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Filmreihe

 
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Mads Mikkelsen

Kämpfer mit Herz


Erst verhältnismässig spät fand der dänische Schauspieler Mads Mikkelsen vom Modern Dance zum Film. Welch ein Glück! Denn auch im Film wechselt er leichtfüssig die Rollen und brilliert im Mainstream- wie im Autor:innenkino: Ob als unvergesslicher Gegenspieler von James Bond (Casino Royale), als nervöser Junkie mit Hinterkopftattoo (Pusher II), gutmütiger Dorfpfarrer (Adam’s Apples) oder als feingliederiger Komponist (Coco Chanel & Igor Stravinsky) – Mikkelsen spielt sie alle mit unwiderstehlicher Ausstrahlung, bemerkenswerter Sensibilität und mit vollem (körperlichem) Einsatz – eine echte Kämpfernatur eben, die mitreisst und dabei stets nahbar und unaufgesetzt wirkt. In seiner Arbeit mit Regiegrössen wie Anders Thomas Jensen, Thomas Vinterberg oder Susanne Bier zeigt er regelmässig, zu welchen Höhenflügen das dänische Autorenkino fähig ist. Das Stadtkino Basel bereitet dem charismatischen Ausnahmeschauspieler Mads Mikkelsen mit einer aufregenden Filmauswahl die Bühne!    

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Er schaut immer so ernst, dabei könnte er sympathischer kaum sein. Mads Mikkelsen, der einst als Turner und Tänzer seine Karriere begann, ist nicht nur ein Schauspieler von Format, sondern auch ein Mann mit Herz und Humor. Im Mainstream-Kino wird er immer wieder gerne als Krieger oder Rivale eingesetzt. Sein Auftritt als der James-Bond-Bösewicht Le Chiffre aus Casino Royale (2006) bahnte ihm dahingehend den Weg. Aber der kühne Däne ist in jeder Hinsicht eine Kämpfernatur: Ob als Kannibale oder Killermaschine, Priester, Kindergartenlehrer oder Blockbuster-Star, Mikkelsen ist stets mit Leib und Seele dabei. Auch dass er für Hollywood auf der Leinwand bisher immer gestorben ist, hat seinen Erfolg lediglich beflügelt. Jedoch sind es vor allem die Filme aus dem dänischen Autor:innenkino, wie Thomas Vinterbergs vielgefeiertes Midlife-Crisis-Drama Druk (2020), die den Mittfünfziger heute als einen der facettenreichsten Darsteller seiner Generation präsentieren. Ein Mann auf der Höhe seiner Kunst, mal ernst, mal verzweifelt, mal aufgebracht, aber stets mit Esprit und Charme, und gekonnt tänzelnd zwischen Arthouse-Stück und Crowd-Pleaser.    

 

«Respect» hat man vor dem 1965 in Kopenhagen geborenen Sohn aus einfachen Verhältnissen spätestens seit er 2004 in Pusher II mit ebenjenem Wort auf den kahlen Hinterkopf tätowiert erstmals auf sich aufmerksam machte. Die Idee dazu hatte sein Regisseur Nicolas Winding Refn, der ihn in dem Drogenthriller als nervösen Junkie durch abgeranzte Klubs hetzt. Sein Leinwanddebüt hatte Mikkelsen bereits acht Jahre zuvor gegeben, im ersten Teil der Pusher-Trilogie, damals noch als Handlanger, aber offensichtlich mit Potenzial. Seine Kindheit in einer Arbeiterfamilie hatte ihn für Actionfilme konditioniert: Seine Helden waren Bruce Lee, Charles Bronson und der rote Korsar. Doch es dauerte eine Weile, bis er sich auch vor der Kamera so wohl fühlte wie zuvor tanzend auf der Bühne. Er hatte sich ursprünglich dem Modern Dance verschrieben, bis er mit Ende zwanzig auf die Schauspielschule wechselte, um dort sein Glück zu versuchen. Und Glück, vor allem aber Talent, sollte er haben. Nach dem ersten lokalen Erfolg mit Pusher (1996) ging es für den Spätstarter kontinuierlich bergauf. Aber auch nach seinem internationalen Durchbruch als Le Chiffre blieb er Winding Refn treu, spielte zudem für andere Regisseure in etlichen Nebenrollen gross auf und verbündete sich schliesslich ebenfalls mit Anders Thomas Jensen, in dessen Filmen er seither regelmässig zu schauspielerischer Höchstform aufläuft.    

 

Allein an den so eigenwilligen wie abwegigen Werken dieses dänischen Regisseurs lässt sich die elektrisierende Wandelbarkeit von Mikkelsens Schauspiel ausmachen: Von dem überreizten Waffennarr Arne in der skurrilen Action-Komödie Flickering Lights (2000) bis hin zu dem traumatisierten Berufssoldaten Markus in Riders of Justice (2020), Mikkelsen ist auf der Leinwand über die Jahre nicht nur selbstbewusster, sondern unendlich versierter und immer unberechenbarer geworden. Dabei verkörpert er jede Rolle, die ihm Jensen zuschreibt, stets ohne eine Miene zu verziehen, Hollywood-Ruhm hin oder her. Bei Jensen ist er zu Hause, bei ihm fühlt er sich wohl, und für ihn darf er spielen, was seinem Starprofil sonst so gar nicht entspricht: wie den unverbesserlich sanftmütigen Dorfpfarrer Ivan in dem herrlich schrägen, schwarzhumorigen Drama Adam’s Apples (2005), der in Shorts und mit einer zermürbenden Engelsgeduld durchs Leben geht. Erst als ein brutaler Neonazi seine Bewährung in der Kirche antritt, stösst Ivans Gutmütigkeit auf hartnäckigen Widerstand, sodass das Gleichgewicht in seiner kleinen, aber feinen skurrilen Gemeinde ordentlich aus den Fugen gerät. Und auch Mikkelsens Markus in Riders of Justice, der sich mit einer Gruppe dubioser Gestalten umgibt, um den Tod seiner Frau zu rächen, hat es nicht leicht. Auch hier schlagen die Absurditäten und manchmal auch die pure Gewalt stets dann zu, wenn man sie am wenigsten erwartet, und zwar mit einer Wucht und Unverfrorenheit, dass einem bisweilen Hören und Sehen vergeht.

