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ARCHIV | Filmreihe

 
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Geraldine Chaplin

Eine Hommage an die furiose Leinwandtänzerin


Ihre erste grosse Rolle verdankte sie sicherlich ihrem Namen. Als Ehefrau von Doctor Zhivago erlangte sie mit zarten 21 Jahren gleich internationalen Ruhm. Doch Geraldine Chaplin wollte es aus eigener Kraft schaffen und sollte schon bald aus dem Schatten ihres berühmten Vaters Charlie Chaplin treten. Als Muse und Lebensgefährtin von Carlos Saura, mit dem sie im Spanien der 60er- und 70er-Jahre in einigen ihrer eindringlichsten Filme wie Peppermint Frappé, Stress-es tres-tres oder Cría cuervos den Muff des francistischen Bürgertums sezierte, avancierte sie zur Ikone des antifaschistischen Revolutionskinos – und bald auch des europäischen und internationalen Autorenfilms. Sie spielte für Jacques Rivette (L’amour par terre), Pedro Almodóvar (Hable con ella), Robert Altman (Nashville) – meist starke,  unangepasste, leidenschaftliche bis exzentrische Frauenfiguren.

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Voller Innbrunst wirft sie sich in ihre Rollen und dabei alle Eitelkeiten über Bord. Bis heute – mit über 70 – verblüfft sie – einzigartig, weil natürlich gealtert – mit der mutigen Wahl ihrer Projekte. Das Stadtkino Basel feiert die vielfältige Mimin mit dem strahlenden Lachen und den melancholischen Pierrot-Augen mit einer Hommage.

 

Manche Dinge lassen sich nicht abschütteln, egal wie sehr man es versucht. Schlechte Erfahrungen gehören dazu, aber auch unliebsame Gefühle setzen sich allzu gern dauerhaft im Innern der Seele fest. Am hartnäckigsten gelingt es jedoch der Herkunft, am eigenen Ich zu kleben, denn nur sie besitzt die Kraft, sich nicht nur auf ewig ins Herz, sondern gleich ins Gesicht einzubrennen, mit jedem Grübchen, jeder Sommersprosse und vor allem im Blick, der so viel mehr über die Wurzeln eines Menschen verrät als alle Worte dieser Welt. Geraldine Chaplin weiss um jene Macht der Gene nur zu gut und hat deshalb auch gar nicht erst versucht, dagegen anzukämpfen, dass sie über den berühmten Namen ihres Vaters hinaus auch sein markantes Lächeln geerbt hat. Vielmehr hat ihr die unbezahlbare Kombination aus vermachtem Ruhm und äusserlicher Verbundenheit im Laufe ihres Lebens in den meisten Fällen zum Vorteil gedient, zumindest immer dann, wenn es darum ging, das zu bekommen, was sie wollte – ob Rollen, Regisseure oder Anerkennung. Das fing bereits mit ihrem dritten Leinwandauftritt an, als David Lean ihr den Part der Ehefrau Tonya in Doctor Zhivago (1965) übertrug, für den Chaplin sogleich mit einer Golden Globe-Nominierung als Beste Nachwuchsdarstellerin belohnt wurde. Trotzdem hat auch sie die Härte des Geschäfts im Laufe der Jahre mehr als einmal zu spüren bekommen, hat sich immer wieder aufs Neue dem eigenen Ego wie der Skepsis ihrer Kritiker gegenüber behaupten müssen, die ein Leben als Nachkömmling des grössten Komikhelden der Stummfilmjahre mit sich bringt.

