine Rolle in Stanley Kramers The Defiant Ones aus dem Jahr 1958, in dem er zusammengekettet mit Tony Curtis auf der Flucht ist, markiert den ersten Meilenstein in Poitiers Karriere: Vor ihm war noch nie ein Schwarzer für eine Hauptrolle nominiert worden. Fünf Jahre später gewann Poitier den Oscar schliesslich für seine Rolle in Ralph Nelsons Lilies of the Field (1963). Auf dem Höhepunkt der Bürgerrechtsbewegung in den späten 1960er- Jahren hatte seine Karriere ihren Zenit erreicht: 1967 starteten gleich drei seiner Filme in den Kinos – In the Heat of the Night, Guess Who’s Coming to Dinner und To Sir With Love. Wie kann das sein? Was musste ein Schwarzer Darsteller in jener Zeit haben, damit dieser Erfolg entgegen der rassistischen Traditionen auch in der Unterhaltungsindustrie möglich war? Was musste er können, wie musste er sich geben? Was durfte er keinesfalls zeigen? Er musste, wie es seine Rollen seit Joseph Mankiewicz’ No Way Out (1950) vorsahen, überaus höflich agieren, keinesfalls wütend. Er musste in dem, was er tat, und sei es als Bauarbeiter wie in Martin Ritts Edge of the City (1957), besser sein als die anderen. Er musste gute Manieren haben, gebildet sein (ebenfalls unter der Regie von Stanley Kramer in Guess Who Is Coming to Dinner spielt er einen Arzt, der für die Vereinten Nationen überall auf der Welt unterwegs ist), in ordentlichen Verhältnissen leben, blendend aussehen und ein Herz haben, das grösser war als die Angst der Weissen vor dem Schwarzen Mann. Verboten waren auf dem Territorium der Weissen – auch der liberalen Weissen in Hollywood, auf dem er seine Karriere machte – Aggression und deutlich markierte sexuelle Ausstrahlung. So schien es für eine Weile, er sei nicht nur Vorreiter und Vorbild für Schwarze Ambition, sondern auch Fahnenträger einer Weissen Idee: der Harmonie zwischen Weissen und Schwarzen, wenn diese sich gut benehmen. Einer Harmonie, in der die Gewaltverhältnisse, in denen die Schwarzen lebten, seit die ersten von ihnen auf Sklavenschiffe ins Land verschleppt worden waren, aufgehoben und vergeben wären. Einer Harmonie, in der sich anständige Menschen mit universalistischen Idealen verständigten im Sinn einer gemeinsamen Idee von einer besseren Welt, einer Idee, zu der Sidney Poitier sich auch in seinen Büchern bekennt. Das kam nicht bei allen Afroamerikanern, die sich in den Sechzigern zu radikalisieren begannen, gut an. Und auch im Kino wurden mit den Blaxploitation-Filmen wie Shaft (1971) andere als solch versöhnliche Töne angeschlagen. Gleichzeitig aber waren die Erwartungen an Sidney Poitier immens. Er wusste genau, dass er die Last der Träume und Hoffnungen aller Schwarzen auf den Schultern trug, die es im Unterhaltungsgeschäft zu etwas bringen wollten – jenseits der Klischees, für die sie im Film immer schon herhalten mussten. Sidney Poitier sass in der Falle der Repräsentation – er musste mehr als sich selbst, nämlich die Gemeinschaft aller Afroamerikaner repräsentieren und gleichzeitig für ein Problem stehen, das nicht seines war: Der antischwarze Rassismus ist genuin das Problem der Weissen, seine Lösung aber sollte nun er herbeiführen, der erste Schwarze Schauspieler, der in einer Liga mit Tony Curtis und Paul Newman und all den anderen spielte. Dabei hatte er in den ersten zehn Jahren seines Lebens, das er in Cat Island auf den Bahamas begann, gar keine Vorstellung von «Rasse», keine Wahrnehmung einer in unterschiedliche