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ARCHIV | Filmreihe

 
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Maren Ade

Filmemacherin und Komplizin


Drei Filme in dreizehn Jahren - langsam und beharrlich hat sie eine eigene Handschrift entwickelt und gilt spätestens seit ihrer furiosen Vater-Tochter-Komödie Toni Erdmann (2016) als eine der aufregendsten und frischesten Stimmen des deutschen Films. Schon ihre Abschlussarbeit an der HFF München Der Wald vor lauter Bäumen, eine aufreibend präzise Studie des sozialen Fehlverhaltens einer überforderten Junglehrerin voller schmerzhaft eskalierender Alltagsituationen, hatte 2003 die Kritiker elektrisiert. Mit dem subtilen wie schonungslosen Beziehungsdrama Alle anderen kam 2009 auf der Berlinale der Durchbruch. Maren Ade nimmt sich Zeit für ihre Filme, so viel Zeit, dass sie wie Solitäre anmuten, funkelnde kleine Meisterwerke, die mit ganz eigenem, absurdem Humor Zwischenmenschliches ausloten. Die Zeit dazwischen füllt sie mit Werken anderer. Als Mitbegründerin der Produktionsfirma Komplizen Film beweist sie zusammen mit ihren Kollegen ein feines Gespür für herausragendes europäisches und südamerikanisches Autorenkino und half Werken von Ulrich Köhler (Schlafkrankheit), Sonja Heiss (Hedi Schneider steckt fest), Miguel Gomes (Tabu, As Mil e Uma Noites) oder Radu Jude (Scarred Hearts) auf den Weg. Das Stadtkino Basel feiert Maren Ade als Filmemacherin und Produzentin und lädt zur ersten grossen Werkschau der Komplizen.

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Es muss nicht immer alles schnell gehen - nicht im Kino und schon gar nicht im wirklichen Leben. Für Maren Ade, möchte man meinen, ist ohnehin beides eins: «Die Arbeit an einem Film ist für mich ein Filter, durch den ich die Welt sehe», sagt die Regisseurin selbst, die mit drei Spielfilmen in dreizehn Jahren mindestens genauso viel Ausdauer beweist wie ihre Protagonisten. Denn auch die lassen sich gerne ein bisschen Zeit. Wenn sich beispielsweise der ambitionierte Architekt Chris und seine Musik-PR-Freundin Gitti in dem ungemein klugen Liebesdrama Alle anderen (2009) im Sommerurlaub auf Sardinien im Beziehungskampf verhaken und dabei ganz nebenbei die Klischees gängiger Machtspiele durchkreuzen, dann ist das ein Prozess, der für alle Beteiligten nicht nur zermürbend und zunehmend schmerzlich ist, sondern der ausserdem einiges an Geduld und eine gewisse Stamina erfordert. Und auch Winfried Conradi, der eingefleischte Alt-Achtundsechziger in Maden Ades neuestem Film Toni Erdmann (2016), lässt sich nicht so einfach abschütteln, nur weil seine karriereorientierte Tochter Ines vom Überraschungsbesuch des Vaters alles andere als begeistert ist. Statt geknickt in die Einsamkeit zurückzukehren, setzt er lieber zum Frontalangriff an und versucht auf - zugegeben - recht unkonventionelle Weise zu retten, was an Berührungspunkten zwischen den beiden noch zu retten ist. Ades Kunst besteht jeweils darin, dass sie die Anstrengungen ihrer Figuren stets mit einem schlichten, aber äusserst präzisen Stilwillen ins Bild rückt und sie gleichzeitig mit einer grossen Leichtigkeit in den Dialogen kombiniert, die mitunter heiter bis peinlich, entblössend oder einfach nur unerhört ehrlich sein können. Ihr Kino ist eines der präzisen Beobachtung, wie es einst die Berliner Schule geprägt hat, das am Ende jedoch einen Meilenschritt weiter geht.

 

Am weitesten ist die in Karlsruhe geborene Wahlberlinerin bisher eindeutig mit Toni Erdmann gegangen, und das nicht nur künstlerisch, sondern auch in jeder anderen Hinsicht: unzählige Festivalerfolge, sechs Lolas, Standing Ovations in Cannes und eine Oscarnominierung für den besten fremdsprachigen Film sprechen für sich. Doch auch ihr viel zu selten gezeigtes Erstlingswerk, Der Wald vor lauter Bäumen (2003), zeugt bereits von der klaren Handschrift einer Regisseurin, die genau weiss, was sie will und wie sie es erreicht. Mit distanzierter Sympathie begleitet Ade darin die 27-jährige, schwäbelnde Lehrerin Melanie Pröschle auf ihrem unaufhaltsamen Abstieg in die totale Isolation. Nach acht Jahren hat Melanie sich von ihrem Mann getrennt, um in einer neuen Stadt mit neuer Wohnung und neuem Job nach privater und beruflicher Erfüllung zu suchen, doch findet sie stattdessen auf Anhieb nur jedes noch so kleine Fettnäpfchen, in das sie unverzüglich und mit Elan hineintritt. Den einzigen Halt bietet ihr eine eher schlecht als recht aufkeimende Freundschaft zur Nachbarin von gegenüber, die ebenfalls wegbricht, als Melanie immer mehr, immer verzweifelter Anteil zu nehmen versucht an einem Leben, in dem für sie von vornherein kein Platz war. Ihre Geschichte ist die eines Scheiterns, im Kleinen wie im Grossen. Jeder Tag ist eine neue Kraftprobe im Kampf um Anerkennung und Liebe. Sie schwärmt von Harmonie und kommt damit in Teufels Küche.

