Women in Film Noir
A Bright and Guilty World
Die «femmes fatales» werfen ihre gefährlichen Schatten. Bereits im frühen Film noir verbindet sich formvollendetes Schwarz- Weiss mit dunklen Geschichten über Liebe und Intrigen, über Habgier und (Ver-)Lust. Mittendrin: fesselnde Frauenfiguren. Barbara Stanwycks platinblonde Schönheit führt in Double Indemnity, kaltblütig lächelnd, einen Versicherungsvertreter ins Verderben. In To Have and Have Not flirten sich Lauren Bacall und Humphrey Bogart durch eine abenteuerliche Liebesgeschichte. Hitchcock führt in Notorious Ingrid Bergmann und Cary Grant mit einem dunklen Spionage-Liebestanz nah an den Abgrund. Und der Rita-Hayworth-Noir Gilda wirkt wie die dunkle Kehrseite von Casablanca. Ein Licht-und-Schatten-Spiel, in dem Männerund Frauenbilder kollidieren und ins Wanken geraten, die wir mit zwei Specials genauer beleuchten. Luzia Schmids Dokumentarfilm Trained to See – Women at War zeigt die Wandlungen in Zeiten des Zweiten Weltkriegs über drei Kriegsreporterinnen auf. Sie ist am 6. September für ein Gespräch im Stadtkino zu Gast. Und am Beispiel Mildred Pierce diskutieren wir am 21. September mit dem Publikum, wie sich die Figuren und Geschlechterrollen der «Schwarzen Serie» heute deuten lassen.
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Film noir. Schon öffnet sich der Imagination ein Raum, sammeln sich Bilder in ihm, gesellen sich Assoziationen hinzu, verdichten sich die Fetzen der Erinnerung zur Atmosphäre. Düster und trostlos. Gefahrvoll und riskant. Film noir, das sind Hochhausschluchten und finstere Seitengassen, Metropolregionen, das ist das Verbrechen in den grossen Städten der USA. Wo nachts, verborgen im aufsteigenden Nebel, schattenhafte Gestalten Sinistres treiben. Eher weniger siedelt man die verwickelten Geschichten von Leidenschaft und Verbrechen, die für das Genre typisch sind, in Städten wie Acapulco, Rio de Janeiro, Buenos Aires oder auf Martinique in der Karibik an – Sehnsuchtsziele im Süden, verheissungsvoll und exotisch. Dabei lassen auch die sich in kunstvollem Chiaroscuro fotografieren, nur ist es eben weniger feuchtkalter Nebel, der dort aufsteigt, als vielmehr schwül hitziger Dunst. Geraucht wird ohnehin hier wie dort, was das Zeug hält, denn auch der schwüle Süden bietet Sündenpfuhl und Spelunke für Schmuggler und Glücksritter, Chancen für jene, die vor der Vergangenheit fliehen, und jene, die auf einen Neuanfang hoffen.
Männer wie Johnny Farrell (Glenn Ford) in Gilda (Charles Vidor, 1946) oder Michael O’Hara (Orson Welles) in The Lady from Shanghai (Orson Welles, 1947), die Frauen verfallen (verkörpert jeweils von Rita Hayworth), die Sirenen sind, im Film noir aber Femmes fatales heissen. Es ist bezeichnend – nicht nur für die beiden genannten Filme –, dass die Männer, die mit ihnen in von Besitzgier gestörte «Liebes»-Beziehungen geraten, glauben, die Oberhand zu haben. Sie geben sich abgebrüht, hardboiled - eine Eigenschaft auch der Detektive der zeitgenössischen Kriminalromane, auf denen viele der Noirs beruhen und als deren wichtigste Vertreter (die auch als Drehbuchautoren auftretenden) Raymond Chandler und Dashiell Hammett gelten –, und im Kampf mit ihresgleichen vermögen sie sich durchaus zu behaupten. Doch die Frauen, pardon, Femmes fatales im Film noir sind legendäre, glamouröse Schönheiten, und dargestellt werden sie von Leinwandgöttinnen wie eben Hayworth oder Barbara Stanwyck oder Jane Greer oder Gene Tierney. Sie sind das ‚schwache’ Geschlecht, das schwach macht, sie blenden die Männer und reissen sie, wehrlos, ins Verderben.
