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Filmreihe

 
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Federico Fellini

Kino der Träume


Sein Kino? Ein Hort der Träume. Seine Filmbilder? Urbilder des Kinos! Das Werk des italienischen Regisseurs Federico Fellini steht als unverrückbarer Leuchtturm in der Filmgeschichte, über das alles geschrieben scheint und in dem sich doch gerade mit einem frischen Blick so viel Neues entdecken lässt. In seinem Kino trifft Unschuld auf Schuld, zeigen sich Begehren, Scham und Verzweiflung als zutiefst menschliche Züge. Ein virtuoses und zeitloses Kino über ein universelles Inneres und ein poetisches Kino in stetiger Bewegung: ein flatterndes Kleid, ein unkontrolliertes Lachen, Figuren auf scheinbar unendlichen Reisen. Und doch sind die stärksten Augenblicke der Filme gerade die, in denen die Figuren bemerken, dass sich eigentlich nichts bewegt. Das Stadtkino Basel widmet dem italienischen Meisterregisseur eine umfangreiche Retrospektive und zeigt seine Filme als restaurierte Kopien in zwei Teilen – im ersten Teil stehen Fellinis Anfangsjahre als «Kino der Träume» im Fokus, und mit ihnen Fellinis Begegnung mit dem C.G.Jung-Schüler Ernst Bernhard und damit der Psychoanalyse, die sein Werk nachhaltig inspirierte und der ein Gesprächsabend gewidmet ist!     

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Federico Fellini. Der Name steht. Eingemeisselt in die Filmgeschichte. Hört man ihn, bauen sich sofort grosse Bilder vor dem inneren Auge auf: Mastroianni schulterzuckend am Strand in La dolce vita (1960), die gegen ihr Leben anlächelnde Giulietta Masina in Le notti di Cabiria (1957), der raubtiergleiche Gang von Anthony Quinn in La strada (1954). Dazu hört man die unvergesslichen Melodien Nino Rotas und den pfeifenden Filmwind, der alles in einer traumähnlichen Unwirklichkeit erscheinen lässt.   

 

Es scheint erstmal nicht leicht, sich heute mit Fellini auseinanderzusetzen. Man hat schlicht das Gefühl, dass bereits alles gesagt und geschrieben wurde. Begriffe wie Neorealismus, Surrealismus oder Existentialismus wiegen schwer auf der siebten Kunst. Sie verfrachten in Schubladen, was eigentlich atmen muss. Aber der Filmkanon wirkt immer dann am stärksten, wenn er nicht als Kanon betrachtet wird. Stattdessen steht hier der Vorschlag eines unschuldigen, ja naiven Zugangs. Fellini noch einmal. Fellini auf der Leinwand. Fellini von seinen Anfängen aus betrachtet.   

 

Mit der Unschuld ist es ohnehin nicht weit her bei Fellini. Orson Welles schwärmte für dessen weniger bekannte, aber tatsächlich herausragende erste alleinige Regiearbeit Lo sceicco bianco (1952). In der Komödie zeigt Fellini einen jungen Ehemann, dessen Ehefrau auf der Hochzeitsreise mehr oder weniger freiwillig ausbüxt, um ihren Lieblings-TV-Star zu treffen. Das Bild, das Fellini von Rom habe, so Welles, sei eine totale Phantasie. Er filme mit der Unschuld des Unwissenden und das wäre herrlich. Man findet diese Unschuld in der Lust an Bildern, dem Vertrauen in die Kraft der Fiktion und in den Figuren selbst. Diese Unschuld wird vielleicht von niemandem sonst in der Kinogeschichte so gezeigt wie von Giulietta Masina. Ohne die schauspielerische Arbeit seiner Ehefrau wäre das Kino von Fellini undenkbar. Ihre Fähigkeit, grosses Drama und Slapstick in einer Bewegung zu vollführen, bleibt unerreicht. Ihr vielleicht grösster gemeinsamer Film ist Fellinis erster Farbfilm, der autobiografisch angehauchte Giulietta degli spiriti (1965). Darin treffen sich die herzzerreissenden Blicke und Gesten einer identitätssuchenden verlorenen Frau mit den halluzinierenden Visionen des Regisseurs.  

 

Fellini stammt aus Rimini an der Adriaküste. Denkt man an die Meeresbilder in seinem Kino, erkennt man darin eine unvergängliche Sehnsucht nach Heimat. Es sind seine «Ursprungsbilder», von denen C.G. Jung schrieb, das mit ihnen alles beginne und alles ende. 1939 zieht es Fellini zum Studium nach Rom. Aufgewachsen im Illusionskino Italiens unter Mussolini und später auch an von den Faschisten geförderten Filmproduktion arbeitend, zeigt sich zum ersten Mal, dass das mit der Unschuld eine komplexe Sache ist. Zunächst zieht es den jungen Mann an den Zeichentisch. Statt sich mit dem Jurastudium zu befassen, beginnt er als Karikaturist beim apolitischen Satiremagazin Marc’Aurelio. Dort trifft er unter anderem auf Cesare Zavattini, der später zum entscheidenden Drehbuchautor des italienischen Nachkriegskinos aufsteigt. Fellini schreibt auch Drehbücher und beginnt nach dem Krieg mit Roberto Rossellini zu arbeiten. Die beiden kollaborieren unter anderem bei Roma città aperta (1945), Paisà (1946) und L’Amore (1948). Ersterer bringt Fellini eine Oscar-Nominierung für das beste adaptierte Drehbuch ein. Die politische Tragweite und moralische Integrität von Rossellini auf dem Weg in die filmische Moderne geht Fellini nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt mit. Stattdessen verfrachtet er sein Kino in ein universelles Inneres. Nicht die äussere Wirklichkeit ist entscheidend für Fellini, sondern das, was man von ihr wahrnimmt.    

