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ARCHIV | Filmreihe

 
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GRETA GERWIG

From New York to Barbieland


Greta Gerwig ist der aufsteigende Regie-Star Hollywoods. Ihr Megaerfolg Barbie begeistert weltweit das Publikum mit pinker Feel-Good Stimmung, scharfem Humor und feministischer Message. Ein Kinospass, der mit seinen detailverliebten Filmzitaten und Inside-jokes zum wiederholten Anschauen einlädt. Wer ist die Regisseurin, über deren Film aktuell die ganze Welt spricht? Wir präsentieren fünf Stationen ihrer steilen Karriere: von ihren Anfängen im Mumblecore-Genre (Nights and Weekends), der langjährigen Zusammenarbeit mit ihrem Lebenspartner Noah Baumbach (Frances Ha). Bis hin zu ihrem Durchbruch in Hollywood, dank urkomischer Coming of Age-Geschichte als Liebeserklärung an Teens und ihre Mütter (Lady Bird) und starbesetzter, modern-feministischer Interpretation eines Historienklassikers (Little Women). Im Gespräch mit Autorin, Kabarettistin und Spoken Word Künstlerin Lisa Christ gehen wir am 27. November dem Hype um Barbie genauer auf den Grund. Pink Power im Stadtkino.

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Eine wie sie darf es eigentlich gar nicht geben. Eine, die alles kann: Präsidentin, Ärztin, Physikerin, all das ist Barbie, die berühmteste Anziehpuppe der Welt. Selbst zum Mond kann sie fliegen, ewig pinke Outfits tragen und ohne High-Heels auf Zehenspitzen stehen. Neuerdings bricht sie auch Kinokassenrekorde wie in diesem Sommer.

Aber die ungeniert knallbunte Realfilm- Adaption von Greta Gerwig ist natürlich längst viel mehr als ein saisonaler Blockbuster. Barbie, der Film, ist ein Phänomen. Ein Werk, das von einem tiefen Gefühl künstlerischer Freiheit und ungehemmter kreativer Lust angetrieben wird, das grösser ist als die Macht jedes Hollywood- Studiosystems. Ein flüchtiger Blick in Barbies Traumhauswelt genügt, schon ist man mittendrin, beflügelt von einer Phantasie, die keine Grenzen und – erstmal – keine Sorgen oder Vorbehalte kennt. Für zwei Stunden fühlt man sich weniger verloren in dieser heillosen Welt und gewinnt vielleicht sogar den Glauben an die Menschheit und an die Kraft der Bilder zurück.

Auch Greta Gerwig ist eine Ausnahme. So wie Barbie. So wie ihr Film. Vielleicht schwingt deshalb immer ein Hauch gesunder Skepsis in ihrer Stimme mit, wenn die Regisseurin und Drehbuchautorin über sich und ihre Arbeit spricht. Niemals hätte sie damit gerechnet, dass eine so absurde Idee, wie die hinter ihrer vierten Regiearbeit, es jemals auf die Leinwand schaffen würde: «Ich hatte zwei Gedanken: Ich liebe diesen Film, ich kann es nicht ertragen, wenn jemand anderes ihn macht. Und: Sie werden uns so etwas total Verrücktes sowieso nicht machen lassen.»

Jenseits ihrer eigenen Zweifel hat Gerwig sich in den letzten 15 Jahren eine Karriere aufgebaut, die ihr spätestens seit der fünf Oscar- Nominierungen für ihr autobiografisch inspiriertes Solo-Regiedebüt Lady Bird (2017) auch über die unabhängige amerikanische Filmszene hinaus einen gewissen Einfluss verschafft hat. In der zarten Geschichte über das Erwachsenwerden, in der Saoirse Ronan die Hauptrolle spielt, erfand sie das eingefahrene Coming-of- Age-Genre vor sechs Jahren quasi noch einmal komplett neu. Kurze Zeit später hauchte ihre grossherzige Leinwandadaption von Louisa May Alcotts Klassiker Little Women (2019) über vier Schwestern im Amerika des späten 19. Jahrhunderts dem angestaubten Roman-Klassiker frisches Leben ein.

Aber vielleicht muss man noch einen Schritt zurückgehen, um zu verstehen, was Gerwigs Talent so besonders macht. Das Stichwort lautet Mumblecore – und es klingt im ersten Moment ähnlich absurd wie ein Film über die perfekteste Puppe der Welt, die in eine existenzielle Krise gerät. Dass einmal ein kleines Filmgenre derart populär werden würde, dessen Konzept vordergründig scheinbar darauf beruht, vor der Kamera so sehr zu Nuscheln, wie es nur geht, hätte vor der Jahrtausendwende wohl noch niemand geglaubt. Und eigentlich trifft eine wörtliche Übersetzung des Begriffs den Kern der Sache auch nicht ganz. In Wirklichkeit verbirgt sich hinter Mumblecore ein unberechenbares Ultra-Indie-Kino, das mit improvisierten Dialogen und minimalen Handlungen enorme Wirkung erzeugt. So wie in dem von Gerwig und Joe Swanberg gemeinsam inszenierten Nights and Weekends (2008), der vom schmerzlichen Scheitern einer Beziehung und dem peinlichen Wiedersehen nach der Trennung erzählt.