 

Dass man auch im Schatten einer Kinolegende wie Charlie Chaplin eine eigene Karriere, ja sogar ein eigene Identität aufbauen kann, beweist bereits ein kurzer Blick auf den Werdegang Geraldine Chaplins. Denn genau darauf hat die zierliche Frau mit den «traurigen Clownsaugen» stets hingearbeitet, hat eigene Wege gesucht und bewusst andere Richtungen eingeschlagen, die schon bald mehr von ihr abverlangten, als lediglich einen Namen zu tragen, der Türen öffnet. Entscheidend war vor allem der Schritt der jungen, kaum zwanzigjährigen Chaplin, nach dem Ende ihrer Ballettausbildung in London die Tanzschuhe aufgrund mangelnder Erfolgsaussichten an den Nagel zu hängen, um ihr Glück stattdessen beim Film und bald darauf auch am Theater zu versuchen. Erste Erfahrungen am Set hatte sie bereits im Alter von acht Jahren unter der Regie des eignen Vaters gesammelt. Damals spielte sie in Limelight (1952) gemeinsam mit ihren Geschwistern Michael und Josephine ein paar Gassenkinder und hatte ziemlichen Spass dabei. Aus der ursprünglichen kindlichen Abenteuerlust sollte sich später der Mut zu jenem schrägen, unkonventionellen Autorenkino entwickeln, das ihre Filmografie seither wie ein roter Faden durchzieht.

 

Die Suche nach dem Experiment war es auch, die sie Ende der Sechziger zu dem grossen spanischen Virtuosen Carlos Saura hinzog, mit dem sie daraufhin zwölf Jahre lang liiert war. Die Beziehung brachte etliche Filme hervor sowie einen gemeinsamen Sohn. Aber damit nicht genug: Die Innigkeit und Intimität der privaten Beziehung entlud sich in einer Intensität auf der Leinwand, die Chaplins ganzes Potenzial zum Vorschein zu bringen vermochte: ihre Wandelbarkeit und emotionale Präzision, aber auch die Zartheit, ihre Anmut sowie die Verwundbarkeit, mit der sie sich ihren Rollen bis heute annähert. Diese unberechenbare Mischung machte bereits ihren Reiz aus, als sie 1967 in Peppermint Frappé zum ersten Mal für Saura vor der Kamera stand. Damals lag die Franco-Diktatur in den letzten Zügen, und so nutzte der Regisseur die Gunst der Stunde, um in seinem düsteren Beziehungsthriller nicht nur gesellschaftskritisch vorzugehen, sondern obendrein auch an den traditionell herkömmlichen Geschlechterbildern zu rütteln. Das Beste daran: Die innere Zerrissenheit der Hauptfigur, einem alleinstehenden Radiologen, der zum Gefangenen seiner eigenen Obsessionen wird, spiegelt sich vornehmlich in zwei Frauenfiguren wider – die eine feurig und attraktiv, die andere scheu und unscheinbar –, die beide bravourös von Chaplin verkörpert werden. Vom verhängnisvollen Spiel beflügelt, liess Saura seine Muse gute zehn Jahre später noch einmal in einer Doppelbesetzung auftreten, diesmal als Mutter und Tochter in Cría cuervos (1976), einem unheimlichen Familienfilm, der wie ein Fotoalbum aus alter Zeit ohne strengen Handlungsbogen funktioniert und aus den Wellen der Einbildungskraft seine ganze eindringliche Kraft zieht.

 

Chaplin, die anders als ihr Vater selbst immer eher einen Hang zum Abgründigen verspürte, nahm die Rollen, die ihr Saura aufgab, nicht nur dankbar an, sondern ging förmlich in ihnen auf, so dass bald auch andere Regisseure bei ihr anfragten, die es verstanden, sich ihren Arbeitshunger sowie ihr darstellerisches Potenzial für die jeweils eigenen Zwecke zunutze zu machen. So durfte sie für Robert Altman in Nashville (1975) nicht nur eine unausstehliche BBC-Reporterin spielen, sondern die Figur überhaupt erst für sich zum Leben erwecken: Aus dem Stegreif, ohne Skript, dafür mit jeder Menge Rückbezügen auf ihre eigenen (nicht immer positiven) Erfahrungen mit Journalisten und anderen Exzentrikern, die ihr im Laufe ihrer Karriere bis dahin untergekommen waren. Jacques Rivette dagegen liess sie in seinem amüsanten cineastischen Kammerspiel L’amour par terre (1984) an der Seite von Jane Birkin und André Dussollier über die Liebe, Eifersucht und die Beziehungen zwischen Kunst und Leben diskutieren. Und Richard Attenborough hatte schliesslich die geniale Idee, sie in seinem autobiografischen Drama Chaplin (1992) als Mutter ihres eigenen Vaters zu besetzen. Das Vergnügen, dass man bei allen drei Filmen empfindet, ist das des Spiels – Chaplins Spiels, die sich, nachdem sie (als einziges von Charlie Chaplins insgesamt elf Kindern) ihre Leidenschaft fürs Kino und die Bühne erst einmal entdeckt hatte, immer wieder mit aller Kraft in ihre Rollen stürzte. Denn auch das hatte der Meisterkomödiant seiner Tochter mit auf den Weg gegeben: Disziplin, Perfektionswillen und das Gefühl, nie gut genug zu sein.

