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ARCHIV | Spezialprogramme

 
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Symposium: Zur Schwierigkeit des Vergessens

Die Filme und künstlerischen Verfahren von Chantal Akerman


Internationales Symposium, 20. - 22. Oktober, veranstaltet durch das Seminar für Medienwissenschaft, das Kunsthistorische Institut der Universität Basel und den NFS Bildkritik eikones im Stadtkino Basel und Forum eikones

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Sogar als Musical hat Chantal Akerman das Thema ihrer Arbeiten verhandelt: die Schwierigkeit zu vergessen. «Ich konnte sie nicht vergessen», sagt der ehemalige GI in Golden Eighties (1986) zwischen Chansons und Choreografie der Coiffeurmädchen plötzlich. Da kehrt auf den farbigen Oberflächen der Shopping Mall die ganze Geschichte von Krieg und Verfolgung zurück. Geschichte, die nicht vergehen will, beherrscht das Kino von Chantal Akerman. Und meisterhaft beherrscht Akerman alle Genres, diese Geschichte zu wiederholen: Komödie, Drama, Dokumentarfilm, Essay oder Romanadaption. Geschichte ist für Akerman eine kühne Konfrontation von Katastrophe und Komik, von Dauer und Explosion. Wutausbrüche werden schweigend erledigt in ihren Filmen. Normalität passiert mit Wucht. Der Alltag ereignet sich unvermittelt. Alles geht sehr gelassen gegen den Strich. In ihrem frühen Film Hôtel Monterey (1972), den Akerman mit der Kamerafrau Babette Mangolte drehte, bewegt sich die Kamera nach etwa vierzig Minuten langer Einstellungen plötzlich. Rot heisst es dann auf dem Flur EXIT, aber ein Ausweg ist nirgends in Sicht. Mit diesem Film beginnt am 20. Oktober ein internationales Symposium im Stadtkino Basel, das die eigensinnigen Strategien Chantal Akermans untersucht, sich Zeit zu nehmen, um die Spuren der Geschichte loszuwerden - wie es im berühmten Pyjama-Interview aus dem Jahr 2011 mit Nicole Brenez heisst. Gäste aus Grossbritannien, Frankreich, Deutschland und den USA, die mit Chantal Akerman zusammengearbeitet oder sich mit ihrem Werk wissenschaftlich und kuratorisch auseinandergesetzt haben - darunter Babette Mangolte und Akermans Schnittmeisterin Claire Atherton -, werden die Filme einführen oder kommentieren. Neben Golden Eighties und dem frühen Film News from Home (1976), in dem Akerman zu Bildern aus dem düsteren New York der 70er-Jahre Briefe ihrer Mutter aus Europa liest, werden ihre grossen Filmessays gezeigt: D'Est (1993), Bilder einer Reise durch Osteuropa, auf der Akerman auf den Gesichtern der Leute nicht nur die vergangene Gewalt, sondern, wie sie sagt, auch kommende Kriege entziffert; De l'autre côté (2002), der mit der Grenze zwischen Mexiko und den USA auch die Grenzen des Filmischen zwischen Fiktion und Dokument, Biografie und Historiografie verhandelt, sowie Là-bas (2006), der, gefilmt in Tel Aviv, das zweite wiederkehrende Thema ihres Lebens durcharbeitet: Möglichkeit und Unmöglichkeit einer jüdischen Identität. «Meine Geschichte ist ganz zerlöchert, voller Leerstellen», schrieb sie dazu. Schliesslich wird No Home Movie (2015) zu sehen sein, jener Film, der in Locarno uraufgeführt wurde nur zwei Monate vor Chantal Akermans Tod im Oktober 2015. Das Einzige, was sie vergesse, vermutete Akerman, seien ihre Träume. Das stimmt nicht ganz. In ihren Filmen können wir sie sehen, als verdichtetes Bild einer Künstlerin, deren verwürfelt erinnerter Namen Kamera heisst. Fast.

 

Ute Holl

 

Konzeption und Organisation: Ute Holl und Eva Kuhn

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