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Filmreihe

 
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Hirokazu Kore-eda

Vom Klang des Lebens


Es ist der Geist des Insistierens, des Betrachtens aus unterschiedlichen Blickwinkeln, des Vordringens in die Beziehungsgründe der eigenen Zeit, der ihn antreibt. Und dabei findet der japanische Filmemacher Hirokazu Kore-eda mit seinem filigranen (neo-)realistischen Stil ganz nebenbei Antworten auf die grossen Fragen des Daseins. Bereits mit seinem visuell prägenden Erstling Maboroshi gelingt ihm eine in sich ruhende Auseinandersetzung mit der Endlichkeit des Lebens. In Nobody Knows haucht er der tieftraurigen Geschichte über die Verwahrlosung von Kindern in einer avancierten Gesellschaft eine befreiende Leichtigkeit ein. Und so umgibt auch die Figuren in seiner radikal-schrägen Familienaufstellung Shoplifters, einer bittersüssen Kritik an den prekären japanischen Lebenserfahrungen, trotz schwerem Schicksal stets ein unvergängliches Lächeln.

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Das Stadtkino Basel hat sich im März darauf gefreut, den japanischen Meistererzähler persönlich in Basel zu begrüssen, doch daraus wurde wegen Covid-19 leider nichts. Auf Wunsch zahlreicher StadtkinoliebhaberInnen und als Reaktion auf die bittere Enttäuschung nehmen wir die Reihe nun nochmals auf, ergänzt durch drei persönliche Lieblingsfilme, die Hirokazu Kore-eda uns in einem exklusiven Interview mit der Journalistin und Stadtkino-Freundin Pamela Jahn verraten hat.

 

Ein Interview mit Hirokazu Kore-eda

 

Ihr jüngster Film, La vérité, ist Ihr erstes Projekt ausserhalb Japans. Wer oder was hat Sie dazu angeregt, diesen Schritt zu wagen? Ganz klar Juliette Binoche. Wenn sie mich nicht wiederholt eingeladen hätte, mit ihr einen Film zu drehen, wäre das Projekt nie Wirklichkeit geworden.

 

Im Film geht es um die Schauspielerei und um Rollenspiele, beruflich wie privat im alltäglichen Leben. Warum hat Sie das als Ansatzpunkt gereizt? Mich hat die Frage interessiert, ob das Spielen einer Rolle etwas dazu beitragen kann, wie zwei Menschen Distanz schaffen oder sich annähern, wie sie aufeinander zugehen.

 

Seit Ihrem Erfolg mit Nobody Knows sind Sie auch dem internationalen Publikum für Ihre ruhigen, einfühlsamen Familiendramen bekannt. Wie erklären Sie sich, dass es Sie in Ihren Filmen immer wieder zum Thema Familie hinzieht? Vielen Dank für die Frage. Warum wohl? Ich weiss es selber nicht so genau. Vermutlich, weil mich – vor meinem Wirken als Regisseur – als Sohn, als Ehemann, als Vater gewisse Dinge beschäftigen, die mir sehr am Herzen liegen. Still Walking, zum Beispiel, ist nach dem Tod meiner Eltern entstanden und in seinem Innersten von einem Gefühl getragen, das mir wie ein sehnsüchtiges, zärtliches Erinnern erscheint. Like Father, Like Son dagegen entstand aus einem Gefühl der «Unruhe» oder «Ungeduld» heraus, weil ich selber Vater wurde und daran zweifelte, ob ich wirklich reif dafür war.

 

Neben diesen sehr persönlichen Gesichtspunkten scheint es Ihnen unbewusst immer auch um die Frage zu gehen, wie Klassenunterschiede oder ein Leben an der Armutsgrenze die sozialen Beziehungen beinträchtigen. In Ihrem vorletzten Film Shoplifters stellen Sie dieses Problem unlängst sogar recht konkret in den Vordergrund. Shoplifters stellt mehrere grundsätzliche Fragen, die von Ihnen erwähnte ist sicher auch eine. Hinzu kommt, dass zum Beispiel das, was man sich im Ausland unter «Slum» vorstellt, nicht so offensichtlich ist. Dadurch wird die Problematik noch weiter verschärft und eine Lösung erschwert.

 

Ich muss gestehen, ich bin seit Ihrem zweiten Langspielfilm After Life ein Fan. In dem Film können sich die Menschen an einem imaginären Ort eine Erinnerung aus ihrem Leben aussuchen und nach ihrem Tod für immer darin verweilen. Für welche Erinnerung würden Sie sich heute entscheiden, wenn Sie die Wahl hätten? Das ist die schwerste Frage von allen. Vor 20 Jahren, als ich diesen Film gemacht habe, wurde mir die Frage ziemlich oft gestellt. Damals antwortete ich: «Viel lieber als eine Erinnerung aus dem Leben zu wählen, würde ich gerne an jenem Ort bleiben und zu dem Personal gehören, das sich um die Ankommenden kümmert.» Ich glaube, das hat sich nicht geändert.

