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ARCHIV | Filmreihe

 
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Sir Alfred Hitchcock und seine Erben


«Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?», fragte schon François Truffaut und blieb bei weitem nicht der Einzige. Auch 35 Jahre nach seinem Tod ist Sir Alfred Hitchcock noch immer der berühmteste Regisseur der Welt - und einer der einflussreichsten. Mit Werken wie Rear Window, Vertigo, Psycho oder The Birds hat er das Thriller-Genre neu erfunden und Generationen von Filmemachern nachhaltig geprägt. Im zweiten Teil der Hommage an den «Master of Suspense» präsentiert das Stadtkino Basel seine ikonischen Klassiker aus den 50er- und 60er-Jahren und stellt ihnen Werke jüngerer Meister gegenüber, die - deutlich von Hitchcock inspiriert - auf inhaltlicher oder stilistischer Ebene spielerisch mit Verweisen und Zitaten reagieren. Von Steven Spielbergs Jaws über Brian De Palmas Dressed to Kill, John Carpenters The Fog, David Lynchs Mulholland Drive bis zu Martin Scorseses Shutter Island laden sie ein, Einflüsse und Differenzen zu entdecken.

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Der Einfluss von Alfred Hitchcock ist kaum zu überschätzen: Mit ikonischen Klassikern wie Rear Window, Vertigo, North by Northwest, Psycho, The Birds und Frenzy hat er sich in die Filmgeschichte als «Master of Suspense» eingeschrieben. Der Titel steht für Filme, die bis heute das Publikum in ihren Bann ziehen. So ist es auch kein Wunder, dass sich jüngere Regisseure immer noch von Alfred Hitchcock in vielfältigen Formen inspirieren lassen.
Das Programm «Sir Alfred Hitchcock und seine Erben» setzt die Reihe fort, deren erster Teil bereits im Januar 2016 unter dem Titel «Der junge Hitchcock und seine Vor-Bilder» im Stadtkino Basel lief. Konzept ist es, die mittlerweile kanonischen Meisterwerke Hitchcocks in ihrem produktions- und zeitgeschichtlichen Kontext zu vergegenwärtigen und dabei den Zuschauer einzuladen, Einflüsse und Differenzen - ob nun auf der Ebene des Sujets, der Montage, der Bildgestaltung - zu anderen Werken und Regisseuren selbst auszumachen. Der Reiz liegt zwischen erkennbarem Einfluss, offensichtlichem Zitat und produktiven Spannungsverhältnissen. Das Programm führt somit weiter, was in Hitchcocks Filmen bereits angelegt ist: den Zuschauer mit seinen Emotionen, Schaulüsten und Assoziationen die Vernetzungen und Differenzen entdecken zu lassen und daraus einen neuen Unterhaltungswert zu gewinnen.

 

Dieser zweite Teil der Reihe beschäftigt sich mit der Schaffensphase Hitchcocks in Hollywood, in der er seine Star-Persona als Marke multimedial (mit mehreren eigenen TV-Shows und Kinotrailern) etabliert und sich dabei als Dirigent der Wahrnehmung seiner Filme wie seines öffentlichen Images spielerisch souverän inszeniert: eine Faszination, die bis heute andauert. Noch 2006, ein Vierteljahrhundert nach Hitchcocks Tod, konstatieren Boyd/Palmer, dass es bis heute keinen anderen Regisseur gebe, der in ähnlicher Weise andere Filmschaffende beeinflusst habe und dies auch noch weiterhin tue. Wie aber lassen sich Kategorien wie «Einfluss» oder «Erbe» konkret fassen?
«Hitchcockian» als Bezeichnung dessen, was für Hitchcock als typisch gilt, ist zwar im Englischen aus dem akademischen Sprachgebrauch in die Alltagsprache hineingewandert, doch Filmwissenschaftler Thomas Leitch weist ausdrücklich darauf hin, dass letztendlich unklar sei, was «Hitchcockian» genau bezeichne. Denn bei Hitchcock gehören Mehrdeutigkeit und Unbestimmtheit zum Prinzip. Georg Seesslen erklärt angesichts einer ganzen Reihe von Remakes von Hitchcocks Filmen, «warum es keine wirkliche Nachfolge von Alfred Hitchcock gibt». Insbesondere Remakes neigten dazu, Ambiguitäten in Hitchcocks Filmen zu eliminieren, indem sie eindimensionale Erklärungen für Ereignisse und Gezeigtes lieferten. In diesem Sinne äussert sich auch der Philosoph Slavoj Žižek, wenn er die Remakes mit einem Reader's Digest vergleicht - als leichte Lektürevariante angesichts des sperrigen Originalwerks: «Hitchcock Made Easy».

