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Filmreihe

 
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Jerry Lewis

King of Comedy und Auteur


«Ich war sehr erfolgreich damit, ein kompletter Idiot zu sein», konstatierte er bescheiden. – Das war eine leichte Untertreibung! Zusammen mit Dean Martin bildete Jerry Lewis in den 1940er- und 50er-Jahren eines der erfolgreichsten Komiker-Duos der USA. Als sich die beiden entzweiten, begann seine Karriere als «Total Filmmaker». Als Regisseur, Drehbuchautor, Produzent und Hauptdarsteller in Personalunion reüssierte er in der Folge mit seinen irrwitzigen Slapstick-Komödien. Mit entfesselten Gliedmassen, perfektem Timing und entgleisender Gesichtsakrobatik gab er den Bellboy und den Errand Boy, sah sich wahlweise als Ladies Man oder Nutty Professor und schlüpfte für The Family Jewels in gleich sechs Onkelrollen. Das Stadtkino Basel widmet dem Meister grotesker Körperkomik eine Hommage und zeigt von den Anfängen mit Dean Martin über seine eigenen Regiearbeiten bis zu seinen späten, ernsteren Rollen wie etwa in Martin Scorseses The King of Comedy einen Querschnitt durch sein Schaffen.

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Wir müssen uns Jerry Lewis als einen Artisten der Komik vorstellen, der auch ein Artist des Comics ist. Oder anders gesagt: Jerry Lewis ist nicht nur ein komischer Komiker, sondern ein Comic-Komiker. 1926 in New Jersey als Sohn russischer Juden als Joseph Levitch in eine Showbiz-Familie geboren, trat er schon im Kindesalter als Bühnen-Entertainer auf. In der langen Geschichte der Filmkomödie nimmt Jerry Lewis auch deshalb einen besonderen Platz ein, weil er derjenige Komiker ist, der den Slapstick ganz von der Animation gedacht und mit seinem Körper quasi Live-Action-Cartoons gezeichnet hat. Vielleicht waren auch deshalb seine legendären Grimassen und Verrenkungen von einer solchen Elastizität und Plastizität, weil er seinen Körper zuvor im jahrelangen Training auf der Bühne zu einer Comicfigur geformt und verformt hatte. So ist es vielleicht kein Zufall, dass er mit Frank Tashlin auf einen kongenialen Regisseur traf, der in den 1930er- und 40er-Jahren die Trickfilme von Warner Bros. verantwortete: Bugs Bunny und Daffy Duck hoppelten und watschelten nach Tashlins Takt. Die insgesamt acht Kollaborationen umfassende Filmografie von Lewis und Tashlin beginnt mit dem fulminanten Artist and Models von 1955, in dem die Explosion der Popkultur seismografisch registriert wird: Comic Pop Art, könnte man auch sagen. Jerry Lewis spielt den Comic-besessenen Eugene, Dean Martin, sein Buddy in 17 Filmen, den Maler Rick. Gemeinsam bilden sie ein unschlagbares Comic-Duo im wörtlichen Sinne: In der Eröffnungsszene malt Dean an den roten Lippen einer riesigen Werbewand, während Jerry hinter der Fassade nicht Batman-, sondern Batlady-Comics verschlingt. Aus der Lektüre des Cartoons wird alsbald bunte Realität: Tollpatschig hustet sich Jerry durch den offenen Mund des Werbemodels den Staub von der Lunge und erweckt damit das unbewegte Bild zu komischem Leben, um anschliessend die Farbe auf die Werbeleute auf der Strasse zu schütten: Comic Action Painting. Getreu dem Slogan des Medientheoretikers Marshall McLuhans ist hier das Medium die Message: Nicht der Inhalt, sondern die mediale Form des Comics ist die Botschaft. Diese Message wird in einer späteren Szene ebenso wörtlich zu einer Massage: Ausgehend von einer rabiaten orthopädischen Behandlung durch eine teutonische Masseuse geraten sukzessive Jerry, Dean und zwei weitere Physiotherapeutinnen in eine unauflösbare Verknotung von Gliedmassen. Bei Lewis und Tashlin ist der Körper reine Knetmasse, das Medium die Massage.


