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ARCHIV | Filmreihe

 
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Schnittmeisterin Monika Willi

Atem, Rhythmus, Kontrapunkt ...


«Wer das Rampenlicht sucht, wird sich nicht den Filmschnitt aussuchen», sagt sie bescheiden und sitzt im dunklen Schneideraum doch just an jener Stelle der Filmproduktion, die nicht selten über Erfolg oder Misserfolg entscheidet. Mit ihrer Präzision und ihrem Gefühl für den Atem der filmischen Erzählung gilt Monika Willi als eine der renommiertesten österreichischen Schnittmeisterinnen und hat preisgekrönte Werke von Michael Haneke (La Pianiste, Das weisse Band, Amour), Barbara Albert (Nordrand, Böse Zellen) oder Josef Hader (Wilde Maus) geprägt. Eine langjährige, intensive Zusammenarbeit verband sie auch mit Michael Glawogger (Workingman's Death, Whores' Glory, Contact High), der durch seinen tragischen Tod bei den Dreharbeiten für sein letztes Filmprojekt eine klaffende Leerstelle hinterliess – aber auch einen Schatz von über 70 Stunden Filmmaterial. Mit Zweifel und Respekt nahm sich die Freundin und Cutterin dessen an und komponierte mit Untitled (2017) als Co-Regisseurin ein Werk, das gleichermassen die Handschrift Glawoggers wie die ihrige trägt. Mit einer Werkschau rückt das Stadtkino Basel die Virtuosin im Hintergrund für einmal in den Mittelpunkt und bereitet Monika Willi gleich zwei Mal die Bühne. Am 2. und 26. Oktober ist sie in Basel zu Gast und beleuchtet unterschiedliche Aspekte ihrer Arbeit am Schneidetisch.

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Wer im Kino auf den Schnitt achtet, kann einen Film mit anderen Augen sehen. Glauben Sie nicht? Dann versuchen Sie es einfach mal. Im schlimmsten Fall stellt sich heraus, dass Ihr Lieblingsregisseur ohne den oder die CutterIn seines Vertrauens vielleicht nur halb so gut wäre. Doch mit ein bisschen Glück öffnet sich durch den Blick auf die Montage noch eine ganz neue Welt, ein Entdeckungsraum, der auf wundersame Weise die eigene Seherfahrung bereichert. So wie bei den Filmen von Monika Willi, Österreichs profiliertester Editorin, die sich mit ihrem untrüglichen Gespür für Timing und Komposition längst über die heimischen Grenzen hinaus als feste Grösse im europäischen Autorenfilm etabliert hat. Und das nicht nur, weil sie seit Jahren die Meisterwerke von Michael Haneke formvollendet, der sie nach der ersten gemeinsamen Zusammenarbeit an La Pianiste (2001) kurzum zu seiner regelmässigen Schnittmeisterin machte. Auch die langjährige künstlerische Partnerschaft mit dem im April 2014 überraschend an Malaria verstorbenen österreichischen Dokumentarfilmer Michael Glawogger hat ihre Spuren hinterlassen und Willis Sinne geschärft für das, was hinter dem Sichtbaren liegt. Denn genau darin liegt vielleicht ihre Kunst, als Cutterin und neuerdings ebenfalls als Co-Regisseurin: Dort Chancen zu sehen, wo andere Grenzen vermuten würden, und sich bei aller Komplizenschaft mit dem Regisseur trotzdem einen persönlichen Stil zu wahren, der im ewigen Wechselspiel zwischen Realität und Fiktion erst das ganze Spektrum ihres kreativen Schaffens zu erkennen gibt.

 

Die Bereitschaft in Gegensätzen und Widersprüchen zu denken, kristallisiert sich bei genauerem Hinsehen als ein Grundprinzip in Willis Arbeit heraus, das die Perspektive erweitert und gleichzeitig eine Alternative bietet: das Ausscheren aus der geübten Dynamik, die der Montage des gegenwärtigen Kinos sonst so gerne auferlegt ist. Das zeigt sich vor allem in den Hauptwerken Glawoggers wie Workingman's Death (2005), Contact High (2009) und Whores' Glory (2011), aber man muss sich nur einmal seinen famosen Kurzfilm Mai Thai (2005) anschauen oder die frühe, eher mürrische Fussball-WM-Doku Frankreich, wir kommen! (1999), um einen Eindruck davon zu bekommen, mit welcher Abenteuerlust und Bewegungsfreiheit Regisseur und Editorin in ihrer Zusammenarbeit stets gemeinsam am Werk waren. Das ging sogar so weit, erklärte die Cutterin vor kurzem in einem Interview, «dass sich durch das Schneiden an einer Episode ein weiterer Teil des Films entwickelt hat. Wir hatten so eine Arbeitsweise, dass er eine Episode gedreht hat und dann damit zu mir gekommen ist. Er hat dann beim Schneiden immer gesagt, dass er seine Lehren daraus gezogen hat. Und erst dann hat er an dem Film weitergedreht.» Entstanden sind auf diese Weise die aussergewöhnlichsten Dokumentationen, gefilmt an den verschiedensten Orten der Welt und nicht selten über den Zeitraum von mehreren Jahren, in denen der unerschrockene Regisseur seinen Protagonisten - ob ukrainische Bergarbeiter, die in klaustrophobischer Tiefe minimale Mengen Kohle scharren, oder versklavte Kindfrauen im Bordell-Ghetto von Faridpur - mit der Kamera oftmals um einiges näher rückte, als dem Zuschauer im Nachhinein selbst im geschützten Raum des Kinos lieb ist.