 

Alle fünf, sechs Jahre ein neuer Spielfilm, das ist das Tempo, mit dem Ade sich ihre eigenen Träume verwirklicht, die sich inhaltlich stets um die Strukturen drehen und wenden, die in der Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich sowie im Duell zwischen zwei Menschen eine Rolle spielen. Während der Arbeit an Toni Erdmann bekam sie obendrein zwei Kinder. Das erste bei der Recherche. Das jüngste während des Schnitts. Überhaupt ist ihr persönlich die Familie viel wichtiger als der Ruhm, sagt sie. Aber auch sonst bleibt die heute 40-jährige Regisseurin, anders als ihre Protagonisten, lieber auf dem Boden der Tatsachen, als sich in irgendwelche Ideale zu verrennen: «Ich persönlich finde die ganze Suche nach dem grossen Glück ziemlich überbewertet», gesteht sie mit einem Funkeln in den Augen, das die unbändige Energie, die tatsächlich in ihr steckt, nur erahnen lässt. «Ich glaube, wir wären alle viel freier, wenn wir nicht ständig darüber nachdenken würden, was das wahre Glück ist und wo es zu finden ist.»

 

Vielleicht stürzt sich Ade trotz ihres gesunden Familiensinns auch deshalb so gern in die Arbeit, zumal sie die Zeit zwischen ihren eigenen Projekten im Grunde lückenlos mit den Werken anderer Regisseure füllt. Denn immerhin studierte die Ausnahmeregisseurin um die Jahrtausendwende in München zunächst Filmproduktion, bevor sie sich schliesslich selbst hinter die Kamera wagte. Seither betreibt sie zudem gemeinsam mit ihrer Studienkollegin Janine Jackowski, die bereits Ades Debütfilm produzierte, und Jonas Dornbach, der seit 2010 dabei ist, in Berlin die Produktionsfirma Komplizen Film, die in erster Linie darauf bedacht ist, Autorenfilmer zu fördern, die einen ähnlich hohen, individuellen Anspruch an die Kunst haben wie die Regisseurin Maren Ade selbst: «Ich glaube an den echten Autorenfilmer, der auch die Chance auf mehrere Filme bekommen sollte, damit er sich ausprobieren und seine Eigenart entwickeln kann», erklärte sie diesbezüglich vor Kurzem in einem Interview mit der Wochenzeitung «Die Zeit». Mit anderen Worten: Es ginge in erster Linie darum, Kollegen und Kolleginnen zu fördern, die konsequent seien in ihrer Arbeit, ganz gleich wie sperrig oder radikal die Filme am Ende ausfallen würden.

 

Das Spektrum der geförderten Projekte geht demnach weit über die nationalen Grenzen hinaus, auch wenn Hedi Schneider steckt fest (2015) der deutschen Regisseurin und Autorin Sonja Heiss sowie Ulrich Köhlers Schlafkrankheit (2011) mit zu den erfolgreichsten Co-Produktionen der Komplizen gehören. Doch noch ein Name taucht in der Filmografie der Produzentin Maren Ade immer wieder auf: Miguel Gomes. Mit dem portugiesischen Regisseur arbeitet sie seit dessen grossem Durchbruch Tabu im Jahre 2012 zusammen, einer glorreichen Hommage an den Stummfilm, gedreht in betörenden Schwarz-Weiss-Bildern, zum Teil mit Tonelementen und einer reizenden Musik unterlegt, die an vergangene, unbeschwertere Zeiten erinnert. Auf einen Prolog, in dem sich ein Entdecker einem Krokodil zum Frass anbietet, nachdem ihn der Tod seiner Frau jeglicher Lebensfreude beraubt hat, folgt ein zweigeteilter Film, der zunächst im Lissabon der Gegenwart spielt, bevor er in die frühen 60er-Jahre zurückspringt, als eine junge Frau irgendwo im kolonialen Afrika am Fuss des Mount Tabu eine Amour fou lebt. Formal weisen die Filme von Gomes und Köhler dabei eine überraschende Gemeinsamkeit auf, denn auch Schlafkrankheit macht nach einer Schwarzblende mitten im Film einen kühnen Sprung, um seine Geschichte über einen deutschstämmigen Arzt in Kamerun zu erzählen, der sich im Dschungel seiner Sehnsüchte verliert.

 

Tatsächlich ist es jedoch gerade der Verdienst von Ade und ihren Produzentenkollegen, sich für Filme einzusetzen, die nach aussen hin und in ihrem Wesen unterschiedlicher kaum ausfallen könnten. Werke wie etwa das zärtliche Coming-of-Age-Drama Tanta Agua (2013) der aus Uruguay stammenden Filmemacherinnen Ana Guevara und Leticia Jorge oder Scarred Hearts (2016) des Rumänen Radu Jude, der darin seinem zu Unrecht vergessenen Landsmann, dem Schriftsteller Max Blecher, ein berührendes Denkmal setzt. Und auch die aktuellen Produktionen, darunter Una mujer fantástica (2017) des in Argentinien geborenen Chilenen Sebastián Lelio, der im Februar auf der Berlinale Premiere feierte, sowie Western (2017) von Valeska Grisebach, der unlängst in Cannes von der internationalen Kritik in den höchsten Tönen gelobt wurde, bilden da keine Ausnahme. Alle zusammen und jeder für sich geben diese Filme Aufschluss darüber, wie es um unsere heutige Kinolandschaft bestellt ist, solange es engagierte Regisseure und Produzenten gibt, die, wie Ade selbst, ihre persönliche Handschrift pflegen und dabei gleichzeitig alles daran setzen, mit jedem neuen Film immer wieder auch fremde Grenzen auszuloten.
Manchmal braucht das eben seine Zeit. Für Maren Ade wartet man immer wieder gerne mal ein paar Jahre.

 

Pamela Jahn

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