Mit ihrer quirlig unaufgeregten Art vor der Kamera und im wahren Leben wurde die 1983 in Sacramento, Kalifornien, geborene Wahl-New Yorkerin in der Indie-Szene bald zu einem allseits umworbenen Starlett. Dabei schreibt und spielt Gerwig bis heute am liebsten dagegen an: Störrische junge Frauen, die ständig am Abgrund ihrer sichtlich prekären Existenz unterwegs sind, haben es ihr angetan. Und Frances Ha, die wenig erfolgreiche 27-jährige Tänzerin aus Noah Baumbachs gleichnamigen Film, ist der ultimative Prototyp dafür. Denn jene von Gerwig mit unbändiger Natürlichkeit gespielte Frances gerät sichtlich aus dem Tritt, als ihre beste Freundin und Mitbewohnerin Sophie (Mickey Sumner) der Karriere und eines Mannes wegen erst nach Manhattan und später nach Tokio zieht. Bald darauf strandet sie in einer WG mit zwei Typen, besucht mal ihre Eltern in Kalifornien und unternimmt ungeachtet aller finanziellen Nöte einen Wochenendtrip nach Paris. Ihr Leben ist eine Baustelle, aber unterkriegen lässt sich Frances so leicht nicht.

Das Drehbuch zu Frances Ha (2012) hatten Gerwig und Baumbach damals schon gemeinsam geschrieben, es war ihre erste Zusammenarbeit als Autorenpaar. Ein Gespann sind sie beruflich und privat, seit er sie in seinem Film Greenberg (2010) gecastet und damit für sich sowie für ein breiteres Kinopublikum entdeckt hatte. Bis heute produzieren sie ihre Werke regelmässig als Duo oder jeder für sich, ohne Zwang, so scheint es, und ohne Neid. Überhaupt fragt man sich manchmal, ob Gerwig im richtigen Leben überhaupt jemals nicht einfach nur charmant und liebenswert sein kann. Allein das erfrischende Dauerstrahlen in ihrem Gesicht verbietet es ihr.

Was das Künstlerpaar auf kreativer Ebene miteinander verbindet, ist eine innige Leidenschaft fürs Schreiben und für Literatur, gepaart mit einem präzisen Humor und einem treffsicheren Gespür für die spannungsvollen Emotionen, Herausforderungen und Hoffnungen unserer Zeit. Aber auch wenn Gerwig alleine schreibt, wie etwa bei Little Women, klingen die Dialoge so, als hätte sie einfach ihre eigenen, intimsten Sehnsüchte und Gedanken in die Worte ihre Protagonistinnen gelegt. Die Geschichte um die vier March-Schwestern, die zur Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs zu jungen Frauen heranwachsen, ist einer der grossen zeitlosen Klassiker der US-amerikanischen Literatur. Und Gerwig umarmt die Figuren in ihrer verträumt modernen Verfilmung auf eine derart vertrauliche Art und Weise, dass es einem schnell wieder warm ums Herz wird.

In den meisten Fällen handeln Gerwigs Arbeiten, vor wie hinter der Kamera, von Lebenskrisen und Beziehungen unromantischer Art. Die Tochter aus gutbürgerlichem Haus interessierte sich schon immer weniger für die sexuelle Anziehung zwischen Männern und Frauen als vielmehr um Alltägliches, Menschliches, die Werte, Normen und geistigen Dynamiken zwischen ihren Figuren und in uns selbst. Ihre existentielle Dringlichkeit behaupten Gerwigs Frauen in einer geradezu enthusiastischen Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich in einer Welt, die zumeist fremd, verkehrt und ungerecht erscheint.

Für Barbie, die bisher nur in animierter Form auf der Bildfläche erschienen war, hat sich Gerwig als Regisseurin diesmal auch visuell und produktionstechnisch gefährlich weit aus ihrem gewohnten Bildrahmen gelehnt: mit einem riesigen Budget, einem buchstäblich traumhaften Set – und viel mehr Farbe, vor allem Pink und Himmelblau. Beflügelt durch die schauspielerischen Wucht von Margot Robbie als Barbie und Ryan Gosling als Ken wurde daraus ein Kino-Wunder, das bisher kein Halten kennt.

Ein böses Erwachen, wie es Barbie erfährt, als sie eines Morgens mit flachen Füssen aufsteht, ist Gerwig bisher stets erspart geblieben. Dafür ist sie viel zu gut. Da kann sie noch so stürmisch sein wie die Frauen in ihren Filmen, die immer in Bewegung sind, irgendwo hinrennen, stolpern oder straucheln, und die ähnlich grosse Träume haben wie ihre Schöpferin. Bei ihr hat man trotzdem immer das Gefühl, dass sie genau weiss, was sie tut. Genie ist so ein grosses Wort. Aber wer sich darauf einlässt, Gerwigs bisheriges Schaffen als Regisseurin, Drehbuchautorin und Schauspielerin einmal genauer anzuschauen, bekommt schnell eine Ahnung von dem enormen Potenzial, das in dieser unendlich einfallsreichen, witzigen und klugen Filmemacherin steckt.

 

Pamela Jahn ist freie Autorin und Journalistin. Sie schreibt u.a. für das ray Filmmagazin, FAQ und Filmbulletin. Sie lebt in London und ist dort auch als Übersetzerin und Filmkuratorin tätig.

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