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Filmreihe

 
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Lachen in Schwarz-Weiss

Von Asta Nielsen zu Charles Chaplin


Wir laden ein zum befreienden Lachen mit grossen Komödiant:innen des Stumm- und frühen Tonfilms! Das facettenreiche Programm mit Lang- und Kurzfilmen, Live-Vertonungen und einer Buchvernissage bringt die zeitlose Komik des Slapsticks wieder in die Gegenwart und auf die grosse Leinwand: Dank einer Filmauswahl zu Charles Chaplin lassen sich unvergessliche Klassiker wie Modern Times, The Gold Rush oder The Kid als restaurierte Kopien und auch weniger bekannte Chaplin-Kurzfilme (wieder-)entdecken, die Marx Brothers sorgen für ausgelassenen Trubel und skurrile Situationen. Ein besonderes Augenmerk gilt den weniger bekannten Komödiantinnen der Zeit, von brillianten Stummfilm-Stars wie Asta Nielsen und Ossi Oswalda bis zum unschlagbaren Slapstick-Duo Thelma Todd & Patsy Kelly. Beim Verbiegen, Augenrollen, in Verfolgungsjagden und bei akrobatischen Kunststücken bleibt kein Auge trocken. Von turbulenten Rollschuhfahrten bis hin zu ausgelassenen Tortenschlachten – hier ist Spass garantiert! 
 

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Verfolgungsjagden und Tortenschlachten: Komik im Stummfilm bis zum frühen Tonfilm  – eine filmhistorische Einordnung

 

Chaplins Tramp, «Stoneface» Buster Keaton, der «Dicke» Oliver Hardy, der stets missmutige W. C. Fields – zu den grössten frühen Stars der Filmgeschichte gehörten die auf stereotype Rollen festgelegten, wiedererkennbaren und unverwechselbaren Komiker. Typen statt Individuen, das war ein schon in der Antike bewährtes Erfolgsrezept der populären Komödie. Auch die Commedia dell’arte ab dem 16. Jahrhundert lebte von feststehenden komischen Figuren wie dem reichen, geizigen und lüsternen Pantalone, dem fröhlichen und verfressenen Diener und Spassmacher Arlecchino oder der selbstbewusst-frechen Magd Colombina. In den klassischen Zirkusnummern haben sich die Figuren des dummen August und des weissen Clowns etabliert, zusammen mit dem sich autoritativ in ihren Dauerstreit einmischenden «Sprechstallmeister». Ebenso waren die gezeichneten Witzfiguren der ersten Comics, zumal wenn sie in Fortsetzungen funktionieren sollten, ähnlich typisierte, wiedererkennbare Konstanten.
Die erste kurze Farce der Filmgeschichte, der Lumièr’sche Gärtner, der begossen wird, beruhte 1895 auf solchen Vorlagen. Viele der frühen komischen Stummfilmstars waren zuvor erfolgreiche Bühnenkomiker und Music-Hall-Clowns. Sie brachten ihre auf den bewährten Typen beruhenden, zur festen Marke weiterentwickelten Figuren mit; deren Spitzname wurde identisch mit dem Künstlernamen, wie Cretinetti, Calino, Dranem, Onésime oder (im Duo) Pat & Patachon. Ihre körperbetonte, beinahe akrobatische, sich ins Groteske steigernde Spielweise, bei der Sprache sekundär war, liess sich mit Leichtigkeit in das neue Medium des noch stummen Films übertragen.
In den Slapstick-Filmen steigerten diese Schauspieler die Kunst der komischen Prügeleien, der Verfolgungsjagden und des Tortenschmeissens zu höchster Perfektion. Ein Gag wurde nicht als Solitär serviert, sondern systematisch wiederholt und dabei so einfallsreich variiert, dass ihn das Publikum erneut erwartete. Blieb er aus, war das seinerseits eine Pointe; wurde er dann im nicht erwarteten Moment nachgeholt, war der Lacher erst recht garantiert. Nicht eine Torte wurde geworfen, es entstanden regelrechte Tortenschlachten; nicht ein Auto wurde beschädigt, nach dem Prinzip «Wie du mir, so ich dir» jenes des Gegenspielers, sondern sämtliche Gefährte im näheren Umfeld. Aus der Übersteigerung ins Groteske entstand so etwas wie ein anarchistisches Ballett.
Die Beliebtheit dieser Spassmacher bei einem breiteren Publikum war oft der Derbheit ihrer Spässe zu verdanken. Der Hanswurst, von der deutschen Bühne in der Aufklärung vertrieben, feierte nun fröhliche Urständ mit seinen Fäkalwitzen und sexuellen Anspielungen. Was im gesellschaftlichen Alltag tabuisiert war, erzeugte befreiendes Gelächter. Eine ergiebige Quelle subversiver Komik waren auch die «besseren» Herrschaften: Zwar durften sie nicht direkt lächerlich gemacht werden, aber man konnte über ihr Verhalten ungeniert lachen, wenn es auf der Ebene der Diener gespiegelt oder von einem Menschen aus dem Mittelstand imitiert wurde. Die Optik und damit das Objekt des Spottes änderte sich jedoch mit dem Publikum. Hatten die populären Komödianten die Ehre, vor adeligem Publikum aufzutreten, wurde eher der tumbe einfache Mann zum Objekt des Spottes. Ähnlich veränderten sich die komischen Filme mit dem sozialen Wandel des Kinopublikums: Ab den 1920er-Jahren wichen die Stummfilmgrotesken mehr und mehr Salonkomödien, welche Sitten und Verhaltensweisen persiflierten.