 

Sein Kino wird dann am tiefgründigsten, wenn die Unschuld auf Schuld trifft. Dann setzen Begehren, Scham und Verzweiflung ein. Daraus erwachsen moralische Fragen. Eines der bewegendsten Beispiele dafür ist die titelgebende Cabiria in Le notti di Cabiria. Die Sexarbeiterin stellt sich mit unerschütterlicher Lebenslust gegen die Ungerechtigkeit des Lebens. Ihre Verzweiflung entsteht oberflächlich betrachtet aus einer naiven Weltsicht. Diese Naivität jedoch wird zu einem widerständigen Lebensentwurf, der sich all der schrecklichen Männer und all des fehlenden Geldes erwehrt. Ein anderes Beispiel liefert der Kleinverbrecher Augusto in Il bidone (1955). Seine moralische Verwerflichkeit, die sich im Diebstahl an armen Bauern äussert, bekommt einen tragischen Unterton, als der Kriminelle selbst im sozialen Abseits gezeigt wird. Seine Scham entsteht aus der Entlarvung einer Lebenslüge. Augustos Schuld ist letztlich nur das unschuldige Begehren nach einem besseren Leben. Gleichzeitig ist sie auch sinnbildlich für jene, die im Miracolo economico italiano zurückblieben. Die Herumtreiber, Aussenseiter, verlorenen Flaneure und ausgebeuteten Frauen, die Fellini inspirierten.   

 

Bei Fellini ist immer alles in Bewegung. Die Kamera dreht sich unablässig um die Figuren, die sich selbst auf endlosen Reisen befinden. Man wähnt sich in einem Karussell. Den traurigen Gesichtern wird mit trügerischem Glamour und schönen Melodien ein melodramatischer Traum verpasst, bis sie langsam bemerken, dass sie sich gar nicht wirklich fortbewegen, sondern immer nur im Kreis drehen. Sie bleiben auf der Stelle, und genau darum geht es. Die stärksten Augenblicke der Filme treten immer auf, wenn die Figuren bemerken, dass sich eigentlich nichts bewegt. Die Stille nach dem Sturm. Die Wahrheit ist tragisch, alles andere ist die Ekstase, um die Wahrheit zu vergessen.   

 

Fellini wäre ein Filmemacher, der der Wirklichkeit mehr Raum zugestehen würde als dramaturgischen Ideen, schrieb André Bazin in den 50er-Jahren. Damit ist auch gemeint, dass bei ihm immer wieder Momente aus der Handlung herausfallen: Ein flatterndes Kleid, plötzlich auftauchende Hunde oder ein unkontrolliertes Lachen scheinen zu nichts zu führen und doch bedeuten sie alles für dieses Kino. Sie beschreiben eine Welt, die unbedingt aus der Wahrnehmung der Protagonist:innen entsteht.   

 

Das mag man seiner Zeit als Realismus aufgefasst haben, heute erscheinen die Filme eher wie allegorische Studien der Unwirklichkeit. Angelegt sind diese Tendenzen bereits in den Karnevalszenen von I vitelloni (1953) oder dem Irrsinn eines Filmsets in Lo sceicco bianco. Richtig ins Volle geht Fellini damit aber erst nach seiner Begegnung mit dem C.G.Jung-Schüler Ernst Bernhard. Wie viele in der intellektuellen Elite Italiens begab sich der Filmemacher ab 1961 in Psychoanalyse bei Bernhard. Spätestens mit La dolce vita und 8 ½ (1963) beginnt sein Kino der Träume. Verdrängte Traumata treten nun in neuen Ursprungsbildern hervor. Leidende Mütter und erste Verführungen, Rufe aus dem Unterbewusstsein und die sich auftürmenden Erinnerungen seiner männlichen Protagonisten, lassen immer deutlicher die Risse unter den Oberflächen erkennen, die Fellini schon immer virtuos inszenierte. Fellini beginnt esoterische Wunderheiler und Astrologen in Nebenrollen zu besetzen, um sie beim Dreh konsultieren zu können. Einmal sagt er: «Ich gehe schlafen und dann beginnt das Fest    

 

Fellini erkannte das Kino als Hort der Träume. Derart verbindet er das Spektakel mit psychologischer Tiefe, das Leben mit der Phantasie. «Unser wahres Leben ist in unseren Träumen, aber manchmal sind die Träume nichts als ein fataler Abgrund», sagt die zu ihrem Ehemann zurückkehrende Protagonistin von Lo sceicco bianco und beschreibt damit auch das Kino von Fellini.   

 

Heute gelten die Bilder von Fellini selbst als Urbilder des Kinos. Genau deshalb, da würde Jung zustimmen, sollte man sie sich genauer ansehen.   

 

Patrick Holzapfel studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaften an der Universität Wien. Er ist Filmemacher und freischaffender Autor. Er schreibt literarische Texte und regelmässig in seinem Blog Jugend ohne Film über Film. Zudem arbeitet er als Kurator für verschiedene Filmmuseen.   

 

Wir danken Luce CinéCittà, Cineteca di Bologna und Cineteca Nazionale zur Verfügungstellung der neu restaurierten Fassungen.   

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