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Filmische Eruptionen aus Island


Island, die Insel aus Feuer und Eis im hohen Norden, der Hype, das Traumland vieler. Aus filmischer Sicht hat der nordische Inselstaat aber bedeutend mehr zu bieten als spektakuläre Landschaftskulissen. Denn die isländischen Filmschaffenden sind darauf spezialisiert, aus der ergreifenden und zugleich bedrohlichen Natur heraus ganz eigene Geschichten zu entwickeln. Dabei entstehen abenteuerliche Roadmovies wie Children of Nature oder Cold Fever, aber auch schräge Komödien wie Of Horses and Men, welche in phantastischen Bildern die mitunter ungewöhnlichen Beziehungen des Inselvolkes insbesondere mit ihren Tieren porträtieren. Das zutiefst eigensinnige isländische Kino ist gezeichnet von Skurrilität und tiefschwarzem Humor und sorgt auf Festivals und in den letzten Jahren auch hierzulande im Kino für Furore.

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Dabei gelingt es Filmen wie dem tragisch-komischen Rams, dem humorvoll-politischen Woman at War oder dem expressiv-beunruhigenden A White, White Day die Widersprüchlichkeiten des Lebens auf äusserst unterhaltsame Weise in Szene zu setzen. Im Januar lädt das Stadtkino Basel ein, Islands phantastische Szenerie mitsamt seinen liebenswert-kauzigen Charakteren hautnah zu erleben. Und das nebenbei ganz ohne Flugscham.

 

Woran denken Sie, wenn Sie an Island denken? Die Landschaft? Das Nordlicht? Zwerge, Trolle und Elfen? Sattgrüne Wiesen und eisblaue Gletscher, schwarze Strände und weiss glänzende Schneelandschaften, vulkanische Gebirge und sprühende Geysire – die Insel aus Feuer und Eis lebt von den Gegensätzen der Schöpfung ebenso wie die Menschen, die sich in dieser Kontrastwelt eingerichtet haben, nicht immer freiwillig, aber stets mit Inbrunst, Würde und Humor. Etwas verschroben kommen sie daher, abergläubisch, eigensinnig und isoliert, wie die Heimat, die sie hervorgebracht hat und mit der sie verwurzelt sind, ob sie es nun wollen oder nicht. Aber sie sind auch voller Liebe und Leidenschaft, ob im Alter oder in der Pubertät, aus Überzeugung oder aus der Not heraus. All das weiss man nicht unbedingt, weil man schon einmal dort war, sondern vielmehr aus den vielen bemerkenswerten Filmen, die dieses kleine, aber im wahrsten Sinne des Wortes sagenhafte Land in den letzten dreissig Jahren hervorgebracht hat und von denen die Welt bis heute noch immer viel zu wenig weiss. Filme, die es verstehen, Raum und Zeit, Mensch und Magie auf der Leinwand gekonnt, mal mutig, mal witzig und nicht selten tragikomisch in Szene zu setzen und dabei dem Land wie den Protagonisten tief ins Innere der Seele zu schauen.

 

Tatsächlich ist es erstaunlich, wie viele der einheimischen Filmschaffenden, die hauptsächlich in Städten leben, sich mit ihren Geschichten in die abgelegensten Gegenden Islands begeben, um das Licht und die Schattenseiten des Daseins in der rauen Natur zu beleuchten. Dass es dabei nicht immer melancholisch oder todernst zugehen muss, beweist der Isländer Benedikt Erlingsson gleich in zwei Filmen, mit denen er in den letzten Jahren auch international Interesse auf sich gezogen hat. In Woman at War (Kona fer í stríð, 2018) beispielsweise verfolgt er die Anstrengungen der Umweltaktivistin Halla, die mit waghalsigen Sabotageakten am Stromnetz alles daransetzt, die giftige Aluminiumproduktion in der Region zu stoppen. Ihr unermüdlicher Kampf und wie sie auf der Flucht vor der Polizei mit den unendlichen Weiten der isländischen Heide eins zu werden scheint, unter Hecken schlüpft und in Felsspalten kriecht, berührt dabei fast körperlich. Kein Wunder, dass Halla von den Medien als «Bergfrau» bezeichnet wird, und doch steckt in dieser Figur und Erlingssons Film noch so viel mehr. Denn aus der heiklen Prämisse einer Guerilla-Aktivistin, die unverhofft zur Adoptivmutter wird, macht er keine schwere Tragödie. Vielmehr offenbart sich auf der Leinwand ein klug komponierter, zugleich menschlich und politisch, surreal und komisch anmutender Film, der ebenso wie das Regiedebüt des hinter die Kamera gewechselten Schauspielers auf seltsam hartnäckige Weise unter die Haut geht.

 

Of Horses and Men (Hross í oss, 2013) erzählt dabei in erster Linie von der Einsamkeit und Tierverbundenheit, die ein Leben am Polarkreis mit sich bringt. Denn wenn den Isländern etwas heilig ist, dann sind es ihre vierbeinigen Freunde. Gemeint sind in Erlingssons Fall die Islandponys, die in seinem tierisch romantischen Drama physisch einiges durchmachen müssen, weil ihre Besitzer emotional in der Bredouille stecken. Das klingt nicht nur absurd, sondern ist es auch und sagt doch viel aus darüber, was in diesem sonderbaren, seltsam berührenden Film zu sehen ist. Denn dem gesprochenen Wort überlegen sind hier die Blicke der Pferde sowie die der Nachbarn, die sich mit Hilfe von Ferngläsern einen Überblick über die Geschehnisse in der kompromisslosen Einöde verschaffen. Das führt schliesslich nicht nur zu Peinlichkeiten, sondern bringt auch die eine oder andere Wahrheit über die Insel, ihre Bewohner und ihre Tiere an den Tag, mit der man nicht zwangsweise gerechnet hätte.