Komödiantische Frauen


Tiefsitzende Vorstellungen von der «Würde der Frau» und ihr zugeschriebene passive Rollen prägten lange die weiblichen Bühnenfiguren. Komödiantisch durften nur die muntere Zofe, als Frau niedrigeren Standes, und die «komische Alte» sein. Ähnliches gilt für die frühen Filmkomödien. Sie kommen zwar selten ohne leading lady aus, doch oft sind nur die Situationen und Dialoge komisch. Die Darstellerinnen machen munter gute Miene zum ausgelassenen Treiben, es wird eher mit ihnen gespielt – oder ihnen arg mitgespielt –, als dass ihr eigenes Spiel komisch wäre. Schon gar nicht war es Frauen möglich, eine feste Figur zu entwickeln. Dass komisches Talent und Temperament genauso gut Sache der Frauen ist, lässt man es nur zu, zeigt als frühes Paradebeispiel Asta Nielsen, der erste Star des deutschen Stummfilms. Die ebenso erfolgreiche wie vielseitige Schauspielerin setzte sich konsequent dafür ein, zwischen den grossen Melos auch Lustspiele zu drehen, in denen sie ihre komödiantische Ader mit offensichtlichem Genuss auslebte.  
Zum Wesen der Komödiantinnen gehört die Freude, mit der sie unterschiedliches Rollenverhalten durchspielen. Mit Leichtigkeit überschreiten sie jene Grenzen, die gesellschaftliche und künstlerische Konventionen gezogen haben, und unterwandern Rollenfixierungen und deren Antagonismen. Vollends subversiv wird das Aufbrechen der Rollenfestlegungen im Gender-Bereich, wenn sich die Filmfrauen mit unwiderstehlicher Komik «männliches» Terrain und Verhalten aneignen. Hosenrollen sind im Film wie auf der Bühne eines der klassischsten Betätigungsfelder für Komödiantinnen; mustergültig vorgeführt etwa von Ossi Oswalda in Lubitschs Ich möchte kein Mann sein (1918). 


Domestizierung des Humors im Tonfilm


Die Komikertypen sind Kunstfiguren; ihre grotesken Exzesse gehorchen einer künstlerischen Logik, unterwerfen sich aber nicht der Alltagswahrscheinlichkeit. Der Siegeszug des Tonfilms mit seiner naturalistischeren Darstellung verdrängte rasch den Slapstick, dessen verdichtete Zuspitzungen im neuen Kontext künstlich wirkten. Charles Chaplin, der geniale Autor-Regisseur-Komiker, hat diesen Effekt erkannt. Deshalb hielt er noch bis zu Modern Times (1936) an der Stummheit seiner Tramp-Figur fest und war so konsequent, sich dann für seine Tonfilme von ihr zu verabschieden.
Vom schweren Stand der Typenkomik im Tonfilm zeugt auch die so kurze wie brillante Filmkarriere der Marx-Brothers. Ihre erfolgreiche Vaudeville-Dramaturgie wurde erst durch den Tonfilm richtig filmfähig. Sie beruhte auf dem Kontrast zwischen Harpos stummem Spiel, Grouchos halsbrecherischer, mit seinen körperlichen Verrenkungen wetteifernder Sprachakrobatik und Chicos mit der Sprache hadernden Figur des Italian-American. Die unwiderstehliche Anarchie ihrer Nummern wurde von Hollywood spätestens ab A Night at the Opera (1935) hoffnungslos domestiziert. Die fast chaotische Abfolge von Einzelnummern ihrer frühen Filme hatte hier einer einigermassen soliden Dramaturgie Platz gemacht, und doch spürte man in vielem noch die Urgewalt ihrer überbordenden Fantasie.
Die Marx-Brothers zeigten – ebenso wie das bewährte Komikerduo Laurel&Hardy – noch bis gegen Ende der 1930er-Jahre, dass Typenkomik und Tonfilm sich nicht per se ausschliessen müssen. Auch später haben sie vereinzelt Nachfolger wie Jerry Lewis oder Jacques Tati gefunden, die gegen den Trend die grosse Tradition der Filmclowns weiterführten.
Ein den Komiker:innen gewidmetes Programm beschert uns die Begegnung mit einer Form des Kinos, die nichts von ihrer mitreissenden Verve verloren hat. Viel Vergnügen!

 

Martin Girod, studierter Theaterwissenschaftler, ist Programmkurator und Filmjournalist. Er war über viele Jahre Kinoleiter des Camera und Atelier Basel, Redaktor des Branchenblatts Ciné-Bulletin und Co-Leiter des Filmpodium in Zürich.
 
 

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