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ARCHIV | Filmreihe

 
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Das Kino des Hong Sang-soo

Trinken, Reden, Lieben


Leben und Filmen werden eins im Werk von Hong Sang-soo. In 22 Jahren hat der südkoreanische Regisseur nicht weniger als 23 Filme gedreht, skizzenhafte, sehr persönliche Werke von erheblicher Komik. Sie handeln von durchzechten Nächten, unerfüllten Sehnsüchten, von Liebe, Begehren, Lügen, und sie spielen in einem Bereich, in dem sich Fiktion und Realität durchdringen. Seit seinem Debütfilm The Day a Pig Fell Into the Well (1996) hat er ein einzigartiges filmisches Œuvre geschaffen, das zu den eigensinnigsten Entwürfen des Gegenwartskinos zählt. Stets im Zentrum: die männliche Malaise – Intellektuelle, Künstler, Filmemacher voller Selbstmitleid zwischen Frauen, die sich vieles zu lange gefallen lassen.

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Die Figuren, die Geschichten gleichen sich, Hong ist, darin dem grossen Yasujirô Ozu ähnlich, ein Meister der Variation im Seriellen. Auf Festivals ist er ein Star, in den Kinos aber kaum präsent. Höchste Zeit, ihn zu entdecken.

 

«Das Komische entsteht, wenn Menschen Dinge wiederholen, das aber nicht bemerken.» Hong Sang-soo

 

Der spanische Schriftsteller Javier Marías schrieb in einem Text sieben Gründe auf, warum man keine Romane schreiben sollte, und einen, warum man es doch tun könnte. Dieser eine Grund liegt für den Romancier in der Möglichkeit, sein Leben in Fiktionen zu verbringen. Das Kino von Hong Sang-soo, der in nur 22 Jahren 23 Spielfilme realisiert hat, mutet bisweilen wie eine auf das Kino bezogene Anwendung dieses einen Grunds an. Seine intuitive Arbeit ist eine der Entblössung möglicher Fiktionen im Leben. Die Filme entstehen – nicht zuletzt aufgrund der immensen Produktionsgeschwindigkeit des Südkoreaners – beinahe wie ein skizzenhaftes Journal und in enger Verschränkung mit persönlichen Erfahrungen. Man fühlt, dass Hong mit dem Kino lebt. Trotzdem oder gerade deswegen handeln die Filme von jenen Schauplätzen, für die es im Kino immer eine Notwendigkeit gegeben hat. Sie erzählen von Begehren, Scham, Bedauern, Verführung und Liebe zwischen Männern und Frauen.

 

Der Filmemacher hat dafür einen hochindividuellen Stil gefunden, der trotz sanfter Entwicklungen bereits mit seinem Debüt The Day a Pig Fell Into the Well offengelegt war. Es gibt viele lange Einstellungen oftmals alltäglicher Beobachtungen, die unerbittlich und mit grossem Humor das Paarungsverhalten (un)williger Frauen und unmöglicher Männer ins Tragische und Komische verkehren. Dabei kann es um einen aus dem Nest gefallenen Vogel oder das Tragen eines Regenschirms gehen. Hong findet überall wunde Punkte, vor allem in der männlichen Kommunikation. Zum Teil kommt es zu regelrechten Blossstellungen. Es ist ein schonungsloses, nacktes Kino.

 

Spaziergänge, lange Dialoge in Restaurants und ausufernde Besäufnisse lassen Konflikte in ambivalenter Direktheit entstehen. Hong verzichtet auf grosse filmische Gesten. Stattdessen wirken seine Filme wie emotionale Haikus. Manche führen in eine Offenbarung, andere in ein absurdes Nichts. Seine Figuren sind selten nüchtern, meist betrunken. Seit Yasujirō Ozu hat man im Kino nicht mehr so gute Trinkszenen gesehen. Hong filmt ein verletzliches und erbärmliches Sich-um-Kopf-und-Kragen-Reden in Fragen der Eitelkeit und Sehnsucht. Schwenks und bedeutungsgeladene Zooms sind gezielte und formal hochspannende Interventionen des Filmemachers, weil sie Irritationen schaffen und dadurch den Blick schärfen. Seine Filme arbeiten an einer empathischen Aufdeckung menschlicher Verhaltensweisen.

 

Das künstlerische Leben des 1961 geborenen Südkoreaners begann in jener Orientierungslosigkeit, die man auch in seinen Figuren wiederfindet. Er berichtet nur ungern von seinem begonnenen Filmstudium an der Chung-Ang-Universität in Seoul. Er habe kein Gefühl für das Kino gehabt. Plötzlich fand er sich in den USA wieder, an einer Kunstschule in Chicago. Seine beiden geistigen Inspirationen wurden Robert Bresson, dessen Aphorismen zum Filmemachen, «Notizen zum Kinematographen», er angeblich immer bei sich in der Jackentasche trug, und Paul Cézanne. Was Bresson, Cézanne und Hong eint, ist das Verständnis eines Weges der Kunst vom Realen in die Abstraktion. Seine Filme sind fein beobachtete Miniaturen, die vom genau skizzierten Detail auf die grossen Gefühle schliessen. Das mit dem Detail ist dabei ganz wörtlich zu verstehen. Nahaufnahmen von Gegenständen durchziehen seine Arbeit: Eine Lavalampe oder ein Haarband können dabei alles bedeuten oder nichts. Sie tauchen auf und verschwinden wieder. Wie bei Erinnerungen liegt es an uns, ob wir uns weiter mit ihnen beschäftigen oder es sein lassen.