 

Ähnlich verwoben im Hinblick auf die Beziehung der Isländer untereinander wie zu ihrem Vieh zeigt sich auch Grímur Hákonarsons melancholische Tragikomödie Rams (2015), in der es um zwei verfeindete Brüder geht, die trotz eines jahrzehntelangen Streits, der sie einst zum Schweigen gebracht hat, die familieneigene Schafzucht erhalten, und zwar jeder auf seine eigene Weise. Was beide verbindet, ist allein ihre Sturheit und die Rauheit der Jahreszeiten, die sich mit jedem Wintereinbruch ein Stück tiefer in den Knochen und Gesichtszügen der Männer festgesetzt hat. Und es muss erst eine Seuche kommen, um die beiden Dickköpfe wieder zusammenzubringen. Hákonarson dagegen schafft es, auf jedwedes Pathos zu verzichten und vielmehr mit eindrucksvollen Bildern, einer geschickten Kamera und einem düster-trockenen Humor zu imponieren.

 

Im isländischen Kino geht es stets ums Ganze: Mensch und Natur, Einsamkeit und Weltschmerz, Leidenschaft und Eifersucht, Stolz und Eigensinn. Ob leise bebend wie der knurrige, unlängst pensionierte Hannes in Rúnar Rúnarssons Spielfilmdebüt Volcano (Eldfjall, 2011) oder laut explodierend wie Ingimundur, der von seiner Frau hintergangene Polizeichef in A White, White Day (Hvítur, hvítur dagur, 2019) von Hlynur Pálmason, oft sind es die vom Leben und der Landschaft gezeichneten Männer, die dabei einen Kampf mit sich und der Welt führen. Dabei scheint es, als würde die herbe Umgebung die Menschen schon von Kind auf in einer Art prägen, der zu entrinnen sie kaum mehr imstande sind. Das macht sich einerseits in den Geschichten bemerkbar, beindruckt zum anderen aber auch im Hinblick auf die Vielzahl erstklassiger isländischer Debütfilme, die sich nicht selten auf das Leben und die Probleme der jungen Generation in den abgelegenen Küstenorten irgendwo zwischen Meeresrauschen und Möwengesang konzentrieren. Der Coming-out-Film Heartstone (Hjartasteinn, 2016) von Guðmundur Arnar Guðmundsson und Dagur Káris Noi the Albino (Nói Albínói, 2003) fühlen sich beide auf unterschiedlich erfrischende und zugleich eindringliche Weise ein in diese besondere Situation, wenn plötzlich die zarte Liebe erwacht in einer Welt, die für das Anderssein, für alles Neuzeitliche und den Wunsch nach Freiheit noch immer wenig Verständnis hat. Dem gegenüber steht mit geballter Energie Baltasar Kormákurs Romanverfilmung 101 Reykjavík (2000), der das Eindringen der Moderne in die isländische Gesellschaft vor fast zwanzig Jahren wie kein zweiter Film porträtierte. Ein junger Mann namens Hlynur wird darin feiersüchtig und stets auf der Suche nach Ekstase durch die Nächte und nicht wenige fremde Betten katapultiert, wodurch seine Perspektive auf die Dinge gelegentlich in die Schieflage gerät – vor allem, als er in seinem Taumel unverhofft auf die spanische Geliebte seiner Mutter trifft, die hier mit Bravour von Victoria Abril verkörpert wird.

 

Die Ambivalenz zwischen Stillstand und Aufbruch, Abschied und Neuanfang, Tradition und Moderne ist eine Konstante im isländischen Kino (das erst mit dem 1980 eingeführten Filmfonds auch international den Durchbruch schaffte), so wie die sich stets in ihrer gesamten brutalen Schönheit darbietende Landschaft, in deren Kraftfeld die oftmals starrköpfigen und nicht selten gebrochenen Protagonisten agieren. Einer der Ersten, die diese innere und äussere Zerrissenheit eindrucksvoll in Szene zu setzen wussten, war der bis heute vielleicht bekannteste isländische Regisseur Friðrik Þór Friðriksson, zunächst in dem atmosphärischen Oscar-Kandidaten Children of Nature (Börn náttúrunnar, 1991) sowie in Cold Fever (Á köldum klaka, 1995), einem originellen isländisch-japanischen Roadmovie mit mythischen Elementen. Die Kunst des grossen nordischen Auteurs besteht in beiden Werken darin, mit einfachsten Mitteln Elementares auf den Punkt zu bringen: Während der eine auf sehr ehrliche und direkte Art die Kluft zwischen der alten und der modernen Welt, der Urbanisierung und der unberührten Natur widerspiegelt, tritt in dem anderen das Surreale, Skurrile und Phantastische in den Vordergrund, um zwischen Schnee und Eis nach den wahren Werten im Leben zu forschen.

 

Was bleibt von diesem Blick nach Norden, ist, dass die isländischen Regisseure, ob jung oder alt, ihre universellen Geschichten immer mit unwiderstehlicher Lakonie und grosser Zärtlichkeit für ihre eigensinnigen Figuren erzählen. Die atemberaubende Landschaft, durch die sie ihre Figuren navigieren, ist stets Schauplatz, Motiv, Kulisse, DNA und Charakter zugleich. Die Insel aus Feuer und Eis mag auf der Weltkarte klein und überschaubar sein. Im Kino kommt sie dafür umso grösser raus.

 

Pamela Jahn

 

Wir danken dem Icelandic Film Centre für die freundliche Unterstützung dieser Reihe.

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