Eine Vorbildung dieser Figur ist die strahlende Marlene Dietrich als selbstlose Edelhure Shanghai Lily, auch bekannt als «the white flower of China», in Josef von Sternbergs Shanghai Express (1932). Das berühmte Sternberg’sche Licht, mit dem der Regisseur sein verehrtes Geschöpf zu umschmeicheln pflegte, lässt Lily/Marlene an den Rändern regelrecht durchlässig werden, eine Marienerscheinung mag man sich dergestalt vorstellen. Gleich reihenweise sinken die Männer vor ihr hin.
Manchmal reicht auch schon ein Gemälde der Umschwärmten, um die Motten in die Kerzenflamme zu treiben. Wie in Laura (Otto Preminger, 1944), in dem Polizeidetektiv Mark McPherson (Dana Andrews), der den Mord an der Titelheldin, der erfolgreichen Geschäftsfrau Laura Hunt (Gene Tierney), aufzuklären hat, derselben angesichts ihres über dem Kamin hängenden Porträts mit Haut und Haar verfällt. Dieses Motiv der Anbetung des Bildnisses der toten Frau ist natürlich aufschlussreich hinsichtlich des (Macht-) Verhältnisses der Geschlechter (nicht nur) im Noir- Genre; doch die Frau ist beweglich. Sie bleibt nicht gebannt im Rahmen, sie löst sich und agiert, will eigene Entscheidungen treffen über die Gestaltung ihres Lebens ebenso wie über das Ziel ihrer Liebe. Wobei, die Sache mit der Liebe ist im Film noir nicht zuletzt deswegen besonders schwierig, weil so viel gegenseitige Manipulation mit im Spiel ist und eigene Interessen, die um jeden Preis verfolgt werden (müssen).
Mitunter sind dergleichen Ränkespiele auch politisch motiviert, wie in Notorious (Alfred Hitchcock, 1946), in dem Alicia Huberman (Ingrid Bergman in ihrer Paraderolle der sanften Neurotikerin) an der ihr gestellten Aufgabe, in Brasilien untergetauchte Nazis auszuspionieren, fast zugrunde geht. Weil weder sie noch ihr Führungsoffizier T.R. Devlin (Cary Grant in seiner Paraderolle des sanften Paranoikers) der unvorhergesehen aus der Not geborenen Liebe, die die beiden verbindet, über den Weg traut.
Hingegen findet sich eine Verführung mit ausschliesslich bösem Ziel exemplarisch gestaltet in Out of the Past ( Jacques Tourneur, 1947), in dem Tankstelleninhaber Jeff Bailey - der in Wahrheit weder das eine noch das andere ist und von Robert Mitchum als Inbegriff der Melancholie personifiziert wird – von seiner Vergangenheit eingeholt wird: seiner Liebe zu Kathie Moffat ( Jane Greer), eine schöne Schlange, deren Charakter sich im Verlauf der Geschichte als bis dato ungekannte Variante von Tiefschwarz entpuppt. Jeff weiss um diese Tiefe und er weiss, dass er sich (neuerlich) darein verbohren wird (müssen). Und geht offenen Auges in seinen Untergang.
