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Filmreihe

 
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Das Grand Hotel

Dramaturgien eines paradiesischen Ortes


Schöner Schein, spürbarer Luxus, das Versprechen von sozialem Aufstieg – das Grand Hotel war und ist ein Sehnsuchtsort: weit weg von den kalten Alltagsrealitäten, ein (scheinbar) utopischer Raum, in dem sich soziale Schichten vermischen können – wenn man denn durch die Eingangstür hineinkommt. Und wie Filmkritikerin Frieda Grafe festhält, ein dichter Ort visueller Populärkultur, eng verwoben mit und wie gemacht für das Kino! Hier trifft das bequeme Grossbürgertum oder der alteingesessene Adel auf ambitionierte Emporkömmlinge, Hochstapler:innen oder Gentlemangauner – und Bedienstete, die das Ganze zusammen- halten. Eine explosive und hochunterhaltsame Mischung, die skurrile Situationen garantiert! Das Stadtkino widmet dem facettenreichen Grand Hotel ein ausführliches Filmprogramm und lädt ausserdem, zusammen mit dem Seminar für Medienwissenschaft der Universität Basel und der Kinothek Asta Nielsen, Frankfurt/ Main, vom 21. bis 23.4. ein zum Symposium «Ungenierte Unterhaltungen. Mit Frieda Grafe im Grand Hotel», um über zahlreiche Einführungen und Filmvorführungen in die Dramaturgien eines paradiesischen Ortes einzutauchen!    

 

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Stellen wir uns vor, wir sehen es von der Strasse aus. Edel sieht es aus, hermetisch und durchlässig zugleich. Oft ist es fussläufig und dennoch wirkt es fern und fremd. Oben der leuchtende Name auf der Fassade, darunter das Eingangsportal. Dort beginnt der Teppichläufer. Wir treten ein: Foyer, Rezeption, weiter hinten, die Bar. Bis hierhin könnte es das eine wie das andere sein. Das Hotel oder das Kino. Beides Orte, die in abgedämmten Räumen störendes Licht, Lärm und die übrige Welt draussen halten. Konzeptionell durchdachte Paradiese, in denen sich fremde Menschen verschiedener Nationalitäten und diverser ethnischer, religiöser, geschlechtlicher, sexueller Identitäten und Zugehörigkeiten versammeln. Für eine bestimmte Zeit werden sie verweilen, in einer bestellten und bezahlten Simulation– so die Grundidee beider Einrichtungen. Wie im Hotel ist auch im Kino Architektur und das komplette Arrangement (Einrichtung, Apparate, Licht, Ton, Bezahlung, Konsum etc.) auf eine ephemere Beziehung zwischen Ästhetik und Dispositiv ausgerichtet.   

 

Wie eng Hotel und Kino miteinander verschwistert sind, lässt sich bis in die Anfänge des bewegten Bildes zurückverfolgen. Als das Kino der Brüder Lumière sich der Welt vorstellte, schwächelte der Adel, sein einst exklusiver Lebenswandel war längst durchlässig geworden. Interessanterweise war es ausgerechnet der Grand-Hotel-Film der 1920er-Jahre, in dem dieser Stand zu überleben schien. Je näher sich Aristokratie und bürgerliche Welt kamen, desto stärker mussten die Edelunterkünfte in Ausstattung und Service nachpolieren. Das Grand Hotel wurde zum Palast des Bürgertums und zur Herberge des Restadels. Und in beiden Fällen zur Kulisse gesellschaftlicher Selbstdarstellung.    

