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ARCHIV | Filmreihe

 
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David Lynch

Wild at Heart


Es ist eine schöne und fremde, faszinierend verstörende Welt, die Filmwelt des David Lynch: von Eraserhead – noch an der Filmhochschule entstanden – über The Elephant Man, Lost Highway, Mulholland Drive bis zur im vergangenen Jahr wiederbelebten stilprägenden Fernsehserie Twin Peaks. Lynchs Werke sind filmische Reisen, in denen Bewusstsein und Unterbewusstsein, Realität und (Alp-)Traum gleichberechtigt nebeneinander existieren und die Nachtseiten der menschlichen Psyche quer durch die Genres durchdekliniert werden.

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Seine Filme sind eine Tür zu Abgründen, die zu betreten wir ohne ihn kaum gewagt hätten, und deren magischem Sog man sich schlicht nicht entziehen kann. Dass er dabei einer jener seltenen Multitalente ist, der sich in fast allen künstlerischen Disziplinen zu Hause fühlt – von Kunst, Fotografie über Musik, Design und Möbelbau bis Film – macht seine Einzigartigkeit aus. Das Stadtkino Basel widmet dem Meister der narrativen Verästelungen, surrealer Bilderwelten und gegen den Strich gebürsteter Genreversatzstücke eine Hommage und lädt mit einer umfassenden Schau seiner Spielfilme – ergänzt um die dokumentarische Annäherung David Lynch: The Art Life – nach Lynchville ein.

 

Eigentlich sei er übers Filmemachen eher zufällig gestolpert, sagt David Lynch. Beim Malen einer nächtlichen Gartenlandschaft, als ihm plötzlich in den Sinn kam, wie es wohl wäre, seinen Gemälden durch Bewegung zusätzlich Atmosphäre einzuhauchen. Sieben Jahre, etliche Kurzfilme und diverse Produzenten-Kriege später sollte aus dieser ursprünglichen Eingebung sein Regiedebüt entstehen: Eraserhead, eine Art Alptraum in Fleisch und Blut, in dem Jack Nance mit auffälliger Turmfrisur einen unglückseligen jungen Vater spielt, der in einer eisernen Welt für sein stark deformiertes Kind sorgen muss. Ein Film, den, wer ihn einmal gesehen hat, niemand so schnell vergisst und nach dessen Uraufführung beim Filmex Festival in Los Angeles am 19. März 1977 auch für Lynch selbst nichts mehr so sein sollte wie zuvor.

 

Wie er von der Kunst zum Kino kam, daraus macht der vielleicht rätselhafteste Auteur seiner Generation kein Geheimnis. Darüber hinaus jedoch bleiben die Umrisse der Person wie das Schaffen des grossen Filmsurrealisten eher schattenhaft. Es ist ein Teil der Faszination, die von Kultklassikern wie Blue Velvet (1986), Wild at Heart (1990) oder der kürzlich wiederbelebten, legendären Fernsehserie Twin Peaks ausgeht, dass sie bis heute nichts an der Eigenart, Mystik und Abwegigkeit eingebüsst haben, die einst das Publikum bestürzte. Zumal jede Frage nach dem Warum und Wieso fast automatisch den vehementen Abwehrmechanismen unterliegt, die der Regisseur seinen Filmen auf ewig eingeschrieben hat. Trotzdem ist und bleibt die Herausforderung, sich auf das Enigma David Lynch einzulassen, ein überaus lohnenswertes Unterfangen, ganz gleich, aus welchem Grund man sich auf die Reise ins Ungewisse seiner Filme begeben mag. Ob Neugier, Leidenschaft oder die Lust an der Versenkung, jeder Ansatz bietet die Möglichkeit, den Künstler genau dort zu treffen, wo er am liebsten ist: In seiner eigenen finsteren, surrealen Welt. Dort, wo sich Aussen und Innen, Realität und Wahn, das Makabre und das Banale begegnen, gegenseitig abstossen und ineinander übergehen, ohne dabei jemals gefasst werden zu können.

 