Die Verdichtung jenes Toren wiederum, der vollverblendet in die Venusfalle marschiert, ist Versicherungsvertreter Walter Neff (Fred MacMurray), der in Double Indemnity (Billy Wilder, 1944) Phyllis Dietrichson (Barbara Stanwyck) zum Opfer fällt, für die der Ausdruck «Blondes Gift» erfunden sein könnte. In MacMurrays Walter ist die allzu grosse Selbstsicherheit eines «masters of the universe» (zugegeben: Westentaschenformat) verkörpert, der sich die Veränderung der Verhältnisse zwischen Mann und Frau nicht vorstellen kann. Während Stanwyck mit Phyllis vorbildlich vorführt, was es heisst, mit «den Waffen einer Frau» zu kämpfen. Ein immer wiederkehrender Zentralkonflikt im Film noir ist der um die Selbstbestimmung der Frau, und während Phyllis (endlich!) ihre Freiheit im Sinn hat, möchte Walter sie als «trophy wife» weiter domestizieren. Wie unter einem Brennglas führen MacMurray und Stanwyck in diesem Glanzlicht des Genres die Ausweglosigkeit dieser Konstellation vor.
Warum aber und vor welchem Hintergrund finden diese scharfen Auseinandersetzungen zwischen Mann und Frau, die nicht selten mit dem Tod eines der Beteiligten enden, überhaupt statt? Sie sind der Reflex der damaligen Veränderung der Rollenmuster. Denn während die Männer im Zweiten Weltkrieg an den europäischen und asiatischen Fronten um die Freiheit der westlichen Welt kämpfen, halten die Frauen an der Heimatfront und in den Rüstungsbetrieben die Stellung sowie die Familien zusammen. Zahlreiche Kriegsheimkehrer, mitunter invalide, bekommen es zu Hause dann mit Ehefrauen, Müttern, Töchtern zu tun, die Gelegenheit genug hatten, ihre Potenziale zu entdecken, zu erproben, und die ihre mühsam eroberten Privilegien und Freiräume nicht mehr ohne Weiteres aufzugeben bereit sind. Das Beispiel einer solchen emanzipierten Frau ist, freilich tragisch gewendet, die erfolgreiche Geschäftsfrau in Mildred Pierce ( Michael Curtiz, 1945), eine Schlüsselrolle für Joan Crawford, die in ihrer Figur Kantigkeit wie Weichheit gleichermassen anrührend zur Geltung bringt.
Zur Beleuchtung der skizzierten historischen Ausgangslage mag im Kontext des Programms übrigens der Dokumentarfilm Trained To See (Luzia Schmid, 2022) über drei Pionierinnen dienen, die als (Foto-)Reporterinnen vom Zweiten Weltkrieg berichteten und mit ihren Arbeiten Journalismusgeschichte schrieben: Margret Bourke-White (1904–1971), die während des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion als einzige westliche Fotoreporterin in Moskau tätig war; Lee Miller (1907–1977), die als Fotografin unter anderem die Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Dachau dokumentierte; Martha Gellhorn (1908–1998), die mit Reportagen von den schweren Kämpfen in Italien Aufsehen erregte.
Frauen, die es schafften, «one of the guys» zu sein, und dabei doch ihrer Weiblichkeit treu blieben; vergleichbar Lauren Bacall in To Have and Have Not (Howard Hawks, 1944), die in der Rolle der Slim burschikos, mysteriös und betörend zugleich wirkt. Übrigens einer der wenigen Filme mit einer Art Happy End oder wenigstens der Ahnung einer Möglichkeit von gelingender Paarbeziehung. Was damit zusammenhängt, dass sich die 19-jährige Schauspieldebütantin und der ein Vierteljahrhundert ältere Star Humphrey Bogart, der den wettergegerbten Seebären gibt, sich während der Dreharbeiten ineinander verliebten. Der Magnetismus zwischen den beiden verleiht dem Film einen romantischen Charme, der innerhalb des Genretypischen einen feinen Kontrast bildet. Wie ein kleiner Einspruch steht er mitten in jenem Hochspannungsfeld, auf dem der Noir zwischen Weiss und Schwarz alle Schattierungen von Grau und zwischen Gut und Böse jede mögliche moralische Ambivalenz erkundet – und behauptet das Recht des Herzens.
Alexandra Seitz ist freie Autorin und Filmkritikerin. Sie lebt und arbeitet in Berlin und Wien.
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