 

Aber auch das macht Willis Stärke im Schnitt aus: die Ablehnung jeder Form von Gemütlichkeit, die den meisten Filmen innewohnt, denen sie ungeachtet der Genialität des jeweiligen Regisseurs insgeheim immer auch ihre persönliche Note verleiht - je nachdem, welche Möglichkeiten das Material eröffnet, oder inwieweit es zuvor geplante Absichten zunichtemacht. Und gar nicht so selten trifft die filmvernarrte, zunächst sowohl an Kamera als auch Regie geschulte Editorin derart dramaturgische Entscheidungen im Zweifelsfall auch allein. Zwar gäbe es laut Willi Regisseure, die tatsächlich vom ersten bis zum letzten Tag mit im Schneideraum sässen - wie auch Haneke zum Beispiel, der «einfach dabei sein will, wenn das, was er so ausgedacht hat entsteht». Doch das sei nicht immer so. Manchen Regisseuren fehle ganz einfach die Zeit, oder auch die Ruhe, sich ein und denselben Take bis zu zwanzig Mal anzuschauen. Und genau in diesem Moment kommt das Wort Handschrift in den Sinn, zumal mitunter erst unter den Fingern der gebürtigen Tirolerin die eigentliche Geschichte und Inszenierung sichtbar wird, die ein Regisseur ihr in Form von unzähligen Aufnahmen und Bilderschnipseln präsentiert. Mit viel Feingefühl geht es schliesslich darum, zugleich die eigene wie auch die Identität des jeweiligen Gegenübers zu wahren, wobei zweifelsohne Reibungspunkte aufkommen können, aber - so zumindest in Willis Erfahrung - vor allem fruchtbare Arbeitsgemeinschaften entstehen, wie eben jene mit Michael Haneke, für den sie gerade seinen neuen Film Happy End (2017) geschnitten hat, oder auch mit Barbara Albert, mit der sie seit deren Spielfilmdebüt Nordrand (1999) ebenfalls regelmässig zusammenarbeitet.

 

Ihr tägliches Glück hängt dabei immer von der Qualität des Materials ab, mit dem sie gerade arbeitet, sagt Willi selbst. Kein Wunder also, dass sie sich im Laufe ihrer Karriere stets auf die spannendsten Filmemacher im deutschsprachigen Raum konzentriert hat, die nicht nur ihrem Talent, sondern auch ihrer Überzeugung am ehesten entsprechen. Seit Ende der Achtziger ist die heute 49-jährige Schnittmeisterin im österreichischen Filmgeschäft dabei, hat ihre erste Kinoarbeit 1998 für Florian Flicker geschnitten und wurde dafür beim Max Ophüls Festival sogleich mit dem Femina Filmpreis ausgezeichnet, bevor Albert sie kurz darauf für ihren Erstling verpflichtete und Willi noch im selben Jahr auch auf Glawogger stiess. Aber auch mit Flicker drehte sie mehr als einmal: Sein dritter Spielfilm Der Überfall (2000) ist ein souverän abwegig inszeniertes, krimi-komödiales Kleinod im Kammerspielformat, das sich allein deshalb anzuschauen lohnt, weil Willis Schnitt hier gewieft die Lust am Spiel mit den räumlichen wie narrativen Grenzen auslotet. Noch draufgängerischer zeigt sich der wenig später entstandene Richtung Zukunft durch die Nacht (2002), Jörg Kalts famoser Abschlussfilm an der Wiener Filmakademie, der sich geradezu spektakulär fernab von jeglicher Kinologik bewegt. Es ist ein gnadenlos persönlicher und in seiner Unangepasstheit unbedingt sehenswerter Film, nicht zuletzt auch weil er bei seiner schlanken Laufzeit von gerade mal 60 Minuten mehr zu vermitteln versteht, als anderen Filmen manchmal in vier Stunden nicht gelingt.

 

Ob aufregende Erstlingswerke (Last Summer, Leonardo Guerra Seràgnoli) oder unvergessliche Meisterwerke arrivierter Filmschaffender (Das weisse Band, Amour) Monika Willi ist offen für alles, solange sie mit dem Auteur, der hinter dem Projekt steht, auf der gleichen Wellenlänge liegt. Natürlich ist es vorab immer schwer zu sagen, wie gut oder schlecht ein Film am Ende ausfällt, und bisher sind vor allem «ihre» Regisseure mit Preisen für die unter ihren Händen entstandenen Kinoperlen geehrt worden. Aber auch wenn ihre Kunst als Cutterin im Nachleben der Werke zumeist in den Hintergrund rückt, schmälert das keinesfalls den Verdienst, der ihr im Prozess der Entstehung zuteil wird. Wie besonders und in dieser Weise vielleicht einmalig gerade die Zusammenarbeit mit Glawogger war, sollte sich schliesslich herausstellen, als es darum ging, dessen finales Projekt fertigzustellen, dem er selbst zum Opfer gefallen war. Denn lange Zeit war nicht klar, was genau mit den 70 Stunden Material geschehen sollte, die der Regisseur in den viereinhalb Monaten seiner letzten Weltreise mit seinem Kameramann Attila Boa und Tonmeister Manuel Sieben vor allem auf dem Balkan und in (Nord-)Westafrika gedreht hatte, bis Willi sich schliesslich der rastlosen Bilder annahm und mit Untitled (2017) vielleicht den schönsten Dokumentarfilm des vergangenen Jahres schuf: ein feines, fliessendes Filmkunstwerk, das vom Geist seines Urhebers ebenso umtrieben ist wie von Willis unmittelbarem Einfühlungsvermögen in das Material, das von Freiheit träumt und von den ewigen Zufällen des Lebens berichtet.

 

Der Schnitt, heisst es, ist der Augenblick der Wahrheit für einen Film. Der Moment, in dem sich alles entscheidet. Wenn dem so ist, möchte man mit Monika Willi am liebsten für immer darin verweilen.

 

Pamela Jahn

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