LAUREN BACALL
IKONE DER MODERNE
Mit ihrer rauchigen Stimme und ihrer unvergleichlichen Präsenz eroberte Lauren Bacall 1944 in To Have and Have Not die Leinwand. Bacall prägte den Film noir und spielte in ihrer über 60-jährigen Karriere in mehr als 30 Filmen mit. Ursprünglich hätte sie als «Femme fatale» auftreten sollen, nur machte Bacall dieses Spiel nicht mit: Sie lehnte undankbare Rollen ab, drohte gar damit, Hollywood den Rücken zu kehren – und überzeugte die Filmindustrie sowie das Publikum schliesslich mit ihrer Vielseitigkeit. Lauren Bacall, die vor zehn Jahren verstarb, würde diesen September ihren 100. Geburtstag feiern. Zu diesem Anlass zeigen wir eine Hommage an die grosse Schauspielerin und ihre aussergewöhnliche Karriere.
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Ihre Auftritte veralten nicht. Lauren Bacall trägt ein Flair urbaner, weltgewandter Moderne in das Hollywoodkino hinein. Diese Schauspielerin blüht auf, wenn ihre Charaktere das Leinwandgeschehen mit aufreizender Ironie kommentieren. Ihr Selbstbewusstsein ist verlockend, und das wirkt noch heute unwiderstehlich: Als ich jungen Filmstudierenden To Have and Have Not vorführte, gerieten diese augenblicklich in den Bann ihres spielerischen, anzüglichen Kräftemessens mit Humphrey Bogart.
Bacall gelingt in diesem Film etwas, das sonst nur wenige Darsteller:innen schaffen: Sie ist gleich mit ihrer ersten Kinorolle voll da. Dabei gleicht ihr Leinwanddebüt einer hübschen Hochstapelei. Sie ist eine kaum erfahrene Theaterschauspielerin und ein Fotomodell von gerade einmal 19 Jahren, als Howard Hawks sie 1944 engagiert, um in To Have and Have Not eine erotisch ausgefuchste Abenteurerin zu verkörpern. Eigentlich hat dessen damalige Frau sie entdeckt: auf dem Cover von «Harper’s Bazaar»; deren Kosenamen «Slim» wird sie später im Film tragen.
Die am 16. September 1924 in der Bronx als Betty Joan Perske geborene Anfängerin muss sich einem harten Training unterziehen, damit auf der Leinwand aus ihr Lauren Bacall werden kann. Angeblich zwingt sie Hawks, sechs Monate lang jeden Tag in einen Canyon hinein zu schreien, bis ihre Stimme tief und rau genug klingt. Er sucht eine Darstellerin, die auf der Leinwand so unverschämt wirkt wie Bogart – und findet unvermutet in ihr seine erste Idealbesetzung der Hawksian woman, der modernen Heldin, die später auch die feministische Filmkritik entzücken sollte.
In To Have and Have Not behauptet sie sich mühelos in der Männerwelt. Sie ist glamourös, selbstbewusst und willensstark, will sich nicht abfinden mit den traditionellen Klischees der schutzbedürftigen Unschuld oder des Sexobjekts. Sie kennt ihren eigenen Wert genau; Gefahren lassen sich mit ihr partnerschaftlich meistern. Ihre Liebesgeschichte mit Bogart bleibt auch danach in The Big Sleep (1946) ein spielerisch erotischer, dabei stets wechselseitiger Lernprozess. In Dark Passage (1947), nun unter der Regie von Delmer Daves, setzt das Gespann diese launigen Lektionen in Achtung und Verantwortung fort. Im ersten Teil des Film noir, der streng in subjektiven Einstellungen gedreht ist, weiss sie gekonnt, die Kamera direkt zu adressieren. Ihre Wärme und Einfühlsamkeit, die sich klammheimlich in den Hawks-Filmen ankündigt, bricht sich jetzt noch stärker Bahn. Erst in ihrem vierten gemeinsamen Film Key Largo (1948) ändert sich der Tonfall, den sie bis dahin perfektioniert haben. Als Kriegswitwe, die liebevoll ihren Schwiegervater umsorgt, geht sie durch ein Wechselbad der Gefühle, als der ehemalige Vorgesetzte ihres Mannes (Bogart) sie besucht. Die Sympathie, die ihre Figur anfangs für ihn empfindet, wandelt sich allmählich in eine bebende romantische Bereitschaft. Als eine Gangsterbande sie alle als Geiseln nimmt, wird die Witwe dank ihres Idealismus und ihrer Zivilcourage zum moralischen Zentrum des Films.