 

Liest man bis hierher, wird man den Eindruck nicht los, dass der Name Mads Mikkelsen vor allem für das finstere, absurde oder ganz und gar abwegige Kino steht. Weniger prominent, aber mindestens genauso stark ausgeprägt ist jedoch auch die sensiblere Seite seines Ichs, die in seiner Filmografie immer wieder für willkommene Abwechslung sorgt. Sei es die unglückliche Romanze zweier Kunst-Avantgardisten (Coco Chanel & Igor Stravinsky, 2009) oder ein Überlebensdrama in der Arktis (Arctic, 2018), auch da ist stets ein Schauspieler am Werk, der seine Figuren in jeder Situation nicht nur spielt, sondern fühlt und nach Halt oder einem Ausweg sucht, wo das Schicksal längst alle Türen verschlossen zu haben scheint. Wie schliesslich auch bei Niels, der sich in Susanne Biers Dogma-Melodram Open Hearts(2002) ein bisschen zu rücksichtsvoll und mitfühlend um die Frau eines Unfallpatienten kümmert, an dessen Querschnittslähmung seine eigene Gattin die Schuld trägt. 

 

Thomas Vinterberg, der dritte Däne, mit dem Mikkelsen eine besondere Arbeitsgemeinschaft verbindet, musste zwar etwas länger auf ihn warten. Dafür wurde ihre erste Kollaboration, Jagten (2012), sogleich ein Triumph: Für seine Rolle als aufmerksamer Erzieher, der des Kindsmissbrauchs beschuldigt und daraufhin von seinem Umfeld ausgestossen wird, erhielt Mikkelsen in Cannes den Preis für den besten Darsteller. Mit nicht weniger Nachdruck spielt er kurz darauf auch Michael Kohlhaas in Arnaud des Pallières‘ bildgewaltiger und leider viel zu selten zu sehender Heinrich-von-Kleist-Adaption, in der ein Pferdehändler zum Opfer staatlicher Willkür wird. Der zeitkritische Schriftsteller hatte die Titelfigur in seiner Mitte des 16. Jahrhunderts angesiedelten Novelle einst als einen der rechtschaffensten und zugleich entsetzlichsten Menschen seiner Zeit beschrieben. Mikkelsen zeigt ihn als Märtyrer mit steinernen Gesichtszügen vor beeindruckenden Landschaften.  

 

Vielleicht steckt darin das grösste Geheimnis von Mikkelsens leisem, aber steten Karriereboom: dass er mit seiner aussergewöhnlichen Ausstrahlung und eigenwilligen Erscheinung – den schmalen Lippen, tiefen Augen und breiten Schultern – in jedem Genre und jeder Lebenslage überzeugt. Immer wieder sind es Figuren, die in der Klemme stecken oder in der Mitte ihres Lebens im Leerlauf rotieren, die er kongenial verkörpert. Der unmotivierte Geschichtslehrer Martin in Druk, für den Mikkelsen nach all den Jahren sogar seine Hüften noch einmal schwingen lässt, liefert dafür den schönsten Beweis. Mikkelsen verleiht ihm und allen anderen Charakteren, egal wie sanft oder brutal, verrückt oder verachtet sie sein mögen, stets eine instinktive körperliche Präsenz und eine Würde, die sie nicht vor dem Unglück, unbedingt aber vor der Durchschnittlichkeit bewahrt. Nie wird es langweilig, ihm dabei zuzusehen, wie er aus den schrägsten Vögeln die grössten Helden und aus den gefährlichen Typen einfache Männer mit begrenzten Kräften und normalen Schwächen macht. Männer, die lieben oder leiden, die mit sich selbst ringen oder von aussen unter Druck gesetzt werden, und solche, für die es, wenn sie sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt haben, kein Halten gibt.   

 

Tatsächlich ist auch Mikkelsen selbst nicht zu stoppen. Für den Schauspieler zählt in erster Linie eine solide Basis, von der aus er mit seinen Figuren bis ins Extreme geht. Deshalb lebt er noch heute in seiner Heimatstadt Kopenhagen und lässt sich auch sonst nicht von Hollywood unter Druck setzen. Er pokert nicht wie Le Chiffre, wenn es um seine Rollen geht. Nein. Mikkelsen spielt stets ehrlich, unaufgesetzt, mit Gefühl und aus dem Bauch heraus. Allein dafür hat er grossen «respect» verdient.   

 

Pamela Jahn ist Autorin und Filmjournalistin. Sie schreibt u.a. für das «ray Filmmagazin», für «Sight & Sound», «FAQ» und das «Electric Sheep Magazine». Sie lebt in London und ist dort auch als Filmkuratorin tätig.   

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