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ARCHIV | Filmreihe

 
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COEN BROTHERS

USA TOUR


USA Tour der Coen-Brüder! Nach all den Wahlkampf-Rallies führen die beiden auf ihre Weise nochmals durch die Bundesstaaten: vom verschneiten Minnesota in den tiefen Westen nach Tempe, Arizona, oder an die Ostküste, Florida bis in den Big Apple. Immer haben sie sich für die dort lebenden Menschen interessiert, ihre Akzente, den Charakter der Landschaften und das Klima. Mit ihrem typischen, bissigen Humor, der oft zwischen Lakonie und absurder Komik schwankt, brechen sie mit der amerikanischen Realität und gelangen immer wieder an menschliche Abgründe. Ob Thriller, Western, Screwball-Komödie oder Musical – sie verschieben die Grenzen des Gewohnten, spielen mit Klischees und Erwartungen, nur um sie dann humorvoll oder dramatisch zu umgehen. Die Coens zeichnen mit ihren Filmen eine Kartografie der Mythen und Absurditäten des American Way of Life.

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Coen-Land, Revisited
Die Coens sind nicht nur Meister der Filmstile und des Genre-Rückspiegel-Kinos, Spezialisten für schwarz angeschärften Humor und Schöpfer ebenso ergreifender wie kühler Charakterstudien; schon immer haben sie Wert darauf gelegt, ihre Drehorte nach bestimmten atmosphärischgeografisch- kulturellen Aspekten auszuwählen. Und so sind ihre Arbeiten im Lauf der Jahre zu einer Tour d’Horizon kreuz und quer durch die Vereinigten Staaten geworden: Gedreht wurde vom Nordwestszipfel Washington bis in ihre Wahlheimat New York, von Kalifornien, Texas und dem Südwesten der USA bis zum nördlichen Mittleren Westen, wo sie herstammen. Aufgewachsen sind Joel und Ethan Coen in einer jüdischen Familie in St. Louis Park, Minnesota (Kamala Harris’ Running Mate Tim Walz ist übrigens der örtliche Gouverneur). A Serious Man (2009) spielt in einer ähnlichen Gemeinde wie der ihrer Kindheit, basiert auf Joel und Ethans Jugenderfahrungen und amüsiert sich über gewisse Eigenheiten des Judentums. Ihre zwei grössten Erfolge, jedenfalls nach Oscars bemessen, sind jeweils an Grenzen angesiedelt: Der nicht zuletzt für seinen Dialekteinsatz berühmte Fargo (1996) zieht seine blutige Spur im verschneiten Grenzland zwischen Minnesota (vor den Wahlen 2024 viermal en suite demokratisch blau) und North Dakota (viermal republikanisch rot); No Country for Old Men (2007) wiederum zieht seine Blutspur durch die Wüste von Texas (viermal in Folge rot), mit Ausflügen nach New Mexico (viermal blau) und hat seinen Höhepunkt an einem Grenzübergang nach Mexico. Sie erinnern sich: Josh Brolin als chancenloser Drogengeldfinder, Javier Bardem als nihilistischer Killer mit Topfdeckelfrisur und Bolzenschussgerät, Tommy Lee Jones als melancholisch alternder Sheriff dritter Generation im Terrell County von Texas um 1980 (wenig später sollten auch die Dreharbeiten des Coen- Westerndramas True Grit in Texas und New Mexico stattfinden). So karg und weit die Landschaften des auf einen Score bewusst verzichtenden No Country for Old Men, so gewaltvoll und unberechenbar die Charaktere und so schicksalhaft das Geschehen. In Fargo wiederum spiegelt die raue Landschaft die Isolation, die Naivität und nicht zuletzt die verschrobene Eigenwilligkeit der Figuren – davon ausgenommen nicht einmal die schwangere Heldin Marge «Super Lady» Gunderson (der Durchbruch von Frances McDormand, Joels Ehefrau seit Blood Simple, also seit nunmehr vierzig Jahren).

Schauplätze als integraler Bestandteil der Erzählung, wenn nicht gewissermassen als weitere Hauptrolle: Das gilt auch für den genialen Gangster-Noir Miller’s Crossing (1990), mit dem die Coens ihre frühe Meisterschaft im Jonglieren mit Genre-Versatzstücken demonstrierten und ein veritabel nostalgisches Porträt von New Orleans vorlegten. Die titelgebende Kreuzung im Wald steht symbolisch für den moralischen Konflikt der von Gabriel Byrne gespielten Hauptfigur. Wie in Texas deckt sich auch im Louisiana der späten 1920er die Brutalität der Charaktere mit der Härte des Lebens im USamerikanischen Süden (im Übrigen gehören beide zum roten Trump-Heartland), verlorene Hüte symbolisieren Kontrollverlust und Vorbestimmung. In Texas hatten die Coens lange vor No Country for Old Men ihr Debüt Blood Simple (1984) gedreht – bis heute einer der meistverwinkelten Verwechslungsthriller der Filmgeschichte –, und schon hierin wanken kleinmütige Charaktere mit ein paar Schlenkern Richtung unfreiwilligem Humor ihrem unausweichlichen Schicksal entgegen. Es sollte zum distinkten Merkmal von Coen-Filmen werden.