In Konsequenz dieser komischen Physiologie der Medien schält sich in den späteren Lewis-Filmen immer mehr das Fernsehen als das Leitmedium zur Elektrifizierung der Körper und Gehirne heraus. So spielt Jerry in Tashlins Rock-a-Bye-Baby (1958) einen Fernsehtechniker, der bei Übertragungsproblemen aller Art zur Stelle ist. Von entscheidender Bedeutung ist aber die Tatsache, dass Jerry Lewis als Regisseur eine televisuelle Technik für das Filmemachen erfunden und patentiert hat, die aus der heutigen digitalen Praxis kaum wegzudenken ist: Es handelt sich um den sogenannten «Video Assist». Der Video Assist ermöglicht die simultane Übertragung und Aufzeichnung des Kamerabildes auf externe Monitore und speist so das Bild in einen elektronischen Kreislauf ein. So ersetzte der Video Assist das Warten auf die sogenannten Dailies, das Sichtungsmaterial des Vortages. Mit dem Einsatz dieser neuen Apparatur in seiner ersten eigenen Regiearbeit The Bellboy (1960) reagiert Jerry Lewis auf die neue Herausforderung, zugleich Regisseur und Hauptdarsteller zu sein, zugleich vor und hinter der Kamera zu stehen, zugleich Artist und Model zu sein. Auch in Folge der Trennung vom einstigen Traumpartner Dean Martin tendieren die späteren Filme von Lewis immer mehr in eine Verdoppelung und Vervielfältigung von Jerrys, die sich auch in seiner Deklaration als «totaler Filmemacher» zeigt. Wie schwierig sich die Arbeit des Regisseurs mit sich selbst als Hauptdarsteller gestaltet, hat Jerry Lewis 1971 in seinem Buch «The Total Film-Maker» wie folgt geschildert: «Es ist die Hölle mit der Objektivität. Mit Jerry Lewis musste ich mehr Einstellungen wiederholen als mit irgendjemand sonst. Damit ich jede Szene sofort sehen kann, nehme ich sie gleichzeitig mit einer Video-Apparatur auf.» Der totale Jerry spaltet sich fortan in sozial total entgegengesetzte Doppelgänger auf: In The Bellboy trifft der Hotelpage auf den Filmstar, der Jerry Lewis heisst; in The Errand Boy (1961) wird der Laufjunge des Studios selbst zum Filmstar, trifft aber zum Schluss auf sein Double in Gestalt eines Plakatierers, und im legendären The Nutty Professor (1963) zaubert sich der verklemmte Professor Julius Kelp in den Rock-’n’-Roll-Womanizer Buddy Love. In diesen und anderen Portraits von subordinierten Dienstleistungarbeitern und nerdigen Aussenseitern entfaltet Jerry Lewis auch eine kleine Soziologie der Kulturindustrie. Was sich hinter den Kulissen des Stardoms und des Glamours abspielt, sind öde und monotone Arbeitsabläufe, die sich in der immer gleichen Wiederholung verschleissen: Jerry, der in The Bellboy einen riesigen Saal ganz alleine bestuhlen muss, und Jerry, der in The Errand Boy von bösartigen Kindern beim Bonbon-Verkauf dazu angehalten wird, immer wieder die Leiter auf- und abzusteigen; und Jerry, der in Cinderfella (Frank Tashlin, 1960) als Diener von seinen ultrareichen Hausherren zum servilen Service gezwungen wird.


Jerry-Lewis-Filme sind nie nur einfach lustig, sie tun weh, sie schmerzen auf eine fast schon masochistisch zu nennende Art und Weise. In dieser Freilegung ermüdeter, erniedrigter und erschöpfter Körper zeigt sich der komplexe Zug eines Slapsticks, der sich nicht auf reinen Fun reduzieren lässt. Bei Lewis ist Komik immer auch harte Arbeit, selbst wenn einer seiner späteren Filme Hardly Working (1980) heisst. Tragischerweise verletzte sich Lewis 1965 bei einem missglückten Gag so schwer am Rücken, dass er jahrelang auf die Einnahme von starken Schmerzmitteln angewiesen war: Slapstick ist ein Knochenjob. Umso mehr glänzen so die glorreichen Momente der Pantomime, in denen Jerry alle Register seiner Körperkunst zieht: In The Bellboy erweckt Jerry auf einer leeren Bühne vor leerem Saal als akustisch halluzinierender Dirigent ein ganzes imaginäres Orchester zum Leben, dessen Sound in präziser Synchronie zum Taktstock aus dem Nichts ertönt. In Cinderfella imitiert Jerry zu den Klängen des Radios ein ganzes Jazz-Orchester mit gestischer Pantomime der einzelnen Instrumente und mutiert dabei selbst zu einem Radio-Automaten. Und in The Errand Boy setzt sich Jerry auf den Bürosessel des Studiobosses und ahmt ein ganzes Jazz-Orchester mit blossen Mundbewegungen nach: Playback, total oral.
Gilt das Playback bei Fernsehauftritten normalerweise als Ausweis einer minderen vokalen Begabung, so macht Jerry Lewis daraus eine eigene Kunstform des Feedbacks: So wie er sich der Kontrolle des Video Assist unterordnet, so lässt er sich selbst vom Playback singen. Bereits in seinen früheren Bühnenauftritten hatte er mit seinem «Record Act» eine prätelevisuelle Variante des Playback perfektioniert, in dem er zu Opern- und Gesangsaufnahmen seine live-synchronisierte Pantomime zum Besten gab. Da kann es eben auch passieren, dass der Körper plötzlich nicht zur eigenen Stimme passt, wie in einer grandiosen Szene aus The Patsy (1964), in der Jerry dem Playback der eigenen, quietschenden Stimme immer einen Tick hinterherhinkt. In diesem Spiel mit und gegen das Playback rächt er sich auch am Fernsehen, dessen mediale Verfransung mit dem Kino Jerry Lewis wie kein anderer Komiker ausgelotet hat. So ist von einer bitteren Ironie, dass in Martin Scorseses The King of Comedy (1982) das Fernsehen seine eigenen Kinder frisst: Als altersmüder Fernsehkomiker Jerry Langford wird er von seinem grössten Fan Rupert Pumpkin (Robert De Niro) gestalkt und entführt. Denn nichts wünscht sich der psychotische Pumpkin mehr, als einmal in Jerrys Show aufzutreten. Wenn jeder grosse Komiker der Nachwelt ein Spätwerk hinterlassen hat, in der das Lachen der Verzweiflung weicht, dann ist Scorseses Film für das Œuvre von Jerry Lewis das, was Limelight für Chaplin, Film für Buster Keaton und Being There für Peter Sellers war – ein melancholischer Abschied. Ein King of Comedy kann man nicht ohne Schmerzen sein.

 

Sulgi Lie

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