 

Ein anderer Aspekt, der Ihre Filme miteinander verbindet, ist die Auseinandersetzung mit Tod und Abwesenheit. Warum beschäftigt Sie das Thema so sehr? Hmm … warum wohl? Vielleicht, weil ich das Bestreben, «Abwesenheit» mit etwas anderem auszufüllen, schön finde. Verlust als solcher ist ein Mangel, aber dadurch, dass er nach und nach mit etwas überdeckt bzw. ausgefüllt wird, verändern sich die Menschen und ihre Beziehungen zueinander. Etwas beginnt zu reifen. Die Möglichkeit dieser Veränderung ist da, wartet auf uns, jenseits von Schmerz und Trauer.

 

Um noch einmal auf Shoplifters zurückzukommen: Darin findet die fünfjährige Yuri unverhofft eine neue Familie, die sich mehr um sie zu sorgen scheint als ihre wahren Eltern. Osamu möchte als Familienoberhaupt von all seinen Kindern auch mit «Papa» angesprochen werden. Doch macht ihn das automatisch zum Vater? Diese Frage können nur die Kinder Shota und Yuri beantworten, denke ich. Aber wenn der Vater nicht berechtigt ist, «Papa» genannt zu werden – wer sonst soll denn dazu berechtigt sein? Das würde ich gerne wissen.

 

Wie finden Sie jeweils den richtigen Tonfall in Ihren Filmen, der stets sehr elegant zwischen unbeschwerten, oftmals humorvollen Reflexionen über den Alltag und den dunkleren Seiten des Lebens changiert? Leichtes und Schweres, Licht und Dunkel so zu verbinden, dass die Balance stimmt, ist nicht nur bei Filmen wichtig, sondern bei jeder Art von künstlerischem Ausdruck.

 

Was ist schwieriger: das Leichte oder das Dunkle in einer Figur zu finden? Es ist schwieriger – und zugleich wichtiger, in den Figuren Humor zu finden, gleich wie in unseren realen zwischenmenschlichen Beziehungen.

 

Wie erklären Sie sich Ihre Faszination für das Alltägliche im Umgang der Menschen untereinander? Weil genau hier, in den Momenten familiären Lebens, sich Poesie verbirgt.

 

Ganz allgemein gefragt, was bedeutet das Kino für Sie? Eine kurze Antwort darauf zu geben, ist schwierig. Auch, weil es nicht nur eine Antwort gibt. Es geht mir darum, die Erscheinung der realen Welt zu verändern, glaube ich. So wie das Wetter überraschend umschlagen kann.

 

Woher rührt Ihre Leidenschaft fürs Filmemachen? Meine Mutter mochte Filme, vor allem die Hollywood-Klassiker. Sie liebte Vivien Leigh, Ingrid Bergman, Joan Fontaine. Wie wir zusammen vor dem Fernseher sassen und Filme guckten – ein Urerlebnis, das mich tief geprägt hat.

 

Gibt es RegisseurInnen ausserhalb Japans, zu denen Sie sich im Hinblick auf Ihre Arbeit mehr verbunden fühlen als zu anderen? Ja, Richard Linklater.

 

Warum er? Wenn ich etwas Falsches sage, tut es mir leid, aber ich kann mir gut vorstellen, wie er erst beim Dreh zur Erkenntnis kommt: SO muss der Film werden und DAS möchte ich aus den SchauspielerInnen herausholen. Ich habe das Gefühl, dass ich meine Filme mit dem gleichen Blick und der gleichen Grundeinstellung mache.

 

Die aktuelle globale Dimension des Coronavirus hat uns über die letzten Monate alle dazu gezwungen, Filme zu Hause zu schauen und nicht im Kino. Sie meinten im Gespräch vorab zu mir, dass einer der Titel, die Sie dabei für sich wiederentdeckt haben, Stephen Daldrys Billy Elliot sei. Was begeistert Sie an dem Film bis heute? Damit die junge Generation ihren Traum leben kann, muss die alte Generation lernen, ihren festen Glauben, ihre tiefen Überzeugungen zu hinterfragen. Das ist es, was mich an dem Film so berührt.

 

Hangmen Also Die! ist ein weiteres Ihrer persönlichen Heimkino-Highlights. Gibt es darin eine Szene, die Sie am meisten fesselt oder inspiriert? Nicht Widerstandskämpfer, sondern gewöhnliche Leute machen spontan gemeinsame Sache, lügen unbekümmert, als einer nach dem andern aufgerufen wird, und liefern so einen Verräter dem Verderben aus – bei dieser Szene bin ich jedes Mal so angespannt, dass mir das Herz klopft.

 

Und aus welchem Grund ist Ihnen The Blues Brothers im Gedächtnis geblieben? Dieser Film macht richtig munter. Dabei zuzuschauen, wie in einer Stadt so viele Autos zu Schrott gefahren werden, ist geradezu ein Vergnügen.

 

Das Gespräch führte Pamela Jahn, Übersetzung: Thomas Eggenberg

 

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