 

Die Verwandtschaft von Hotel und Film ist in Sozial- und Kulturgeschichte und in der Filmtheorie immer wieder beschrieben worden (Georg Lukàcs, Siegfried Kracauer u.a.). Eine Einordnung, die die Filmkritikerin Frieda Grafe um den Blick auf die Effekte der Unterhaltungsindustrie oder auch auf den Hotel-affinen, filmischen Raum entscheidend erweitert hat. Grafe beschreibt ausserdem die von der Tourismusbranche initiierte Festivalkultur als Wirtschaftsfaktor für die saisonalen Auslastungsschwankungen in den Grand Hotels. In ihrem «Filmhistorischen Hotelführer» (1990 geschrieben, 2004 als «Eine Schweizer Erfindung» veröffentlicht), der auch die Auswahl dieses Filmprogramms prägt, spürt sie der Wechselwirkung von visueller Populärkultur und gesellschaftlicher Phänomenologie nach. Das begleitende Symposium «Ungenierte Unterhaltungen. Mit Frieda Grafe im Grandhotel» ist der 2002 verstorbenen Kritikerin und Film-Essayistin gewidmet und schreibt Grafes Texte zum Grand-Hotel-Film mit neuen Beiträgen und Filmbeispielen fort, die in mondänen Palästen und weniger luxuriösen Häusern spielen.   

 

Von den Anfängen über New Hollywood oder Nouvelle Vague bis heute kehrt das Kino immer wieder in das Hotel zurück. In einen Kosmos, der wegen seiner räumlichen und sozio-kulturellen Abgeschlossenheit und Internationalität wie geschaffen scheint für die Narrative des Films. Hier werden die unterschiedlichen Schichten erst stereotypisch vom Küchenpersonal, über Liftboy bis zum Grosskapitalisten in der Suite etabliert, um sie dann – häufig dramatisch, emotional und mitunter urkomisch – aufeinander-prallen zu lassen. Der Millionär und das Zimmermädchen, die vereinsamte Gräfin und der Concierge (The Grand Budapest Hotel (2014)). In lustvoll überladenen Handlungen wird von hippiesk erblühenden und sexuell befreiten älteren Herren (Avanti! (1972)), glühenden Kommunistinnen und mit Luxus korrumpierbaren Genossen (Ninotchka (1939) erzählt. Die oberen Zehntausend stossen hier notgedrungen auf den Kleinbürger, für den die Luxusherberge eine hart abgesparte Gelegenheit bietet, einmal im Feudalen zu schwelgen, bedient zu werden und den Grossmut der Herrschenden bei der Trinkgeldgabe zu erproben. Welche Klasse hier auch immer zu ihrer eigenen Abschaffung oder Überwindung verführt werden soll, eine Verwandlung ist allen gemein. Und so verlässt niemand diesen Ort, wie er oder sie ihn betreten hat. Der Zauber der Drehtür schleudert die Elitären und Entrückten in die Welt und-, - wie Stan und Ollie in Double Whoopee von Lewis Foster (1929), - die Weltlichen und Durchschnittlichen in die Utopie. 

 

Der soziale Aufstieg, der die Mittelschicht überspringt, um – je nach Zeitpunkt – direkt im Grossbürgertum oder bei einem freizügig adoptierenden Adel zu landen, ist der thematische Dauerbrenner des Hotelfilms. Ein anderer der obligate Juwelenraub. Zum Grand Hotel gehören «wie die kribbelnde Unsicherheit über die Identität der Gäste» (Grafe) die Fassadenkletterer, die Gentlemandiebe und elegante Gaunerinnen. Für das sportive wie das gesellschaftliche Emporkommen brauchte es einen ausgeprägten Sinn für systemische Lücken. Die Heldinnen und Helden besitzen die Ambition, Schläue und den nötigen Charme, um Gelegenheiten zu schaffen und zu nutzen. Oder der Himmel selbst schenkt der «einfachen» Frau – wie in Easy Living von Mitchell Leisen (1937) in Gestalt eines wütenden Gatten – einen aus den obersten Stockwerken heruntersegelnden Pelzmantel. Und damit genau das Kostüm, das die Tore zur S-Klasse öffnen wird. Ist das Proletariat erst einmal durch die Drehtür, kann einem und einer allein die richtige Attitüde den Weg nach oben frei machen.   