Eine ikonische Szene der Coen-Brüder, die noch beim vierten Wiedersehen spasmische Lachanfälle auszulösen in der Lage ist, zeigt Vietnamveteran Walter Sobchak ( John Goodman) beim Zertrümmern eines Sportwagens. Dabei brüllt er immer wieder denselben, nicht zur Gänze zitierfähigen Satz («See what happens, Larry, when you ...»). Der Witz daran: Larry ist ein kognitiv beeinträchtigter Knabe, der zuvor das auf einem Behindertenparkplatz abgestellte Auto des ‹Dude› ( Jeff Bridges) gestohlen hat; Hot Head Walter verhört Larry erfolglos und zerstört im Zorn den brandneuen Sportwagen, weil er ihn schafsdummer Weise Larry zuordnet. Wenn dann der wahre Eigentümer aus dem Haus vis-a-vis eilt, Walter weinend das Brecheisen entwendet und dem ohnedies arg ramponierten Auto des Dude den Rest gibt, geht die Rache quasi über zwei Ecken ins Leere und verstärkt noch die Slapstick-Wirkung. Wenig später gönnen die Bowling-Buddies sich Burger, ein weiteres Wort über den Vorfall wird nicht verloren.

The Big Lebowski (1998), der grosse Komödientriumph von Joel und Ethan Coen, erlangte rasch Kultstatus ob seiner skurrilen Figuren. Man denke nur an die köstlich feministische Künstlerin Julianne Moores oder an John Turturro als geschmeidig-schlüpfrigen Angeber auf der Bowlingbahn. Und dann ist da der Bowling-Traum des Dude, eine erste Hommage der Brüder an Busby-Berkeley-Choreografien (42nd Street, 1933) und zugleich deren Wendung ins Frivole. Gleich einen ganzen Film als Hommage an die Hollywood-Musical-Legende Berkeley sollten die Coens 2016 mit Hail, Caesar! präsentieren – und damit ein weiteres Mal nach Barton Fink(1991), ihrer zynisch-surrealen Abrechnung mit der Traumfabrik (Turturro und Goodman in Glanzrollen), im Los Angeles Mitte des 20. Jahrhunderts landen.

The Big Lebowski indes spielt ebendort zu Beginn der 1990er-Jahre und eröffnet mit einem Monolog des Cowboy-Erzählers Sam Elliott, während Roger Deakins’ Kamera allmählich den Blick auf die Stadt der verrückten Engel freigibt. Auf der anderen Seite des Kontinents, an der Ostküste, ist Inside Llewyn Davis angesiedelt. Von einem Road Trip abgesehen – Kurzauftritt von Goodman als Grantler mit Darmstörung! – spielt dieses warmherzige Künstlerporträt in New York (wo übrigens seit 1984 blau gewählt wurde, also die Demokraten gewonnen haben; Trump war trotzdem sicher, hier Harris zu schlagen). Inside Llewyn Davis war der Durchbruch von Oscar Isaac, der als Titelheld den Durchbruch als Singer-Songwriter anstrebt und für den das Gaslight-Café im Greenwich Village des Winters 1961 den Nabel der Folk-Welt markiert. Erst am Ende seiner Odyssee landet Llewyn bei sich selbst. Es ist einer der schönsten Coen- Filme, obwohl oder gerade weil er so untypisch humanistisch und wahrhaftig ist.

Man könnte an dieser Stelle auch über Burn After Reading (2008) schreiben, für viele der zweitlustigste Film der Coens nach The Big Lebowski (zu denken an George Clooneys Selbstbefriedigungsmaschine oder Brad Pitts Karikatur eines Fitnesstrainers), oder über The Hudsucker Proxy (1994, die Coen-Version des «American Dream») oder über die Krimikomödie Raising Arizona (1987; Arizona wählte historisch eher demokratisch, vor der Wahl ein Kopf-an-Kopf- Rennen von Harris und Trump) oder über ihren «mainstreamigsten» Film, nämlich ihre Romcom- Variation Intolerable Cruelty (2003; Clooneys Zähne fletschende Herzlichkeit gegenüber Catherine Zeta-Jones, gedreht u.a. in Nevada, ein Swing State wie Arizona), oder und so weiter.

Stattdessen ein paar abschliessende Hinweise: Jahrzehntelang hatten die Coen-Brüder immer gemeinsam geschrieben und sich Produktion, Regie und Montage aufgeteilt. Nach ihrer künstlerischen Trennung vor ein paar Jahren wagte Joel sich mit seiner Macbeth-Variation (2021) in Shakespeare-Gefilde, während Ethan seine Drive-Away Dolls (2024) von Philadelphia nach Florida schickte, weitgehend als Vorwand, um deren mehr oder weniger explizitem Lesbentum zu frönen (es soll übrigens eine Trilogie werden). Wir wünschen uns die kreative Wiedervermählung, und also haben wir mit grosser Freude die Meldung vernommen, dass die Brüder gemeinsam an ihrem Debüt im Horrorgenre arbeiten! Laut Ethan soll es sich um eine so blutige wie komödiantische Rückkehr in eine Landscape ähnlich Blood Simple handeln.

 

Roman Scheiber lebt und arbeitet in Wien. Langjähriger Chefredakteur des ray Filmmagazins, Autor und Mitarbeiter der Viennale. Seit 2021 Herausgeber des Online-Magazins filmfilter.at

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