Für das Kinopublikum überblenden sich die Filmfiguren mit den Privatpersonen. Die Segelyacht des Paares Bogart & Bacall trägt denselben Namen wie das Boot in Key Largo. Gemeinsam führen sie die Delegation von Hollywoodkünstler: innen an, die in Washington gegen den Untersuchungsausschuss von Senator McCarthy und die Schwarze Liste protestieren. Der Widerspruchsgeist, den sie mit Bogart teilt, bringt sie auf Kollisionskurs mit Produzenten und der Studioleitung von Warner Brothers, an die Hawks seinen Vertrag mit ihr verkauft hat. Sie wird insgesamt siebenmal suspendiert, weil sie unaufhörlich Rollenangebote zurückweist. Sie will nicht in Western auftreten, weil sie zeitgenössische Charaktere bevorzugt. Die Hauptrolle in The Fountainhead (1949), immerhin unter der Regie von King Vidor und an der Seite von Gary Cooper, lehnt sie ab, weil sie die Romanvorlage von Ayn Rand faschistisch findet.
Ihre Karriere hat etwas von einer Aufholjagd, nachdem ihr erster Film ohne Hawks und Bogart, The Confidential Agent (1945), bei Publikum und Kritik durchfällt. Immer wieder erklärt sie in Interviews mokant, die nächsten zwanzig Jahre habe sie damit verbracht zu beweisen, dass sie wirklich Talent besitze – tatsächlich wird sie rasch zu einer Leinwandautorität. Nach Ablauf ihres Vertrags mit Warner Brothers glänzt sie als nüchterne, letztlich aber doch romantische Glücksritterin in How to Marry a Millionaire (1953). Ihr Image ist bereits so gefestigt, dass ihr wie selbstverständlich die Führungsrolle im heiratswilligen Dreigestirn zufällt. Auch im Taumel der Gefühle in Douglas Sirks Melodram Written on the Wind (1956) behält sie einen klaren Kopf. Als ersten Film nach Bogarts Tod will sie 1957 Vincente Minnellis Ehekomödie Designing Woman drehen. Der Produzent traut ihr zunächst nicht zu, dass sie sich als Komödiantin behaupten kann. Aber sie setzt sich durch und kann als stilbewusste Designerin, die in jeder Szene in einer anderen Kreation auftritt, an ihre Erfahrungen in der Modewelt anknüpfen. In den 1960er-Jahren kommt sie dem Kino beinahe abhanden, weil sie sich nun als Theaterschauspielerin neu erfindet und Triumphe am Broadway und anderswo feiert. Ihre zweite Ehe mit dem Schauspieler Jason Robards scheitert an dessen Alkoholsucht.
Als Bacall endlich wieder Rollenangebote im Kino annimmt, haben ihre Züge eine gewisse Härte gewonnen, die sich gut mit ihrer schneidenden Ironie verträgt. 1974 feiert sie in Sidney Lumets nostalgischer Agatha-Christie-Verfilmung Murder on the Orient Express ein prächtiges Comeback. Sie ist eine Meisterin der Täuschung, verkörpert eine Schauspielerin (wie übrigens auch oft auf der Bühne), die mit stählerner Eleganz die Fäden der Intrige zieht. Dank ihrer Leinwandsouveränität sticht sie aus einem illustren Starensemble hervor. Dieser Trick wird ihr fortan noch häufiger gelingen.
Nun brilliert sie als Matriarchin, deren Glamour intakt geblieben ist. Im Beruf oder der mondänen Gesellschaft haben sich ihre Figuren eine Position erstritten, für die sie im Privatleben raubeinig den Preis zahlen. Für die Rolle der dominierenden Mutter, die in The Mirror has Two Faces (1996) kokett mit ihren Töchtern rivalisiert, erhält sie ihre einzige Oscar-Nominierung. Verdient hätte sie den Preis gehabt, denn sie bringt eine wohltuende Note der Boshaftigkeit in die aufgekratzte romantische Komödie hinein.
Ins neue Jahrtausend startet sie einerseits als Veteranin einer wechselvollen Karriere und zugleich als neugierige working actress. Regisseure wie Jonathan Glazer (Birth (2004)) besetzen sie nicht allein als lebende Legende, sondern als darstellerisches Kraftzentrum. Bacall hat nicht vergessen, dass sie in der Konfrontation immer am besten ist. Ihr Elan erlischt auch in der Abenddämmerung ihrer Karriere nicht. Aber wer hätte gedacht, dass sie sich noch auf einen Ausflug in den europäischen Kunstfilm einlassen würde? In Lars von Triers Dogville (2003) muss sie in einem minimalistischen Studiodekor agieren, wo die Räume nur mehr Grundrisszeichnungen sind und Wände erst gar nicht existieren. Es braucht schon eine Menge Abenteuerlust, sich einer solchen Herausforderung zu stellen. Aber daran hat es Lauren Bacall nie gefehlt: «I was lucky. I was never a has-been. I’m always a will-be.»
Gerhard Midding ist freier Autor und Filmjournalist für Tageszeitungen, Zeitschriften, Radiosowie und Fernsehsender. Er lebt und arbeitet in Berlin.
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