Ethnien aufgeteilten Welt. Alle Menschen um ihn herum waren Schwarz. Das änderte sich erst, als die Tomatenfarm der Eltern nicht mehr genügend Ertrag abwarf und Sidney Poitier im Alter von vierzehn Jahren nach Miami in Florida ging – und plötzlich von Weissen umgeben war. In seinem Erinnerungsbuch The Measure of a Man (einem von dreien, die er geschrieben hat) beschreibt er, wie verblüfft er darüber war. Und wie er lernte, sich zu verhalten, um nicht unter die Räder etwa der Polizei zu kommen. Er beschreibt zum Beispiel eine Szene, die aus einem Film stammen könnte: Wie er eines Abends auf dem Rückweg von einer Exkursion in ein von Weissen bewohntes Viertel versucht, nach Hause zu trampen. Wie ein Polizeiwagen neben ihm anhält, wie ein Polizist die Waffe zieht. Wie er nach Hause laufen muss, immer vor dem Polizeiwagen her, ohne sich umdrehen zu dürfen. Wie er um sein Leben fürchtet, weil ihm klar wird, wie ausgeliefert er ist. Sidney Poitier ist, auch darin Vorreiter, immer wieder mit Weissen Darstellerinnen aufgetreten, und der vermutlich berühmteste dieser Filme, Guess Who’s Coming to Dinner, macht das Unbehagen, das eine Schwarzweisse Paarung in den Vereinigten Staaten damals hervorrief, zum Thema – und handelte sich damit ein, was heute ein Shitstorm wäre. Ebenso erging es ein gutes Jahrzehnt früher, im Jahr 1955, dem Fernsehsender NBC während und nach der Live-Ausstrahlung des Stücks Edge of the City, das später die Grundlage wurde für den gleichnamigen Film. Darin spielt Hilda Simms die Ehefrau von Sidney Poitier – eine hellhäutige Afroamerikanerin, die im Schwarzweissfernsehen jener Jahre als Weisse wahrgenommen wurde. Ein Skandal ohnegleichen, mit der ironischen Wendung, dass Hilda Simms ja Schwarz war (nur offenbar nicht Schwarz genug). Auch dies ist eine Anekdote aus Sidney Poitiers Memoiren. Er war niemals blauäugig, was die Verhältnisse anging, in denen er ein Star wurde. Dass das Weisse Establishment ihn nicht fürchtete und er trotzdem als Idol der Schwarzen besteht, hatte mit seiner Eleganz, mit seiner Klugheit, mit seinem Können und vor allem mit einer Haltung zu tun, die mehr ist als cool: Er wusste immer, was kommen könnte. Es gibt diesen Augenblick in In the Heat of the Night, in dem er ganz bei sich zu sein scheint. Während ein weisser Polizist auf ihn zuschleicht wie auf ein wildes Tier, schlägt Sidney Poitier lässig die Beine übereinander und neigt den Kopf unbeeindruckt vom Unheil, das sich zusammenbraut, zur Seite, als wolle er sagen: «So what? What now?» – nonchalant aus eigener wie aus kollektiver Erfahrung, dass mit allem zu rechnen sei.

 

Verena Lueken, langjährige Redakteurin und Film- und Literaturkritikerin im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, berichtete viele Jahre als dessen Kulturkorrespondentin aus New York. Sie befasst sich seit langem mit der Geschichte der Schwarzen in den Vereinigten Staaten, ihrer Literatur und ihren Filmen, und schrieb unter anderem Einleitungen zu deutschen Neuausgaben der Werke von James Baldwin und Maya Angelou. Ihre Buchveröffentlichungen umfassen neben Sachbüchern zum Film und über New York die beiden Romane Alles zählt (2015) und Anderswo (2018), erschienen bei Kiepenheuer & Witsch. Mehrfach ausgezeichnet, lebt Verena Lueken als Autorin in Frankfurt und Berlin.

 

Das Programm ist in Zusammenarbeit mit dem Kino Rex Bern entstanden.

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