 

Man sagt, dass Hongs Kino gewinnt, wenn man mehrere seiner Filme sieht. Andere sagen, dass er immer den gleichen Film drehe. Das Wiederholen von Motiven und Figurenkonstellationen betrifft nicht nur die verschiedenen Filme, sondern immer wieder kommt es auch innerhalb der Filme zu repetitiven Augenblicken. Beinahe wähnt man sich in einer Endlosschleife, einem beständigen Déjà-vu oder doch nur im schwarzen Loch vergessener Momente nach einer durchzechten Nacht. Ein Beispiel dafür ist der famose Right Now, Wrong Then. In der Mitte des Filmes, der von den Annäherungsversuchen zwischen einem Filmemacher und einer Malerin erzählt, gibt es plötzlich einen Bruch und alles scheint von vorne zu beginnen. Nur etwas hat sich verändert. Die Figuren verhalten sich anders und dadurch entsteht ein anderer Film an den gleichen Orten. Obwohl Hong aufgrund seines grossen Gespürs für Dialoge zwischen den Geschlechtern hier und da mit Éric Rohmer oder gar Woody Allen verglichen wird, scheint ein Vergleich mit Luis Buñuel angebrachter. Die Filme beginnen in einer äusserst konkreten Realität, und ehe man sichs versieht, wandelt man wie in einem Traum durch Erinnerungslücken. Man entdeckt Surrealismen einer Fake-Welt und ein virtuoses Spiel mit den Erwartungen der Schauenden.

 

Mosaikartige Puzzles, Zeitschleifen und episodische Erzählstrukturen gibt es beinahe in jedem Film von Hong. Figuren erträumen sich gegenseitig, sie werden klar als Teil einer Imagination kenntlich gemacht. Sein Hotel by the River spielt an einem unwirklichen Ort. Ein verlassenes Hotel im Winter. Die Geschichten der wenigen Menschen, die dort ihre Zeit verbringen, bedingen sich auf sonderbare Weise. Ängste, Verführungen und Wunschträume bewirken einen Sog, der sich tatsächlich von Film zu Film fortsetzt und unterschiedliche Graduierungen zwischen Verbitterung und Albernheiten erfahrbar macht. Man schämt sich immer mal wieder für die Figuren und muss doch erkennen, dass man sich letztlich vor sich selbst schämt. Immer wieder filmt Hong dabei Missverständnisse. Mal sind sie sprachlich bedingt wie In Another Country oder Night and Day, zwei Filme, in denen die französische auf die koreanische Kultur trifft, mal entstehen sie aufgrund emotionaler Differenzen.

 

Zu Beginn seiner Laufbahn schrieb Hong noch ausführlichere Drehbücher. Inzwischen arbeitet er spontaner, lässt seine grösstenteils gross aufspielenden Casts mit kurz vorher geschriebenen Dialogen improvisieren und schreibt intuitiv an seinen Geschichten. Oft arbeitet er mit verhältnismässig kleinen und jungen Teams. Jahrelang nutzte er dazu die Ressourcen der Filmschule, an der er unterrichtete. Im Kontext des künstlerischen Kinos ist er auch deshalb eine Ausnahmeerscheinung, weil er sich dezidiert gegen die Auffassung seiner Arbeiten als Kunstwerke wehrt: Er äusserte, dass er sich wundere, wenn viele seiner Kollegen ihre Filme in Watte packten. In der gleichen Zeit habe er bereits zwei weitere gedreht. In Südkorea war Hong gar ein zwischenzeitlicher Boulevard-Star, was vor allem an seiner inzwischen beendeten, ausserehelichen, skandalträchtigen Beziehung zur zwanzig Jahre jüngeren Darstellerin Kim Min-hee liegt. Sie prägte sein Kino in den letzten Jahren und spielte in sechs seiner Filme.

 

Trotz seiner Produktionsgeschwindigkeit ist Hong ein grosser Filmemacher des Zögerns. Er filmt wie kein Zweiter die Momente bevor man sich traut oder nicht traut, bevor man einen Fehler macht oder sich hingibt. Zeitlich vermag er diese Situationen ins gefühlt Unendliche zu strecken. Sein Timing erinnert an Ernst Lubitsch. Häufig entsteht dabei eine ungemeine Komik. Das Herumstochern, Vorbeireden und Anlügen wird mit unbestechlichem Auge offengelegt. Weniger als um das Komische geht es dabei um dessen Entstehung. Ein Raum öffnet sich, in dem etwas möglich wird. Das Zögern vor dem entscheiden Satz, die Sekunden vor dem Kuss und die Dunkelheit im Kino vor dem Film befinden sich im gleichen Vakuum. In einer Zeit und einem Raum, in dem noch alles möglich ist. Eine Fiktion eben.

 

Patrick Holzapfel

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