 

Der manchmal feurige, mitunter streng wirkende Ausdruck in ihrem sonst so verspielten Gesicht ist dabei weniger Folge der strikten Erziehung, als vielmehr eine Nebenerscheinung des jahrelangen Ballettunterrichts, den Chaplin lange Zeit nicht aufgab, selbst nachdem aus einer professionellen Karriere als Ballerina nichts geworden war. Doch auch aus dem einstigen Eifer ihrer getriebenen Tänzerseele verstand die Schauspielerin letztlich eine Tugend für sich selbst zu machen. Bis heute erscheint sie unglaublich konzentriert und reflektiert in allem, was sie tut, weshalb sie für Pedro Almodóvar letztlich auch die einzig mögliche Besetzung für die Rolle der strikten, an Pina Bausch angelehnten Tanzlehrerin in Hable con ella (2002) war. Darüber hinaus verfügt Chaplin trotz ihrer zarten Gestalt zudem über die seltene Fähigkeit, jeden Ort mit ihrer blossen Präsenz in eine Bühne zu verwandeln – eine Gabe, die es ihr erlaubt, selbst noch in den kleinsten Nebenrollen zu glänzen. Denn ganz gleich ob als eisige Matriarchin in Antonio Hernández' Gothic-Thriller En la ciudad sin límites (2004) oder unlängst an der Seite ihrer eigenen Tochter Oona in dem äusserst charmanten Lifestyle-Drama Anchor and Hope (2017) des Spaniers Carlos Marques-Marcet, Chaplin nimmt jedes Engagement, das sie annimmt, so ernst, als könnte es ihr letztes sein.

 

Erfrischend ist dabei insbesondere, wie offen und ungeniert die mittlerweile 74-jährige Schauspielerin mit ihrem Alter und den herrlichen Falten umgeht, die seit einigen Jahren schon grosszügig ihre Mundwinkel umgeben. Nichtsdestotrotz gehört auch eine gewisse Kühnheit dazu, eine Rolle wie die der Anne in Dólares de arena (2014) anzunehmen, in dem sie eine weisse Sextouristin in reiferen Jahren spielt, die sich in der Dominikanischen Republik in eine junge, schöne, farbige Frau verliebt. Natürlich hatte auch Chaplin zunächst Zweifel, die Rolle anzunehmen, stellte ihr Aussehen infrage und dessen Wirkung aufs Publikum. Dennoch versteht sie es auch hier wie kaum eine andere Darstellerin ihrer Generation, ihren Körper einmal mehr ganz bewusst als Werkzeug ihrer Kunst zu gebrauchen, so dass es beinahe so scheint, als seien Leib und Seele in ihrer Figur gänzlich ineinander verwoben. Und vielleicht ist das überhaupt das schönste Kompliment, dass man Geraldine Chaplin heute machen kann: dass sie es geschafft hat, sich so weit wie möglich von ihren Ursprüngen zu lösen, um Eigenes zu schaffen und zu sein, ohne dabei jemals ihre Wurzeln ganz aus den Augen zu verlieren. Denn wieso sollte sie auch, mit einer derart von innen heraus strahlenden, ureigenen Ausdruckskraft und Leidenschaft wie ihrer.

 

Pamela Jahn

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