 

Dass Hotels neben heimlichen Affären und privatistischen Raubzügen auch Platz für Verbrechen mit historischeren Dimensionen bieten, führt Fritz Lang in Die tausend Augen des Dr. Mabuse (1960) vor. Dabei erweitert er die Abhörtechniken der Nazis um modernere visuelle Überwachung. Auch weit nach Kriegsende nicht unterzukriegende Faschisten haben hier das Hotel Luxor bezogen. Einen Bau, den ursprünglich Albert Speer für Hitlers «Germania» entworfen hatte, wie Frieda Grafe auffiel. Auch Godard bediente sich 1985 in Détective der Überwachungstechnik. Seine spionierenden Videokameras sind auf die äussere Hotelumgebung als kriminell enthemmtes Terrain gerichtet.    

 

Eine weitere Affinität zwischen Film und Hotel liegt in der Ausstattung. Wie sehr die Hotels dem funktionalen Aufbau des Production Designs ähneln, zeigt schon der Blick auf standardisierte Elemente wie Drehtür, Foyer, Aufzug, Suite, Zimmer mit und ohne Verbindungstür. Hier scheint bereits der Parcours für eine Art Basis-Choreografie angelegt, der von Chaplin bis Anderson, vom Tanz- bis zum Autorenfilm immer wieder Verwendung findet. Wenders, Truffaut, Fellini, sie alle sind mehrfach zum Hotel-Setting zurückgekehrt. Ebenso wie Sofia Coppola oder Jessica Hausner. Immer wieder dient es als Wartezone eines Drehteams oder für die Kontemplation überindividualisierter Künstlerfiguren wie in Sorrentinos Youth (2015). Das Hotel fungiert als Lupe für surreale Zeitschlaufen (L'année dernière á Marienbad (1961)), als labyrinthisches Gehege für künstlerische Impotenz und wachsenden Irrsinn (The Shining (1980)). Oder es spiegelt in seinen konfektionierten Annehmlichkeiten die innere Leere eines Filmstars wie in Sofia Coppolas Somewhere von 2010. Ebenso kann es der Ort einer menschenleeren Dystopie sein, die den Untergang unserer gesellschaftlichen Ordnung vorweg nehmen scheint. So paart sich in Hausners Hotel von 2004 die Einsamkeit der Lebenden mit den Vereinzelungen des Spätkapitalismus.  

 

Wenn Kino und Hotel, insbesondere Kino und Grand Hotel, die Erschaffung einer diegetischen Welt verbindet und die kulturelle wie konsumbezogene Übereinkunft, dass dieser Ort nur temporär bezogen werden will, gibt es in der nostalgischen Sektion dieses Genres durchaus Gegenwehr. In Filmen wie Youth und ganz besonders in solchen wie The Grand Budapest Hotel geht es um das Bleibenwollen. Im Zuckerguss von Wes Andersons Luxusherberge, in der seligen Abgeschiedenheit des Kurhotels bei Sorrentino. Und genauso im Kino selbst, diesem geschützten, von anderen für uns zurechtgemachten Universum. In das im März mit Filmauswahl und Symposium eingecheckt werden kann. Viel Vergnügen!  

 

Birgit Glombitza lebt und arbeitet als freie Autorin und Dramaturgin in Hamburg. Sie hat etliche Filmkritiken und -essays publiziert , u.a. für die tageszeitung, Die Zeit, Spiegel online und epd Film. 2010–2018 war sie die künstlerische Leiterin des Internationalen Kurzfilm Festivals Hamburg. Als freie Dozentin unterrichtet sie in Basel, Zürich und Hamburg mit den Schwerpunkten freies Schreiben, experimenteller Film/Videokunst, Filmtheorie- und -geschichte. 

 

Wir danken dem Seminar für Medienwissenschaft der Universität Basel für die Zusammenarbeit bei dieser Reihe und der Organisation des Symposiums «Ungenierte Unterhaltungen. Mit Frieda Grafe im Grand Hotel».

 

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