 

Im zweiten Teil unserer Hitchcock-Reihe werden vor allem Filme gezeigt, die bestimmte Themen, audiovisuelle Erzählweisen und Spannungs- wie Gefühlmodulationen à la Hitchcock aufnehmen. Es sind aber vor allem auch Filme, die über ihre Form selbstreflexive Dimensionen hinzufügen und damit eigenständige Handschriften erkennen lassen.
Dazu zählt sicherlich Akira Kurosawas Tengoku to jigoku (High and Low, 1963), der eine japanische Adaption eines amerikanischen Polizeieromans darstellt. In Kurosawas Version wird das bei Hitchcock allgegenwärtige Voyeurismusmotiv in räumliche Anordnungen übersetzt. Der Zuschauer wird schon zu Beginn eingeladen, dramatische Spannungsverhältnisse in den ständig wechselnden Positionierungen der Figuren zu entdecken. Es ist die bühnenhafte Inszenierung, die dem Raum eines Wohnzimmers eine bedeutungsvolle Tiefe verleiht. Im Zentrum der Geschichte steht somit eine Villa, welche zunächst eine panoptische Machtposition über der Stadt versinnbildlicht, dann aber zum Objekt der Überwachung und Bedrohung gerät.
Wenn Hitchcock vor allem mit Psycho und The Birds den Horrorfilm in den 1960ern revolutioniert hat, so lohnt sich der Blick auf die aktualisierenden Formen eines «cinéma pur» im Rahmen des Genrekinos - eines Kinos, das mit filmbildlicher Zeiterfahrung Suspense kreiert: In verschiedenen Filmen macht John Carpenter Anleihen bei der Filmgeschichte. The Fog (1980) nimmt die Grundkonstellation von The Birds auf und erzählt die Invasion eines Küstenortes von einer kaum fassbaren Gefahr in expressiven Bildern, die zunächst nur vorahnende Erschütterungen des Alltäglichen vermitteln. Der Zuschauer wird in eine ähnlich spannungsgeladene, abwartende Angstlust versetzt, wie man sie beim Erklingen der verheissungsvollen Tonfolge empfindet, die in Spielbergs Jaws den kurz bevorstehenden Angriff des weissen Hais ankündigt. Patricia Hitchcock hat Steven Spielberg 1997 als den wahren Erben ihres Vaters bezeichnet. Spielberg nimmt das Wechselspiel mit Point-of-View-Strukturen auf und erweitert das Hitchcock'sche Formenvokabular, das den Zuschauer zum zentralen Mitspieler macht.

 

Offenheit, Mehrdeutigkeit und Verunsicherung der Weltwahrnehmung als Folgen eines unzuverlässigen filmischen Erzählens lassen sich auch bei zahlreichen Hollywood-Produktionen der 2000er-Jahre ausmachen. Neben Regisseuren wie David Fincher, Bryan Singer und Christopher Nolan ist es vor allem Martin Scorcese mit Shutter Island (2010), der Formen von Vertigo aktualisiert und mit Referenzen zum expressionistischen Film anreichert.
Last but not least ist als einer der treuesten und offensivsten Interpreten des Hitchcock'schen Oeuvres Brian De Palma zu nennen. Zahlreiche seiner Filme - von Obsession (1976) über Carrie (1976) bis Dressed to Kill (1980) - zitieren Hitchcock motivisch und strukturell. Indem bekannte Motive wie etwa Duschszenen in Zeitlupe gezeigt werden, lassen sich De Palmas Formen der Anverwandlung als Pastiche beschreiben. So transformiert De Palma Hitchcocks Ästhetik hin zu einem (postmodernen) Manierismus.
In diesem Sinne erlauben auch postmoderne Surrealisten wie David Lynch oder auch auf europäischer Seite Pedro Almodóvar, Alejandro Amenábar und Dario Argento interessante Bezugsetzungen und neue Perspektiven auf Adaptionsmodi. Jenseits des narrativen Kinos liefert der belgische Videokünstler Johan Grimonprez (vielleicht weniger bekannt als der in diesem Kontext omnipräsente Douglas Gordon u. a. mit 24 Hours Psycho) in seinem Film Looking for Alfred (2005) innovative audiovisuelle Auseinandersetzungen mit der Ikone «Hitchcock».
Zur Fortschreibung des Mythos tragen aber auch konventionellere Formate wie Biopics bei. Hitchcock ist einer der wenigen Filmregisseure, deren Vita verfilmt wurde. Wenn auch in unterschiedlichen Tonlagen - Hitchcock (Gervasi, 2012) wesentlich humorvoller und versöhnlicher als The Girl (Jarrold, 2012) -, versuchen die zwei jüngeren Biopics, der Ikone «Hitchcock» über private Details auf den Grund zu gehen.

 

So eröffnet das Programm einen kaleidoskopartigen Blick auf die facettenreichen Rezeptionsvarianten des Werks und der Person Hitchcocks. Zu den Highlights gehören hier sicherlich der Einbezug von Hitchcocks medientechnologischen und transmedialen Experimenten: ob Dial M for Murder in der restaurierten und selten gezeigten 3D-Fassung oder aber die Vorführung einer Auswahl der besten Regiearbeiten Hitchcocks für das Fernsehen aus der Serie Hitchcock Presents. Insbesondere die selbstironischen Moderationen des Meisters selbst haben massgeblich zu seiner noch immer andauernden Präsenz in der heutigen Film- und Medienwelt beigetragen.

 

Franziska Heller

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