David Lynch, darin sind sich seine Anhänger und Kritiker einig, ist einer wie keiner. Man glaubt seine Filme zu kennen, ohne dass man vielleicht je einen Blick darauf geworfen hat. Denn mehr als nur der Regisseur, der am 20. Januar 1946 in der Stadt Missoula im Bundesstaat Montana geboren wurde, ist sein Name im Laufe der Jahrzehnte längst zu einer eigenen Kunstform avanciert, einem Stil, in dem sich bestimmte Motive (Neonlicht, leere, dunkle Highways, Hotelflure, die Farbe Rot) und Figuren (die Frau in wie auch immer gearteten Schwierigkeiten, der «mystery man», Väter, Polizisten) einspinnen wie in einen Kokon, aus dem am Ende ein im wahrsten Sinne des Wortes (alp-)traumhaftes Ganzes hervorgeht, das sich jeglicher zeitlichen und räumlichen Kontinuität entzieht. Lynchs unerschütterlicher Glaube an die Beseeltheit leerer Objekte findet in seinen eher malerisch komponierten Einstellungen ebenso Ausdruck wie sein fast schon zwanghafter Blick auf alle Formen körperlicher und psychischer Zerstörung, ohne dass sich die dabei entstehenden tableauartigen Rätselspiele trotz zahlreicher Hinweise jemals zu einer zuverlässigen Lösung zusammensetzen liessen. Der Schock über einen derart krassen Bruch mit allen herkömmlichen Erzählformen kann den Betrachter nicht selten aus dem Gleichgewicht bringen, wie etwa in dem knapp dreistündigen beklemmenden Mysterienspiel Inland Empire (2006) oder in Lost Highway (1997), einem in sich verschlungenen Film-noir-Roadmovie, dessen Spur in die Aussenzonen der Obsessionen führt. Er kann aber auch allgemeine Begeisterung und Euphorie hervorrufen, wie Lynch bereits 1980 mit seinem zweiten Spielfilm The Elephant Man bewies, für den er über den Segen der Kritiker hinaus seinerzeit acht Oscar-Nominierungen erhielt.

 

Tatsächlich ist das Werk von Lynch grundsätzlich von jenem Gegensatz zwischen Abneigung und Anerkennung geprägt, der einhergeht mit einer gewissen Vorliebe des Regisseurs für Widersprüche und Mehrdeutigkeiten, unterbewusst wirkende Bilder und dem, was hinter der Fassade steckt, egal, ob es sich dabei um grotesk entstellte Körper (wie dem von John Hurt gemimten Elefantenmenschen), obskure Kleinstadtwelten à la Blue Velvet oder die ganz grosse Traumfabrik Hollywood selbst handelt, mit der Lynch seit jeher eine offene Hassliebe verbindet. Wahrscheinlich ist ausgerechnet Mulholland Drive (2001), seine mythische Noir-Fabel von der Liebe und vom Scheitern in der Stadt der Träume, gerade deshalb so wunderschön und todtraurig zugleich geraten. Und vielleicht liegt darin auch der wahre Kern der trügerischen Geschehnisse in Inland Empire, in dem Laura Derns zunehmend verwirrte Schauspielerin Nikki Grace in ein furchterregendes Labyrinth aus Illusionen, Ängsten und Bedrohungen gerät. Selbst Eraserhead, der laut Lynch das Produkt seiner Kunststudentenjahre in Philadelphia ist, wurde weitestgehend in Los Angeles gedreht, und es ist nicht zuletzt die seltsame Mischung aus industrieller Verwitterung und dystopischer Architektur, die stets eine Quelle der Inspiration für seine unvergleichliche Ästhetik bilden.
«Man kann nur Neues finden, indem man verschiedene Dinge anfängt und schaut, ob die Experimente etwas hervorbringen», hat Lynch einmal gesagt und damit seine Vorgehensweise deklariert, die nach aussen hin einer Art intuitivem Ideenchaos gleicht. Dabei glaubt der Meister selbst fest an Handlung und dramatische Strukturen, nur auf die Art des Erzählens kommt es eben an. Allein deshalb schon gibt es in Lynchs Universum nichts Abartigeres als das Alltägliche, und nichts Normaleres als das Abwegige. Wenn beispielsweise in The Straight Story (1999) ein aufpolierter Rasenmäher reicht, um ein Gefühl von Freiheit zu erzeugen, oder er uns in Wild at Heart in einem visuellen Kraftakt seine Version einer populären Liebesromanze präsentiert, bleibt Lynch seinen Prinzipien dabei stets genauso treu wie in den diversen Kino-Fragmenten von Twin Peaks, die über die Jahre um den mysteriösen Tod von Laura Palmer entstanden sind. Allein die Verfilmung von Frank Herberts Sci-Fi-Klassiker Dune – Der Wüstenplanet (1984) sollte zunächst an der lynchschen Methode scheitern und gilt heute längst als «eine der schönsten Filmruinen der Kinogeschichte».

 

Lynch will immer beides, befreien und bestürzen, den Blick weiten und gleichzeitig ins tiefste Innere richten. Manchmal übernimmt er sich dabei und findet am Ende doch immer wieder zu sich selbst zurück. Wie in dem wunderbar ungezwungenen Dokumentarfilm David Lynch: The Art Life (2016), als er mitten in einer Anekdote aus seiner Kindheit plötzlich ins Stocken gerät: «I can't tell the story», raunt er und zieht sich hinter seine Zigarette zurück. Schon in der Geste deutet sich an, was Lynch auch in seinen Filmen immer wieder meisterhaft inszeniert: das Auslösen surrealer, überwältigender Bilder im Kopf, die einen emotional und nicht selten auch körperlich übermannen. Dinge, die man spürt, ohne Genaueres über sie zu wissen. Gefühle und Fantasien, deren Wahrheit nur das eigene Ich zu ergründen weiss, im Kino wie im Leben.

 

Pamela Jahn

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